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Physis: Mehr Parameter, bitte!
Soeben kehre ich von einem netten Abend bei PeterW heim. Dieser Abend war auch - gar nicht unüblich - allerlei philosophischen Betrachtungen zum Thema Orgel gewidmet.
Eine "Frucht" unserer Gespräche war die Feststellung eines Bedarfs:
Unserer Einschätzung nach benötigen Physis-Orgeln dringend 2-3 zusätzliche Parameter!
Woran ist dabei gedacht:
Zuvörderst um eine Beeinflussbarkeit des "Ankratz"geräusches. Dieses Geräusch, das nur Sekundenbruchteile den Pfeifenklang begleitet, trägt ganz entscheidend zur letztendlich wahrgenommen Klangcharakteristik bei. Der Charme des Pfeifenklangs gründet in den meisten Fällen auf genau jenen Geräuschen am Beginn des Tons.
Nun ist auf diese Dimension des Pfeifentons bislang kein direkter Zugriff möglich. Die bisherigen Parameter "Character" und "Attack" üben allenfalls einen indirekten, jedenfalls aber unzureichenden Effekt auf das Anblasgeräusch aus; an eine direkte Beeinflussung ist mit den derzeitigen Intonationsmitteln nicht zu denken.
Wir finden das schade, weil so ein nicht unerhebliches Potenzial von Physis ungenutzt bleibt.
Unseres Erachtens braucht es daher:
- einen Parameter "Chiff" (oder wie immer man ihn nennen mag), wo eine kleine Auswahl unterschiedlicher Anblasgeräusche bereitgestellt wird,[/*]
- einen Parameter "Chiff Length", mittels dessen auf die Dauer des Anblasgeräusches Einfluss genommen werden kann,[/*]
- einen Parameter "Chiff Depth", wodurch die Intensität/Tiefe des Anblasgeräusches geregelt werden kann.
Allfällige Ängste von Hersteller und Händlern, dass die Orgel dadurch verschlimmbessert werden könnte, sind gegenstandslos; dies ist nämlich auch jetzt schon möglich. Zudem gibt es jederzeit die Option, einen Reset durchzuführen. :zwinker:
Dies als kleiner Beitrag zur weiteren Perfektionierung der Physistechnologie aus unserer ganz privaten Denkfabrik.
Hallo Gemshorn,
ich habe mich mit den Parametern der Physis-Orgeln noch nie beschäftigt, da ich ja keine habe. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass genau die von Dir beschriebenen Parameter schon beeinflussbar sind!
Zusätzlich würde ich noch folgende Möglichkeit vorschlagen:
Einen Parameter, der für eine Ungleichmäßigkeit innerhalb des Manuals sorgt. Damit meine ich natürlich nicht, dass auf jeder Taste jedesmal ein anderer Wert zufällig erzeugt wird, aber dass nicht allen Tasten derselbe Wert zugeordnet ist. Man könnte dann von 0 (völlige Gleichmäßigkeit) bis n (maximale Ungleichmäßigkeit) je nach Geschmack einstellen und hätte so eine zusätzliche Lebendigkeit.
Viele Grüße
Günther
Prinzipiell: Gute Idee!
Aber: Ungleichmäßigkeit im Bezug auf...?
Einen gewissen Random-Effekt gibt es jetzt schon, da jeder Ton je neu generiert wird und hinsichtlich seines Ablaufes fluktuiert - gleichsam wie bei einer Pfeife, wo durch den niemals völlig gleichen Windfluss eine Varianz erzeugt wird.
Hallo Gemshorn,
ich meinte damit letztlich die von Dir ins Gespräch gebrachten Parameter Chiff Length und Depth, denn das ist ja auch bei einer PO nicht gleichmäßig. Das sollte natürlich nicht völlig beliebig sein, damit wir uns da nicht falsch verstehen, also weder während des Spielens jedesmal anders, noch nach jedem Einschalten der Orgel anders. Meines Erachtens würde es reichen, wenn man jeder Taste einen eigenen Wert zuordnen könnte und das sollte bei der heutigen Technik wahrlich kein Problem sein. Vielleicht wäre das ja auch schon im Rahmen des von Dir beschriebenen Modells vorhanden, das kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe, damit ist meine Idee etwas klarer geworden.
Viele Grüße
Günther
#5 RE: Physis: Mehr Parameter, bitte!
