Grand Jeu - oder was?

23.01.2015 20:41
avatar  Aeoline
#1 RE: Grand Jeu - oder was?
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Also ich bin jetzt ziemlich verwirrt.



Ich habe unterschiedliche Ratschläge bekommen, unterschiedliche Quellen studiert und unterschiedliche Auslegungen entdeckt...



Was - zum Geier - ist denn nun wirklich das "Grand Jeu" auf einer romantisch-sinfonischen Orgel à la St. Ouen in Rouen?

- Nur Cornet und alle Zungen 8' und 4'?
- oder doch die Flöten 8', 4', 2 2/3', 2' und 1 3/5' aller Werke dazu?
- oder doch die Grundstimmen aller Manuale dazu?
- was ist mit den Zungen 16' ?
- die Contrabombarde 32' im Pedal auch?
- die Chamade(n) ?
- Koppeln ?

Nehmen wir mal an, ihr tätet Charles-Marie Widor sein wollen und ihr tätet 1890 zur Einweihung an der Orgel in Rouen sitzen wollen und es täte jemand zu euch sagen wollen:

"Hey! - Charles-Marie - registrier' uns doch mal ein sattes Grand Jeu nach Deinen Vorstellungen"

...welche Register wären zu wählen?

LG
Aeoline


Organisten leiden oft an einer schlimmen Krankheit: Augentinnitus - Man(n) sieht nur noch Pfeifen...

Viscount Unico 400 DE [V1.14.19] (56/III/P) : ab 11.2012
Johannus Opus 520 (45/II/P) : 10.1987-11.2012
Siel HB 700 (9/II/P) : 1977-09.1987)

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23.01.2015 20:53
#2 RE: Grand Jeu - oder was?
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Administrator

Grand Jeu bedeutet:

Zitat
(franz.) Lingualplenum mit 8? und 4?-Zungenstimmen und Cornet, im Hauptwerk Trompette 8? + Clairon 4? + Cornet 8? 5f. + Bourdon 8? + Prestant 4?, im Positiv auch mit Cromorne 8? + (Bourdon 8? +) Prestant 4?, dort auch als petit jeu bezeichnet, vgl. plein jeu


(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Orgel-Glossar#G)


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23.01.2015 21:10
#3 RE: Grand Jeu - oder was?
Ma

Zitat von Gemshorn
Grand Jeu bedeutet:

Zitat
(franz.) Lingualplenum mit 8? und 4?-Zungenstimmen und Cornet, im Hauptwerk Trompette 8? + Clairon 4? + Cornet 8? 5f. + Bourdon 8? + Prestant 4?, im Positiv auch mit Cromorne 8? + (Bourdon 8? +) Prestant 4?, dort auch als petit jeu bezeichnet, vgl. plein jeu


(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Orgel-Glossar#G)



Das ist das klassische Grand Jeu, das an sozusagen jeder klassisch-französischen Orgel geht. Bei Nivers wird übrigens auch der Bourdon 16' dazugezogen!
Ich denke, gerade in Rouen dürfte man das durchaus ein wenig satter registrieren [wink]
Will heißen: Natürlich hatten die alten Franzosen in der Regel auf ihren Instrumenten keine Contrebombarde 32' zur Verfügung. Aber wenn sie sie gehabt hätten, hätten sie sie doch bestimmt bei den plakativen Dialogues ihrer Literatur benutzt! Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass ein romantischer Organist auf der mächtigen CC in St. Ouen, wenn er denn ein klassisches Grand-Jeu-Stück (aus der Guilmant-Ausgabe) gespielt hat, nur dogmatisch-streng das klassische, o.a. Grand Jeu gezogen hätte.

In der französischen Orgelromantik gibt es ja das Grand-choeur statt dem Grand Jeu als Registrieranweisung; ersteres setzt sich laut Guilmant wie folgt zusammen:
A, les jeux de fond (die Grundregister 16', 8', 4'
B, les jeux de mutation (Aliquoten, auch Mixturen)
C, les jeux d'anches (die Zungenregister)
Allerdings warnt Guilmant an anderer Stelle davor, Cornets und Pleins-jeux unüberlegt zu mischen (was ja im klassischen Spiel verboten war, genau wie Zungen + Prinzipal 8' und / oder 2'.
(zitiert nach Laukvik, Orgelschule zur historischen Aufführungspraxis, Teil 2, Romantik, S. 200)

Gloria Concerto 350 Trend

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23.01.2015 21:26
avatar  Aeoline
#4 RE: Grand Jeu - oder was?
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OK.

