Hallo Leute,

heute früh brachte der Postillon ein dickes Paket, enthaltend u.a. das "Chorbuch Gotteslob" aus dem Hause Carus.
Ein erstes Durchblättern hat mich spontan begeistert. Da ist ein wirklicher Geniestreich gelungen.
Zu rund 200 Chorälen aus dem Stammteil gibt es: 1. Orgelintonation, 2. Überchor Frauen-/Kinderstimmen, 3. dreistimmiger Frauenchor (z.T. Überchor), 4. dreistimmiger gem. Chor (SABar), 5. vierstimmiger gem. Chor und 6. Orgelbegleitsatz.
Das Geniale daran: 1. alles passt zusammen. d.h. der Orgelsatz ist mit allen Chorsätzen zu verwenden und die Chorsätze sind beliebig kombinerbar. Wer also z.B. mal einen dicken Satz à la Mendelssohn machen will, kombiniert den vierstimmen mit dem Frauenchorsatz und sofort hat man sieben Stimmen.
2. die Sätze klingen richtig gut. Da haben die Herren Kompositeure hörbar nicht gegen Chor, sondern für Chor geschrieben. (Ich denke mit Grausen an die Chorhefte zum GL aus den 70ern, in denen die damaligen tonangebenden Tonsetzer der kath. KiMuSzene ihre ÖDe und SpröDe auslebten, damit auch nur keine Freude am Klang aufkam.) Ich denke, die Chöre werden viel Spaß mit dieser rundum gelungenen Edition haben.

Und jetzt kommt der Clou:

Es gibt dazu einen Orgel-Begleitband. Der enthält die knappen, aber soliden Vorspiele und die vierstimmigen Begleitsätze, die ebenfalls mit Sachverstand und Klangsinn gemacht sind. Eine echte Alternative zu den offiziellen Orgelbüchern, deren Erscheinen ja z.T. auf ein bedeutendes Heiligenfest (den St.-Nimmerleins-Tag) verschoben ist.
Denn den Band GIBT es schon ...
Und man kommt damit ziemlich weit, da fast alle gängigen Lieder berücksichtigt sind.

Ich hatte jedenfalls eine Menge Freude beim Durchblättern und werde heute Abend mal systematisch drüberbügeln.

LG
Michael

Ich hatte erwähnt, dass ich den Band durchgeblättert habe, nicht durchgearbeitet.

Beim Durcharbeiten achte ich im Wesentlichen darauf, dass es klingt - nicht, ob alle Tonsatzregeln eingehalten wurden. Ich unterstelle, dass die Kollegen, die da zu Gange waren, diese Regeln beherrschen und sie - wenn - dann bewusst durchbrechen.
Beim Durchspielen gestern Abend habe ich sehr viel gefunden, was einfach gut klingt. Harmonisch "verquer" ist da m. E. nichts, ungewohnt und originell schon. Und eine Gemeinde, die dann glaubt, "Der Chor singt falsch", wenn mal ein paar Durchgangsdissonanzen auftreten oder leere Quinten auf den Zeilenschlüssen stehen (die bei Schütz alle Nase lang vorkommen), blieb wohl offenbar verschont von den Opera von Augst, Schieri und anderen Protagonisten der "neuen Sachlichkeit", die in meinen Studienjahren als Nonplusultra zeitgenössischer Sakralmusik propagiert wurden. Wohl ihr ...
Dass der Orgelsatz quasi obligat ist, war mir bewusst. Die Sätze sind nicht a capella konzipiert.
Auch dass Carus nicht gerade billig ist, habe ich selber mehrfach moniert. Nichtsdestotrotz bleibt bei mir der Eindruck einer sehr gelungenen Publikation. Wer's nicht braucht, kann ja selber dichten oder sich anderswo bedienen.
Druckqualität und Bindung sind vorbildlich - üblicher Carus-Standard. Und das Satzbild im Chorleiterband als "Orchesterpartitur" empfinde ich als äußerst vorteilhaft. Ich sehe auf einen Blick, was möglich ist.

Die Rezension in "musica sacra" liegt mir nicht vor. Ich bin nicht Bezieher. Aus den Jahren, in denen "MS" mir dienstlich zugänglich war (zugegeben: ist schon fast vier Jahrzehnte her) habe ich aber in Erinnerung, dass dort Sammlungen sehr gern verrissen und zerpflückt wurden - von denen, die nicht als Mitautoren oder Editoren zum Zug gekommen waren ...

Nicht zuletzt gilt immer: Wer's besser kann, möge es tun.

LG
Michael

Tja, bei "Nun danket" habe ich mich auch gefragt, wie das Ding durch das Lektorat gerutscht ist. Der Maestro Compositore ist kein gelernter Kirchenmusiker, sondern in der Bandszene aktiv. Da hat er sich einen "Namen" gemacht mit "modernen" Adaptionen von Paul Gerhardt-Chorälen. Horrybly, indeed. Als sowas bei uns mal über den Sender ging, haben die Hörer sich reihenweise beschwert - nicht zu Unrecht ...

Bei "O Jesu" ist allein der Begleitsatz es wert, im offiziellen Orgelbuch zu stehen. Da hat der Kollege seinen Bruckner sehr ordentlich studiert und imitiert. Ganz große Klasse, finde ich. Und die Chorsätze stehen dem in nichts nach.
Einer Gemeinde, die am liebsten Durkadenzen hört, sollte man es freilich nicht zumuten, für die gibt es Langweiligeres ...

LG
Michael