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RE: Cameron Carpenter in Korbach
#1 RE: Cameron Carpenter in Korbach
Also gut, wenn keiner anfangen will ...
Hier mal ein paar Impressionen meinerseits.
Zunächst zur Orgel aus dem Hause Kuhn:
Hier die technischen Daten.
Zentral im Raum an der Nordwand zu ebener Erde platziert, entsprechend direkt klingend. Sie füllt den Raum auch dann, wenn er proppevoll ist - quod erat demonstrandum. Denn das Konzert war ausverkauft. Die Intonation ist kraftvoll, aber nicht deftig, die Schwellung ist ungemein wirkungsvoll. Die Orgel ist eine zeitgeistige Neo-Romantikerin mit universellem Einschlag. Weder ist sie eine französische Stilkopie, noch ist ein britischer Hochdruck-Kompressor eingebaut. Allerdings sorgen wohl steigende Mensuren für ein saftiges Anwachsen im Diskant.
Zum Programm:
Gleich drei fette Bäche: g-moll 542 und die Triosonaten Nr. 5 G und Nr. 3 d.
Duprés Noel-Variationen, Dieu parmi nous von Messiaen, ein Eigenarrangement der Funerailles von Liszt und drei Improvisationen.
Zum Interpreten:
1. Carpenter ist ein Virtuose im wahren und positiven Sinn des Wortes. Was er technisch kann, ist phänomenal. Das wurde vor allem in Duprés Noel-Variationen klar, die ja vom Maitre für seine USA-Tourneen zwischen den Weltkriegen bewußt auf Virtuosentum und Publikumswirksamkeit angelegt waren. Da habe ich erstmals musikalische Zusammenhänge gehört, die sich normalerweise nur bei Lektüre der Partitur erschließen.
2. Carpenter ist Interpret - auch das im positiven Sinne des Wortes. Er deutet. Damit steht er u.a. in den Fußstapfen eines frühen Straube, der in seinen ersten Ausgaben barocker Orgelwerke (vor seiner "Bekehrung" zur Orgelbewegung) den Notentext gnadenlos an die Möglichkeiten der sinfonisch-deutschen Großorgel eines Wilhelm Sauer mit ihren Schwell- und Crescendo-Optionen und ihrem hochdifferenzierten Streicher- und Flötenklang anpasst.
Carpenter macht nichts anderes, wenn er im 1. Satz der G-Dur-Sonate in schwindelerregendem Tempo in der l.H. Linien herausarbeitet, die technisch nur zu machen sind, wenn man eben den Notentext redigiert. Straube ist für so was von seiner orgelbewegten Schülergeneration gescholten worden. Man kann C. auch deswegen schelten, wenn man denn an die alleinseligmachende Gnade des originalen (?) Notentextes glaubt. Man muss es aber nicht. Die g-moll-Fantasie legt ja schon vom Notenbild her gewisse rhapsodische Freiheiten nahe. Wie Bach sie gespielt hat, ist nicht auf Tonträger festgehalten. Ich vermute aber mal, dass sein Spiel dem von Carpenter in puncto Agogik und klanglicher Farbigkeit näher stand als den Notenmathematikern des Purismus, die das Stück im Plenum und streng auf Metronom durchspielen. Allein die ansteigende chromatische Modulation gegen die abwärts gehenden Viertelbässe im Mittelteil - mit Aufregistrieren auf jedem Viertelschlag - war ein Effekt, der das Stück höchst unterhaltsam machte.
3. Carpenter ist ein ausgezeichneter Musiker. Die langsamen Sätze der Sonaten pflegen gemeinhin zu offenbaren, ob der Spieler ein Musikvollzugsbeamter oder ein Musiker ist. Und beide Sätze waren schlicht ein Genuss. Sieht man von der brillanten Leistung ab, die beiden duettierenden Oberstimmen mit dem Schweller in Manier von Streicherphrasen duchzumodellieren, hatten die Linien ungemeine Weite und einen schier unerschöpflichen Atem.
4. Cameron ist kein genuiner Komponist. Es gibt bessere Improvisatoren. Die ersten beiden Improvisationen waren ziemlich zusammenhanglos, wenngleich natürlich virtuos und farbenschillernd gespielt. Erst in der dritten führte er das gewählte Thema konsequent durch. Die klassischen Formen, die jeder Orgelimprovisator beherrschen sollte, bithematischer Konzertsatz, Variationen in Partiten- und Rodoform, Fuge, Passacaglia, sämtliche Formen der c.f.-Behandlung, kamen nicht vor.