Bis jetzt heißt das: Cornet und Zungen 8' und 4' plus Flöten 8' und Prinzipale 4' und auch Bourdon 16'

Da zufällig eine Contre Bombarde 32' verfügbar ist, täte ich sie dabei nehmen wollen... [wink]
...und die 16' Linguale in den Manualwerken und im Pedal?

Was ist mit den Koppeln? - was-haste-was-kannste?

LG
Aeoline


Organisten leiden oft an einer schlimmen Krankheit: Augentinnitus - Man(n) sieht nur noch Pfeifen...

Viscount Unico 400 DE [V1.14.19] (56/III/P) : ab 11.2012
Johannus Opus 520 (45/II/P) : 10.1987-11.2012
Siel HB 700 (9/II/P) : 1977-09.1987)

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23.01.2015 22:08
#5 RE: Grand Jeu - oder was?
Ma

Hi Harald,

ich habe gerade mal in der Couperin-Ausgabe von Schott (Herausgeber F. A. Guilmant) geschaut.

Bei dem großen "Offertoire sur les Grand Jeux" aus der Pfarreien-Messe (Seite 29 hier) steht eine Registrieranweisung von Guilmant, die zeigt, wie er das klassische "Grand Jeu" an einem modernen (d. h. französisch-romantischen Instrument) umsetzt, mehr oder weniger als Grand Choeur:

Gd Orgue: Grand Choeur, Récit accouplé
Récit: à defaut de Cornet, Fonds 8, 4, 2, Hautbois. (Anches préparées.) Boîte ouverte.
Positif: Trompette, Bourdon, Flûte 4.
PéDale: Fonds 16, 8, 4. (Anches préparées).

Also: Im Hauptmanual das oben dargestellte Grand Choeur, quasi ein Tutti, dazu angekoppeltes Schwellwerk. Am Anfang ist ein PéDale de Flûtes verlangt. Später kommen dann die Tirasse GO und die Pedalzungen dazu, ebenfalls wohl die Récit-Zungen!
Am Anfang sind die Récit-Zungen noch nicht dabei, in Takt 8 bei der vorgenannten PéDale-de-Flûtes-Stelle ist ein Dialog zwischen rechte Hand Pos (siehe oben), linke Hand das Récit-Kornett.

Wenn das GO Grand Choeur spielen soll, dann bedeutet das für mich (siehe oben das Zitat): Quasi alles, was bei dem jeweiligen Instrument verfügbar ist. Inkl. Prinzipale, Flöten und Zungen 16', 8' und 4', Aliquoten und (französischer) Mixturen, wenn man sie denn hat, oder? In Rouen also auch das zugekoppelte Bombarde mit den Zungen (man hat ja das HW auf zwei Manuale, II und IV, aufgeteilt), aber vermutlich nicht die GO-Chamaden. Ich denke, bei so viel 16'-Grundlage darf dann auch der 32' im Pedal ran...

Gloria Concerto 350 Trend

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24.01.2015 08:41
#6 RE: Grand Jeu - oder was?
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Moderator

Die Registrieranweisungen von Guilmant in den Schott-Klassikerausgaben sind natürlich mit allergrößter Vorsicht zu genießen. Die Ausgaben altfranzösischer Meister entstanden ja quasi als Frucht der Trocadero-Konzerte Guilmants. Und auf die dortige Orgel ACCs waren die Registrierungen gemünzt, die in den Heften stehen. "Grand jeu" meint keine sklavisch zu befolgende Registerliste, sondern ein Klangbild: kraftvoll, dunkel, rund und gravitätisch. Ob da jetzt der Manual-16' drin ist oder ein Clairon 4', das entscheiden die lokalen Verhältnisse und der "bon gout" des Interpreten. Auf jeden Fall hat das "Grand jeu" im Gegensatz zum "Plein jeu" keine Mixturen, dafür aber Aliquoten und das Cornet.

Ich hatte mal einen frz. Kollegen zu Gast - ein guter Improvisator aus der Cocherau-Schule. Meine damalige Dienstorgel hatte im Hw eine Quinte 5 1/3'. Er registrierte Grand-jeu-Mischungen immer mit dieser Quinte, mit den Hw-Zungen 16' und 8', dafür ganz ohne labialen 8'!
Es klang irre. Wie eine Schaufel feuriger Kohlen ... Ich habe diesen Klang sogar noch auf Tonband...

LG
Michael


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24.01.2015 08:50
#7 RE: Grand Jeu - oder was?
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Administrator

Zitat von Wichernkantor
Ich hatte mal einen frz. Kollegen zu Gast - ein guter Improvisator aus der Cocherau-Schule. Meine damalige Dienstorgel hatte im Hw eine Quinte 5 1/3'. Er registrierte Grand-jeu-Mischungen immer mit dieser Quinte, mit den Hw-Zungen 16' und 8', dafür ganz ohne labialen 8'!
Es klang irre. Wie eine Schaufel feuriger Kohlen ... Ich habe diesen Klang sogar noch auf Tonband...


