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Kriterien eines guten Begleitsatzes
Welche Kriterien muss ein guter Begleitsatz eurer Meinung nach erfüllen?
Ausgelöst wurde diese Frage durch meine jüngsten Erfahrungen mit dem neuen "Orgelbuch zum Gotteslob" (Österreichteil!). Im alten Orgelbuch waren durchaus wohlklingende Sätze enthalten, unter anderem auch von Meistern wie Anton Heiller; diese Sätze waren wohl etwas anspruchsvoller, dafür aber gut klingend komponiert. Im neuen Orgelbuch entdecke ich stattdessen fast schon primitiv zu nennende Sätze, z.B. bei Schubert- und Haydnmesse, aber auch gestern bei "Fest soll mein Taufbund immer stehn". Andererseits gibt es darin aber auch "verzwickte" Sätze mit durchaus komplexen Harmonien, etwa beim melodiös recht schlicht gestrickten "Glorwürd’ge Königin.
Welche Maßstäbe legt ihr an einen guten Begleitsatz an?
#2 RE: Kriterien eines guten Begleitsatzes
Ich denke, der Choralsatz soll den harmonischen Vorrat und die Satztechniken widerspiegeln, die zur Entstehungszeit der Melodie üblich waren. D.h. Kantionalsatz mit großen Intervallen im Bass bei den alten Chorälen und Hymnen der reformatorischen und vorreformatorischen Zeit, erweiterte Funktionsharmonik im Barock (gern mit bewegter Bassführung), Reduktion auf die Grundfunktionen bei gehäuftem Lagenwechsel im Rationalismus (Schubert- und Haydnmesse etc.) und textausdeutende Reizharmonik in der Romantik - Regers op. 135b lässt grüssen. Gerade die "schlichten" Melodien der Romantik (als Beispiel fällt mir gerade "So nimm denn meine Hände" ein) erlauben, ja erfordern farbige Harmonisierung.
Diesen Ansatz verfolgte J.F. Doppelbauer in seinem guten Buch "Der Choralsatz - Lehrbuch des Tonsatzes vom einfachen Kantionalsatz bis zum Satz der Romantik" - erschienen 1979 bei Coppenrath (jetzt wohl von Carus übernommen oder antiquarisch zu kriegen). Das Bändchen hat nur 75 Seiten, aber viele schöne Beispiele, an denen man viel lernen kann. Und es ist sehr verständlich geschrieben. Ich habe es seinerzeit im C-Kurs-Unterricht verwendet. Sicher gibt's auch neuere Studienwerke.
Auch in Diether de la Mottes dtv-Band "Harmonielehre" steht viel Kluges zum Thema "stilgebundener Satz", das jeder Dichter von Choralbegleitungen beherzigen sollte.
LG
Michael
Danke für diese erste Antwort.
Irgendwie hatte ich anderes im Sinn, als ich die Frage stellte.
Es geht mir um Folgendes: Heinz-Walter Schmitz schreibt seine Begleitsätze so, dass er Melodiepausen mit Durchgangstönen und -akkorden im Begleitsatz auffüllt, sodass das Metrum des Liedes weiterhin pulsiert.
Im neuen Orgelbuch zum GL fand ich bei so manchem Satz das krasse Gegenteil; das Metrum kam nicht nur an den Pausenstellen zum Stillstand, sondern oft auch mitten im Melodieverlauf. Da, wo in einer Melodie längere Notenwerte auftauchen, wird auch im Satz nicht mit den Metrumsnoten unterfüttert. Ich finde das elend langweilig und sowohl beim Mitsingen als auch beim Spielen unheimlich mühsam. Ist verständlich, was ich meine? Wenn nicht, stelle ich ein Notenbeispiel ein.
Was mir bei den Schmitz-Sätzen schon zuviel an "Auffüllung" ist, ist mir bei dem einen oder anderen GL-Satz deutlich zu wenig.
#4 RE: Kriterien eines guten Begleitsatzes
Natürlich ist es Aufgabe eines guten Satzes, die Bewegung in Fluß zu halten. Das geschieht einerseits durch Durchgangstöne in allen Begleitstimmen, vor allem aber durch eine lebendige und flüssige Bassführung. Bach wendet in seinen Choralsätzen - bei damals durchweg langsamem Singtempo - gern laufende Achtelbewegungen an, um zu verhindern, dass der Melodiefluß stockt.
LG
Michael
#6 RE: Kriterien eines guten Begleitsatzes
Bei den Katholiken ist ein zügigeres Singtempo im Wesentlichen eine Frucht der liturgischen Bewegung des 20. Jh. In vielen Orgelbüchern ab den 30er Jahren stehen entsprechende Anweisungen an die Organisten, auf einen flüssigen Gesang hinzuarbeiten - ich glaube, im Vorwort zum GL-Orgelbuch hat Planyavsky noch entsprechende Ermahnungen artikuliert.