Aus meiner Sicht ist das nicht authentische Ansprechgeräusch der Physis-Technologie der Hauptgrund, wieso ich Sampling Technologie vom Klang für klar überlegen empfinde und mich letztlich gegen Physis-Technologie entschieden habe.
Von daher wäre eine Verbesserung an dieser Stelle sehr wichtig. Leider kann ich nicht beurteilen, ob und wie das funktionieren kann.
Viele Grüße
Michael
Um Unterstellungen vorzubeugen, schicke ich erst einmal voraus, daß der Abend mit Gemshorn alkoholfrei verbracht wurde, obwohl ein geöffneter Doppler Blaufränkisch auf dem Tisch stand. :zwinker:
Inzwischen sind mir ein paar prinzipielle Schwierigkeiten zur Umsetzung einer Beeinflussung der Anblasgeräusche (das gehört ja zur eigentlichen Intonation bei der Pfeife!) aufgestoßen.
Hinter dem Begriff "Voice" (z. B. im Verzeichnis der "alternative voices" steht jeweils eine Datei mit einem eineindeutigen Dateinamen.
Diese Datei sollte alle Informationen zur Generierung des Tones von der ersten Schwingung des Chiff bis zum ruhenden Ton enthalten, vermutlicher und vernüftiger Weise in Form einer Differentialgleichung oder nur deren Parameter, die den Einzelton in seinem zeitlichem Ablauf als »voice definition engine« charakterisieren. Das bedeutet, daß diese Datei als »statischer Speicher« (s. u.: Patentzitat) ein geschlossenes System darstellt und als Monolith ausschließlich im Klanglabor des Herstellers mit ganz anderern Werkzeugen als denen für die Customer-Intonation (die auf die Parameter der nachgeschalteten Filter zugreift) zugänglich ist.
Damit relativiert sich (leider) das "Mehr Parameter, bitte", denn die "Voice" wird auf einer tiefen Ebene des Systems aufgesetzt. Der Wunsch nach Customer-Parameterisierung auf dieser Ebene dürfte sich im Antagonismus zwischen Wollen und Können des Kunden sehr schnell erschöpfen, abgesehen von durchaus legitimen Interessen des Herstellers.
Selbst wenn ein Zugriff auf diese Ebene möglich wäre, sind dann mißglückte »Voices« nicht mehr einfach durch ein Reset wieder geradezurücken.
Ein Blick ins USP 7442869 (dort komplett auch als PDF) kann womöglich einiges erleuchten. Obwohl ... uuuuh, das ist insgesamt ziemlich starker Tobak. :S
Hier ein kleines Stück Übersetzung (Hervorhebung PW):
Zitat
Die numerischen Parameter des Simulationsprogramms sind teilweise in einem statischen Speicher enthalten und teilweise durch die Verarbeitung von Informationen aus einem Keyboard und aus einem Satz von Benutzersteuerungen in Echtzeit erhalten. Sie bestimmen die Grundeigenschaften des erzeugten Schalls, unter denen die Hauptmerkmale sind Tonhöhe, Intensität, Zeit Umschlag, harmonische Zusammensetzung und vom Zufall abhängige Komponente.
@ Baerpfeife: Die von Dir gewünschte Einzeltonindividualisierung - wenn ich Dich richtig verstanden habe - ist seit jeher mit dem Physis-Editor möglich. Es erfordert nur Handarbeit, und ich frage mich, ob ich das wirklich wollen würde, weil mir für die Lebendigkeit des Klangs die Fluktationen ausreichen, insbesondere bei den Modellen mit Faltungshall (Concerto, Sonus).
Zitat von Niederrheiner
Aus meiner Sicht ist das nicht authentische Ansprechgeräusch der Physis-Technologie der Hauptgrund, wieso ich Sampling Technologie vom Klang für klar überlegen empfinde [...]
Was wäre für Dich ein "authentisches Anblasgeräusch" eines bestimmten Registers? Wenn Du das definieren kannst, ist die PM-Nachbildung im Klanglabor kein Problem. Dann kannst Du Donnerschlag, Pistolenschuß oder eine Blähung beim Kaffeekränzchen als Anblasgeräusch bekommen. Du mußt nur wissen, was Du willst - und es "authentisch" vermitteln können.
An den noch unzureichenden Definitionen, was der individuelle Organist zu welchem Zeitpunkt der Tonentwicklung wie hören will, krankte PM in der Anfangszeit. Das hat sich entscheidend verbessert, und ich sehe noch kein Ende der Entwicklung.
Es in dieser Frage allen recht zu machen, bedeutete die Quadratur des Kreises.