Forumskollege Clemens erzählte mir hinterher, dass er eine der Zugaben, die e-moll-Fuge BWV 538/2, schon mehrere Male von Carpenter gehört habe - und jedesmal anders. Daraus spricht eine selten gewordene Organistentugend: Kommen, probieren und mit dem vorhandenen Instrument die eigenen Vorstellungen umsetzen, statt darüber zu jammern, dass die Orgel dieses und jenes nicht hat und nicht hergibt.
Mein Fazit: Das Konzert war den Besuch auf jeden Fall wert. So wie Cameron es macht, geht es auch. Wer damit nicht umgehen kann, kann sich ja stattdessen die Walcha-Einspielungen anhören. Ich tue das auch gelegentlich sehr gern. Von der Cameron oft unterstellten Glamour-Attitüde habe ich (außer den Glitzerabsätzen an den Schuhen) nichts bemerkt. Er war dezent gekleidet, wirkte keinesfalls affektiert, sondern trat konzentriert und fast bescheiden auf. Die asiatische Demutsgeste mit gefalteten Händen mögen Beckmesser als Affekt bezeichnen. Seine Fans machen um ihn vielleicht mehr "Gedöns" als er selber um sich macht. Auf jeden Fall war der Applaus angemessen reichlich, die letzte von drei Zugaben natürlich Bachs "Epidemische". Kleine Arabeske: In ihr hielt er sich am strengsten an den Notentext.
LG
Michael
#2 RE: Cameron Carpenter in Korbach
Vielen Dank, lieber Wichernkantor, für die Beschreibung der musikalischen Details des Konzerts. Da ich das nie hätte schreiben können, habe ich mich bislang mit einem Post zum Konzert zurück gehalten.
Ein Konzerterlebnis ist immer subjektiv.
Mich beeindruckt bei CC immer seine Perfektion mit der er die Stücke vorträgt. Er hat ja nicht nur die Noten im Kopf sondern ändert ja auch ständig die Disposition - obwohl das in Korbach deutlich weniger ausgeprägt war, wie z.B. in Frankfurt in der Alten Oper.
Klar - auch andere Organisten der Weltklasse können das. Vielleicht habe ich von denen noch nicht so viel zu Gesicht bekommen, dass CC mich so beeindruckt.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich von CC bislang auf jedem Konzert wirklich "was gesehen" habe. In Frankfurt z.B. saß ich in der dritten Reihe mit freiem Blick auf den Spieltisch. In Korbach wurde das Konzert auf eine Großbildleinwand mit vier Kameras übertragen (eine von oben auf die Klaviaturen, eine von links in den Fußraum, eine von rechts auf Höhe der Klaviaturen und eine von hinten links auf den gesamten Spieltisch) Alles wurde arrangiert, übergeblendet und an die Leinwand projiziert, sodass hoffentlich jeder im Kirchenraum das Konzert auch optisch verfolgen konnte.
Ich hatte darüber hinaus einen Platz ergattert, der mir den direkten Blick von hinten links auf den Spieltisch ermöglichte.
CC's Glamour-Faktor war wirklich sehr gering diesmal. Seine Glitzerschuhe - OK... Ansonsten in schwarz gekleidet ohne Glitzer und er schien mir sogar eine Krawatte zu tragen... ??!?!
Im Anschluss an das Konzert gab es drei Zugaben und danach ein Interview. Auf die erste Frage danach, was CC von der Orgel in Korbach halten würde, meinte er: "Sie ist entwicklungsfähig..." Die anwesenden Herren vom Orgelbau Kuhn hatten vermutlich ein positiveres Urteil erwartet...
Aber CC's gespanntes Verhältnis zu Deutsch klingenden Instrumenten ist ja bekannt.
Zum Interview hat sich CC dann die schwarzen Glitzer-Orgelschuhe ausgezogen und goldglänzende Turnschuhe angezogen. Damit hat er dann BWV 565 gespielt. Man kann also auch in Turnschuhen brillant Orgel spielen.
Was ich auch "schön menschlich" fand - er hat sich bei der BWV 565 einmal hörbar verspielt und quittierte das mit einem verschmitz-verzogenem Gesichtsausdruck. Das sagte mir, dass es ihm nicht egal war, dass er sich verspielt hatte. Selbst auf seinem Niveau "ärgert" er sich also nach gut zwei Stunden perfektem Konzert noch über einen kleinen Fehler...