In manchen Kreisen gilt ein langsamer, träger Gesang ja immer noch als besonders "innig" oder "fromm". Das fällt mir bei Besuchen in kath. GD immer wieder unangenehm auf.
Bei Evangelens entwickelte sich das Singtempo in zwei Schüben: Anfang des 19. Jh. galt ein forsches, frisches Singen in der sog. "Erweckungsbewegung" aus Ausdruck besonderen Glaubenseifers, mit dem man sich von den trägen Gemeinden der lutherischen Orthodoxie absetzen wollte. Das Staatskirchentum trug dazu bei, dass sich offizielle Regelungen und Verordnungen in einzelnen Territorien einheitlich durchsetzten. Die preußische Agende aus den 1830ern schaffte z.B. per königlichem Erlass die Zeilenzwischenspiele ab. Multiplikatoren waren die dörflichen Lehrerorganisten, die an den Seminaren in der Ausbildung auf den "frischeren Wind" eingeschworen wurden.
In der Singbewegung der Zeit zwischen den Weltkriegen, der vokalen Parallele zur Orgelbewegung, zählte ein lebendiger, frischer Gemeindegesang ebenfalls zu den Grundpostulaten.
In den konfessionell stark durchmischten Gebieten Frankens konnte ich noch in den 80er Jahren folgende Beobachtung machen:
In einem evangelischen (ehemals freiherrlichen) Dorf sang die Gemeinde sauber im Metrum und sehr straff, im kath. (ehemals fürstbischöflichen) Nachbardorf hingegen wurde abenteuerlich geschleppt und geleiert. Beides sei halt "schon immer" so gewesen, erfuhr ich auf Befragen. Die selben Beobachtungen gelten für den Kirchengesang im ev. Heimatort meiner Frau und im benachbarten kath. StäDtchen - ebenfalls in Franken.
Soviel auf die Schnelle. Da intensiver zu arbeiten, wäre mal eine spannende Aufgabe für einen Musiksoziologen.
LG
Michael
Danke für die interessanten Ausführungen.
Ja, katholischerseits wird man als Organist heute noch da und dort gescholten/kritisiert, wenn man zu schnell spielt. Ich habe es dennoch immer getan. Vom Pfarrer einer bekannten Wallfahrtsbasilika wurde ich deswegen vor Jahren regelmäßig bedrängt; in der Konsequenz habe mich nach einiger Zeit aus dieser Kirche verabschiedet.
In einem Gespräch mit einem keineswegs unbekannten Kirchenmusikus erfuhr, dass dieser jedoch durchaus zu Kompromissen tendiere, wenn eine Gemeinde nur schwer in Schwung zu bringen ist. Wörtlich: "Setzen Sie sich mal unters Volk, wenn jemand anderer spielt. Sie werden merken, wie schwer sich durchschnittliche Sänger bei größeren melodischen Sprüngen tun und wie sehr das zu verzögerten Einsätzen führt. Ich gebe bei solchen Stellen in der Regel nach, weil es einfach keinen Sinn hat, der Gemeinde stur davonzueilen."
Das hat mich dann auch wieder ins Grübeln gebracht...
Zu deinen Ausführungen, Michael, Lieder gemäß den Gepflogenheiten ihrer Epoche zu harmonisieren, meine ich auch schon die gegenteilige Meinung gelesen zu haben... Werde nachmittags den betreffenden Text heraussuchen und hier zitieren.
In den süDlichen Niederlanden um Middelburg herum, singen die Calvinisten in bestimmten Gemeinden noch so wie vor 300 Jahren. Da werden die Choralmelodien von der Gemeinde z. T. mit Verzierungen gesungen (also jeder so, wie er es für gut befindet). Selber hab ich das noch nicht gehört, mir erzählte ein niederländische Kollege davon. Ebenso ist es Tradition, dass alle Strophen gesungen werden, sodass ein solches Lied leicht 10 bis 15 Minuten beanspruchen kann. Für mich wäre das nix.
#9 RE: Kriterien eines guten Begleitsatzes
Zitat
Zu deinen Ausführungen, Michael, Lieder gemäß den Gepflogenheiten ihrer Epoche zu harmonisieren, meine ich auch schon die gegenteilige Meinung gelesen zu haben... Werde nachmittags den betreffenden Text heraussuchen und hier zitieren.