In gleicher Weise ergeht es jedem, der eine fremde PO bespielt. Entwender er schlußfolgert "genau mein Ding" oder "inspiriert mich nicht", während ein anderer zu umgekehrter Einschätzung kommt. Andererseits werden wir uns alle (im Bereich der natürlichen Standardabweichung) bei vielen PO ziemlich einig sein.
Zitat von Niederrheiner
Leider kann ich nicht beurteilen, ob und wie das funktionieren kann.
Eben.
Zitat
Aus meiner Sicht ist das nicht authentische Ansprechgeräusch der Physis-Technologie der Hauptgrund, wieso ich Sampling Technologie vom Klang für klar überlegen empfinde und mich letztlich gegen Physis-Technologie entschieden habe.
Ich hatte auf dem schon angesprochenen IKT die Möglichkeit, kurz eine Concerto 234 - zugegebenermaßen über Kopfhörer in geräuschvollem Umfeld - in barocker Intonation anzuspielen und muss zugeben, dass ich genauso empfunden habe. Irgendwie klingt es "hart und metallisch" und erinnerte mich an die Gloria Cantus, deren Klang ich auch nicht unbedingt mag.
Zitat
ich habe mich mit den Parametern der Physis-Orgeln noch nie beschäftigt, da ich ja keine habe. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass genau die von Dir beschriebenen Parameter schon beeinflussbar sind!
Das geht mir genauso!
Natürlich müsste ich zu einem belastbaren Urteil die Concerto nochmal in vernünftigem Umfeld spielen. Aus meiner derzeitigen Perspektive wäre das für mich aber ein Grund, eine Concerto auf keinen Fall zu kaufen.
Allerdings muss ich sagen, dass das für mich plausibel ist. Bis heute sind die exakten physikalischen Vorgänge beim Einschwingen einer Pfeife nicht vollständig erforscht. Um dieses Geräusch über PM nachzubilden hilft also nur, Klangaufzeichnungen davon zu analysieren. Da beim Einschwingen in sehr kurzer Zeit sehr viel passiert, ist das ein recht komplexes Unterfangen. Außerdem hängt dabei viel von der analysierten Klangbasis ab. Liegt hierin vielleicht auch der Grund, weshalb ich das barocke Anblasgeräusch der Concerto ebensowenig mag wie das der Cantus?
Zur Klarstellung: Das alles gilt nur für das barocke Anblasgeräusch. Der stehende Klang ist wunderbar lebendig und der Sound der französischen Intontation hat mich selbst über Stadionbeschallung abgestrahlt echt umgehauen!
Zitat von Machthorn
Bis heute sind die exakten physikalischen Vorgänge beim Einschwingen einer Pfeife nicht vollständig erforscht.
... und das "Vollständig" wird es auch nie geben, denn mit jeder beantworteten Frage wird man mit einem Bündel neuer Fragen zugekippt. So ist das nun mal in der Physik - ständig.
Doch ist es auch nicht nötig, die Physik der Einschwingvorgänge lückenlos zu klären, weil nur das zaehlt, 'was hinten rauskommt' [Zit. DS], und das ist das akustische Ergebnis, das sich durch partielle nichtlineare Differentialgleichungen sehr gut abbilden läßt (s. u.).
Zitat von Machthorn
Um dieses Geräusch über PM nachzubilden hilft also nur, Klangaufzeichnungen davon zu analysieren.
Genau das ist/wird ja gemacht, doch es gibt sie als Vorbild, losgelöst vom Raum, nicht: "Die barocke Orgelpfeife". Hier liegt das Hauptproblem,
Zitat von Machthorn
Da beim Einschwingen in sehr kurzer Zeit sehr viel passiert, ist das ein recht komplexes Unterfangen.
Gar nicht so kompliziert, da wir das Einschwinggeräusch selbst im Bereich von Mikrosekunden leicht auflösen können.
Ich bleibe dabei: Der Organist muß wissen was er will, und der Programmierer muiß verstehen, was der Organist will. Daß das Interface dazwischen nur schwer funktioniert, ist menschlich.
Wer sich (als ehemaligen Teilnehmern des Physik-Leistungskurses) tiefer in die Materie hineinlesen will:
http://en.wikipedia.org/wiki/Physical_modeling
http://en.wikipedia.org/wiki/Digital_waveguide_synthesis
http://en.wikipedia.org/wiki/Wave_equation
http://en.wikipedia.org/wiki/Acoustic_wave_equation
http://en.wikipedia.org/wiki/Karplus-Strong_string_synthesis
Die wesentlichsten Weisheiten auf diesem Gebiet stammen aus der Stanford. Daher sei für diejenigen, die immer noch genug haben, an diese Seite verwiesen.