Das muss ich demnächst an meiner Concerto ausprobieren. Klingt gewagt, aber spannend. rgel:


Auf Orgelsuche.

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24.01.2015 09:02
#8 RE: Grand Jeu - oder was?
Ma

Zitat von Wichernkantor
Auf jeden Fall hat das "Grand jeu" im Gegensatz zum "Plein jeu" keine Mixturen, dafür aber Aliquoten und das Cornet.


Es geht Aeoline doch aber um die Umsetzung eines Grand Jeu auf seiner auf CC disponierten und intonierten Unico...
Guilmant empfahl ja aber in der oben verlinkten Originalquelle - oder war er als Herausgeber nicht an den Registriervorschlägen beteiligt? - eben speziell für eine CC (!) ausdrücklich das Grand Choeur zur Wiedergabe der Grand-Jeu-Stücke, und lt. dem Zitat von ihm oben können dort auch Mixturen enthalten sein...?
Auf unseren deutschen Instrumenten würde ich natürlich nie ne Mixtur ziehen. Ich wäre hier allgemein sehr vorsichtig mit dem Einsatz einer Mixtur zu den Zungen, da kämen für mich erst mal alle Kornettfarben an die Reihe.

Es gibt in der oben zitierten Quelle einen ganz guten Aufsatz, wie man die frz. Romantik vorzugsweise auf "heutigen" deutschen Instrumenten (d.h. keine CC-Verschnitte, die ja heute hierzulande gang und gäbe sind) einrichten kann.

Zitat von Gemshorn

Zitat von Wichernkantor
(...) hatte im Hw eine Quinte 5 1/3'.


Das muss ich demnächst an meiner Concerto ausprobieren. rgel:



Hast du eine? Ich habe keine. Wenn ja, bitte her damit! Dafuer: :help:

Gloria Concerto 350 Trend

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24.01.2015 09:03
#9 RE: Grand Jeu - oder was?
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Administrator

Huch, habe ich zu schnell geschossen? Ist in der ganzen Bibliothek keine?


Auf Orgelsuche.

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24.01.2015 09:05
#10 RE: Grand Jeu - oder was?
Ma

Nope.
Steht schon als Wunsch in meiner laufend aktualisierten Physis-Wunschliste mit drin.

Gloria Concerto 350 Trend

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24.01.2015 09:08
#11 RE: Grand Jeu - oder was?
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Administrator

Dann entschuldige bitte... wollte keine falschen Hoffnungen wecken... :S


Auf Orgelsuche.

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24.01.2015 09:37
#12 RE: Grand Jeu - oder was?
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Moderator

Jo, Guilmant hat das alles natürlich aus der Perspektive des romantisch-symphonischen Komponisten und Interpreten gedacht - im Interesse einer "aktualisierenden" Interpretation. Es war sein Versuch, den franz. Barockstil auf die Orgel seiner Zeit zu "übersetzen" - und nicht zu kopieren. Dasselbe taten ja die Bearbeiter, die Bach-Orgelwerke auf das Klavier übertrugen - sie wollten der Musik "mehr Ausdruck" geben, um sie modernen Zeitgenossen zu erschließen.
Widors (vor allem in der l.H.) stets sehr hoch geführter Manualpart stellt schon die Gegenbewegung dar. Er reagierte damit auf die "Gravität" der Manual-16'er und wollte es durchhörbarer. In seinen letzten Lebensjahren schrieb er mehrfach, dass er sich ACCs Zungen diskreter wünsche ... Die großen Schlachtschiffe (Rouen), die uns heute so faszinieren, waren ihm schlicht zu grobschlächtig für seine (im Vergleich zu anderen Zeitgenossen) filigranen späten Sinfonien.

LG
Michael.


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24.01.2015 11:33
#13 RE: Grand Jeu - oder was?
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Moderator

Wie bereits a.a.O. erwähnt: Sehr hilfreich für die Registrierpraxis barocker Musik im allgemeinen und der Bach'schen im besonderen sind diese zwei kleinen Schriften von Hans Klotz:

1.) "Pro Organo Pleno - Norm und Vielfalt der Registriervorschriften J.S. Bachs"

2.) "Studien zu Bachs Registrierkunst"

Beide erschienen als Jahresgaben der Internationalen Bachgesellschaft in den 70ern, herausgegeben bei Breitkopf.
Vermutlich lohnt es sich, mal bei http://www.zvab.de danach zu fahnden ...

LG
Michael


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