Da musst Du mir keine Belegstellen liefern. Das habe ich in meiner Lehrergeneration live erlebt und erlitten. Die führenden Kirchenmusik- und Ästhetikgurus erklärten damals den Kantionalsatz der Schützzeit und ihre eigenen schrägen Ergüsse für das Nonplusultra der Sakralität. Sie verlangten, dass wir einen barocken oder klassischen Jubelhymnus mit leeren Quinten begleiteten - ein Durakkord am Schluss? Igitt, wie profan! Schau Dir mal Orgelbücher aus den 50ern oder 60ern an - stellenweise zum Davonlaufen. Nicht umsonst hat meine Generation Mendelssohn, Rheinberger und die ganze franz. Sinfonik neu "entdecken" müssen. Unsere Lehrer haben sie uns verschwiegen oder schlecht geredet. "Unorgelgemäß" lautete damals das Verdikt - ein paar Jährchen zuvor sagten dieselben Leute noch "entartet" ...
Wenn ich so einiges an anerkannten "Glanzleistungen" professoraler Gelehrsamkeit spielen würde, was aus dieser Zeit in meinem Fundus tief unten ruht, dann würden mich die lieben Leute in der Wicherngemeinde tief besorgt um meinen Gemütszustand an der Emporentreppe abfangen, um mir in meiner Depression seelischen Beistand zu leisten und mich vom Suizid abzuhalten ...
Ich habe mal außerhalb des Gottesdienstes an der Orgel gesessen und in düsteren pianissimo-Farben in tiefer Lage herumgegrummelt. Da kam der Küster auf die Empore und hat ernstlich besorgt gefragt, ob was passiert sei ... So sehr erwartet meine Gemeinde, dass Orgelspiel erbaut und aufbaut.
LG
Michael
Zitat von Wichernkantor
Ich habe mal außerhalb des Gottesdienstes an der Orgel gesessen und in düsteren pianissimo-Farben in tiefer Lage herumgegrummelt. Da kam der Küster auf die Empore und hat ernstlich besorgt gefragt, ob was passiert sei ... So sehr erwartet meine Gemeinde, dass Orgelspiel erbaut und aufbaut.
LG
Michael
Aber das zeugt doch von erlesenem Einfühlungsvermögen des Küsters Dafuer:
Wenn da einer in moll und leise und tief vor sich hintrauert, dazu im Gegensatz sonst fröhlich und schwungvoll spielt, dann kann man schon auf Gedanken kommen.
Ich bewundere daher den Küster, der sich wirklich noch um andere kümmert und sich auch fragen traut.
LG
Christoph
N'Abend zusammen !
hatte letztens mal das Orgelbuch zum neuen Gotteslob vom Eigenteil Münster in der Hand. Habe mir mal den 4-stimmigen Satz beim dem Lied "Vertraut den neuen Wegen" angeguckt. Ich habe festgestellt, dass der Satz aus Münster von dem Referat Kirchenmusik kommt (bis dahin war noch alles in Ordnung). Doch dann - an 2 Stellen Quintparallelen Alle Stimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) bewegen sich nach oben. Das finde ich geht garnicht.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gesammelt ?
Gruß,
Matthias
Österreichteil "Fest soll mein Taufbund": Beeindruckende Harmonisierung auf Basis von I, IV, V. Dazu null Sinn für das voranschreitende Metrum. Das hätte selbst ich besser hinbekommen. Das alte Orgelbuch wird noch zu horrenden Schwarzmarktpreisen gehandelt werden.
Hallo,
Zitat von Matthias
Habe mir mal den 4-stimmigen Satz beim dem Lied "Vertraut den neuen Wegen" angeguckt. Ich habe festgestellt, dass der Satz aus Münster von dem Referat Kirchenmusik kommt (bis dahin war noch alles in Ordnung). Doch dann - an 2 Stellen Quintparallelen Alle Stimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) bewegen sich nach oben. Das finde ich geht garnicht.
ich kenne das Lied nicht, bei NGL kann das aber u.U. ganz bewusst so gemacht sein. Dennoch: Liegen wirklich alle Stimmen im Quint-/Oktavabstand und gehen gleichschrittig nach oben?
Zitat von Gemshorn
Österreichteil "Fest soll mein Taufbund": Beeindruckende Harmonisierung auf Basis von I, IV, V. Dazu null Sinn für das voranschreitende Metrum. Das hätte selbst ich besser hinbekommen.
die Sätze im Orgelbuch sind ja so gehalten, dass sie auch von D-Organisten oder Leuten, die vom Klavier kommen spielbar sind (also auch ohne Pedal). Dann kann bei der Taufe auch mal der große Bruder ran, der erst 2 Jahre Klavierunterricht hat. Im evangel. Orgelbuch gibt es oft 2 Sätze unterschiedlichen Schwierigkeits- bzw. Komplexitätsgrades, einer meist 3stimmig. Das finde ich sinnvoll.
Die Sätze im neuen Hamburger Anhang sind z.T. etwas einfacher, liegen gut in Hand und klingen ordentlich.
Beste Grüße von der Waterkant
Christoph p.
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