"Geht nicht" gibts nicht! :zwinker:
Letztlich ist mir das Wie der Realisierung auch völlig egal - nur das Dass zählt.
Und zum angesprochenen Interface zwischen Organist und Programmierer mag ich nur sagen: Es hat doch schon funktioniert, und nicht erst einmal. Notfalls müssen Organist und Programmierer eben ne "Fortbildungsreise" zu schönen Orgeln unternehmen. :angel:
Zitat
Gar nicht so kompliziert, da wir das Einschwinggeräusch selbst im Bereich von Mikrosekunden leicht auflösen können.
Das hängt von der Umsetzungsmethode ab. Will man das als Summe von Funktionen abbilden, die die ablaufenden Schwingungen wiedergeben, wird es tatsächlich aufwändig. Alternativ lässt sich das natürlich als abzuspielendes Sample lösen, das geht leichter, kostet aber mehr Ressourcen im Instrument und lässt weniger Raum zum Modellieren.
#13 RE: Physis: Mehr Parameter, bitte!
Bei der Pfeife sind am Vorläuferton bis zum Dauerton folgende Variablen beteiligt:
Am Fuß: Fußlochdurchmesser, Fußlochform - eingekulpt oder ausgerieben - in welchem Umfang?
Im Fuß: Länge des Fußes, weite des Fußes an der Mündung und am Kern;
Am Kern: Kerndicke, Winkel der Kernfase, Kernstellung, Kernstiche - Zahl und Intensität;
Am Oberlabium: Position des Oberlabiums, Fase des Oberlabiums;
Am Pfeifenmaul: Breite, Aufschnitthöhe, Positionierung der Seitenbärte;
Am Pfeifenkörper: Mensur, Pfeifenlänge (Überlänge?), Stimmschlitz oder Expression? Länge und Breite des Stimmschlitzes, Stimmschiebers; bei auf Tonlänge geschnittenen Pfeifen: ein- oder ausgerieben? In welchem Maß? (Durch häufiges Stimmen zerklopfte Mixturpfeifen machen die eigenartigsten Geräusche, bevor sie sich zu einem Dauerton bequemen.)
Und nicht zuletzt: Winddruck - in Abhängigkeit zu den Nachbarpfeifen auf der Kanzelle.
Material der Pfeife und Wandstärken lasse ich der Einfachheit halber weg.
ALLE diese Parameter stehen miteinander in Wechselwirkung. Ein Intonateur braucht ein ganzes Berufsleben, um rational und intuitiv zu erfassen, welchen Parameter er wie weit bearbeiten muss, um eine optimale Ansprache der Pfeife im Sinn der gewünschten Stilistik und Ästhetik zu erreichen. Und er erreicht immer nur Näherungswerte. Das Ansprechen einer Pfeife ist also ein gigantisches Integral. Und ich weiß nicht, ob es gelingt, das in Einzelwerkzeugen von Physis abzubilden - so, dass der User etwas damit anfangen kann.
Ich würde jedem raten, der keine Orgelpfeife intonieren kann, die Finger von diesen Werkzeugen zu lassen. Denn ihre wichtigste Funktion wäre wohl der "reset"-Button ...
LG
Michael
Mal rasch auf you Tube unter : Feike Asma Johannus, einfach mal Vorbehalte weg und anhören.
Seelige Zeiten wo es einfach nur ums Musizieren --Musikmachen ging.
Traumhaft die Idee von Johannus Gründer Hans Versteeght: "So wie man den Prinzipal einer Hinsz oder Witte Bätz Orgel als unverwechselbar klingend wahrnimmt, soll ein Prinzipal einer Johannus Orgel ebenso unverwechselbar sein."
Oder Ahlborn in seinem Prospekt von 1973: "Wir wollen andere Wege gehen als nur eine Imitation der Pfeifenorgel sein zu wollen. Wir bauen eigene selbständige Musikinstrumente.Schon unsere Tonerzeugung hat nichts mit der einer Pfeifenorgel zu tun. Daher ist es der falsche Weg, für die Lautsprecherfront etwas wie eine Pfeifenfront zu benutzen wie dies leider manchmal geschieht."
Was ist davon seitens deren Nachfolger übriggeblieben?
Gruss
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