Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Darf man einen Bach "verhunzen"?
Hallo zusammen,
Ich erinnere mich gerade an meine Anfänge als Dauer-Dorf-Organist. Nachdem ich über Jahrzehnte nur äußerst sporadisch an irgendwelchen Orgeln saß (von der Gestaltung von Gottesdiensten ganz zu schweigen), brütete ich in meinem ersten Jahr als kleiner Dorforganist am Vorabend des Heiligen Abend völlig verzweifelt über meinem (damals noch spärlicheren) Repertoire. Mein Gedankengang war so etwa "Du kannst doch nicht am Heiligen Abend sowas wie die D-Moll Toccata spielen..." Dann kam mir die Idee, aus selbiger eine D-Dur Toccata zu basteln, was auch recht schnell funktioniert hat. Die Tage habe ich der Gaudi halber das C-Moll Präludium (BWV 549) mal in C-Dur ausprobiert - klingt auch ganz nett
Meine Mutter war damals völlig entsetzt und hat darin fast ein Sakrileg gesehen [grin] Nach dem, was ich über Bach weiß, finde ich selbst so einen "kreativen" Umgang mit seinem Material nicht so dramatisch - die Rückmeldungen von der Gemeinde waren auch durchweg positiv...
Wie seht ihr das? Darf man bestehende Orgelliteratur dergestalt verändern oder geht das zu weit? Habt ihr ähnliche Sachen schon mal ausprobiert?
LG, Gerhard
Mit dem Begriff »verhunzen« tue ich mich etwas schwer, ist er doch ein Synonym für »verunstalten/verderben«.
Andererseits hat Basti uns einen so gewaltigen Fundus an musikalischen Ideen hinterlassen, so daß man nicht zu zögern braucht, daraus zu schöpfen und etwas (partiell) eigenes zu schaffen. Übrigens galt es zu seinen Zeiten als Reverenz, wenn man Zitate bei einem Komponisten-Kollegen "klaute".
Wenn ich mich an die Aufnahmen von Jacques Loussier mit seiner Reihe »Play Bach« erinnere oder an die Swingle Singers der ersten Generation, denke ich, auch so kann man mit Bach umgehen, denn das geschah niemals respektlos, und die Ergebnisse gehören immerhin auch zu wirklichen musikalischen Kunstgattungen und konnten sich qualitativ sehen/hören lassen.
Warum nicht die Toccata in D-Dur? Die Gesamtaussage wird zwar eine andere, doch warum nicht?
Grundsätzlich: Nur wenn etwas "billig" wirkt, sollte man - egal was - es sein lassen.
Hmmmh, so in D-Dur... was spielst du dann bei dem ersten Dv-Akkord (Pedal tiefes D, Arpeggio in den Manualen)?
Für diejenigen, die es noch nicht kennen, werfe ich dann mal Gabriel Dessauer, den Organisten von St. Bonifatius in Wiesbaden, mit Porter Heaps' ausnotierter Verhunzung der D-Moll-Toccata in den Ring! [grin] Dafuer: Prost:
Wenn du die grossen Bäche ganz spontan transponiert (und sei es nur, dass man drei b weglässt) spielen kannst, hat das aber imho nichts mehr mit "kleiner Dorforganist" zu tun...
#7 RE: Darf man einen Bach "verhunzen"?
Dann schaut (hört) mal nach:
Bachs berühmte Toccata d-Moll ergibt auch rückwärts gespielt ein passables, anhörbares, ja geniales Stück.
ATACCOT - J. S. Bachs Toccata d-Moll in retrograder Version (Pauke ad lib.) von Enjott (Norbert J.) Schneider
http://www.bodensee-musikversand.de/prod...ducts_id=146818
Das Verblüffende: ich komme in die Kirche und denke mir, dass da jemand über Sequenzen der Toccata d-moll improvisiert. Dabei war es einfach [grin] nur rückwärts gespielt.
Hier noch 2 youtube links:
https://www.youtube.com/watch?v=3KO8Nbud350
https://www.youtube.com/watch?v=F8h3csBhoHk (vermutlich nicht die Schneider Version)
Von Enjott Schneider stammt auch die Toccata "Schlafes Bruder"
Um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kommen: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und der sel. Herr Bach wird wohl kaum eine Klage führen, jedenfalls nicht hier auf Erden.
Ich frage mich allerdings, warum man, wenn man als angebl. Dorforganist in der Lage ist, derartige Werke , die zwar nicht zum Schwersten gehören, aber auch nichts für Anfänger sind, umzugestalten, nicht auch in der Lage ist, für Weihnachten was passendes an Literatur von Bach oder anderen rauszusuchen. Gerade zu Weihnachten ist der Fundus, auch an einfacheren Werken, riesig.
Das ist recht einfach erklärt: Ich hatte als Jugendlicher im Ganzen etwa zwei Jahre Orgelunterricht verteilt auf die Zeit zwischen 12 und 17. Das hat sehr spielerisch angefangen, ich durfte Lieder aus dem Gesangbuch üben und eine zweite Stimme dazu erfinden. Dann kamen so Sachen wie Stücke aus Drischners Choralpariten über Jesu meine Freude und Befiehl Du deine Wege und dann einige der kleinen Präludien von Bach. Den Rest hab ich mir autodidaktisch erarbeitet, dieser Rest waren neben der Toccata das c-Moll Präludium. In den nächsten fast 20 Jahren habe ich alle paar Jahre mal an einer Orgel gesessen und mehrheitlich vor mich hingeklimpert und probiert, was denn noch geht.
Dann wurde ich recht kurzfristig angefragt, in dieser Gemeinde zu örgeln und hab mich letzlich zu einem Versuch überreden lassen. Angefangen hab ich dann kurz vor der Advendszeit mit eben diesem Repertoire...
Das mir diese Veränderung der Toccata geglückt ist, ist sicher zu einem Großteil Glück. Zugute kam mir vielleicht auch, dass ich Sachen immer sehr schnell auswendig kann und - ursprünglich der Not gehorchend - die Gemeindegesänge von Anfang an selbst harmonisiert habe, einfach, weil das erheblich einfacher war, als einen Satz aus dem Choralbuch zu üben - ich bin bis heute ein miserabler vom-Blatt-Spieler.
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!