Ich hoffe, ich finde morgen in einem der hiesigen Lokalblätter einen Zeitungsbericht. Den mache ich euch dann zugänglich.
"CC in Korbach - Ja! - er ist wirklich da!" - so hat die Dekanin die Begrüßungsrede begonnen. IMHO war es ein beeindruckendes Konzert was es hier in der ländlichen Region so noch nie gegeben hat in den letzten 20 Jahren. Ich habe auch einige Arbeitskollegen auf dem Konzert gesehen, denen ich einen solchen Konzertbesuch gar nicht zugetraut hätte. Die Kirche war proppevoll und CC hat mit diesem Konzert ganz bestimmt dazu beigetragen, dass Orgelmusik mal wieder ins Gespräch, in die Presse und in das Blickfeld von vielen Menschen gerückt ist. Allein das zu erleben war die 23 Euro allemal Wert.
Im Interview wurde die Frage gestellt, ob er mal wieder nach Korbach an die Kuhn-Orgel kommen wolle. Soweit ich mich erinnere, hat er das nicht verneint. Also vielleicht gibt es irgendwann mal wieder CC in der Provinz.
LG
Aeoline
Zitat von Aeoline
Im Anschluss an das Konzert gab es drei Zugaben und danach ein Interview. Auf die erste Frage danach, was CC von der Orgel in Korbach halten würde, meinte er: "Sie ist entwicklungsfähig..." Die anwesenden Herren vom Orgelbau Kuhn hatten vermutlich ein positiveres Urteil erwartet...
Ich glaube er hatte die Frage missverstanden, bzw. hatte sie der Interviewer missverständlich gestellt. Der fragte ja, was er von der Orgel hielte. Darauf fragte CC zurück, ob von dieser Orgel oder der Orgel im Allgemeinen... Und dann nahm das Missverstehen seinen Lauf. Carpenters Antwort zielte auf "Orgel im Allgemeinen" ab, und ich erinnere den Satz: "The organ is in transition."
Für mich war das Konzert ein Erlebnis. Berauschende Musik, in ungewöhnlicher Darbietung, die mich beim Zuhorchen nicht ermüDen ließ. Am meisten beeindruckte mich das Dieu parmi nous, zu dem mir unser Wichernkantor kurz davor einige erhellende Verstehenshilfen zuraunte. Danke dafür! Ich hatte bei diesem Stück Gänsehaut.
Dass CC polarisiert, merkte ich ganz schnell während eines Pausengesprächs. Eine Zuhörerin beschwerte sich heftig über seine Bach-Interpretation.
#4 RE: Cameron Carpenter in Korbach
O ja, den Messiaen hatte ich eben unterschlagen.
Das Ineinanderfließen zweier Klanglicher Ebenen, die Menschwerdung Gottes, ist die kompositorische Grundidee, die intellektuell bewältigt (und am besten auch: geglaubt) werden muss, bevor man aus dem Notentext was machen kann. Das hat Carpenter zumindest musikalisch glänzend gelöst.
Ich habe dieses Stück vor mehr als 40 Jahren mal im Speyerer Dom von Almut Rößler gehört, der damals wohl kompetentesten deutschen Messiaen-Interpretin. Sie galt als seine Meisterschülerin. Und das Konzert damals war mir ein prägendes Erlebnis. Eine gewaltige Orgel in einem der Riesenräume, für die Messiaen seine inbrünstige Musik dachte. Dieses Erlebnis war unbeschreiblich.
Die beste Einspielung, die ich habe, stammt von Heidi Emmert an der Klais-Orgel in Hammelburg (das liegt nördlich von Würzburg). Bei der Aufnahme war die Musikerin hörbar inspiriert - in des Wortes wahrer Bedeutung: geistbeseelt. Messiaen war ein Mann von tiefer Spiritualität, die sich nicht in verbalen Gebeten, sondern in seinem eigenen Tonsystem manifestierte. Er war quasi der Mystiker unter den Komponisten, drückte Unvorstellbares in bis dahin Unerhörtem aus. Ähnliches fand ich zuvor nur bei Bruckner (Te Deum, Motetten) und Tournemire.
LG
Michael
Zitat von Wichernkantor
3. Carpenter ist ein ausgezeichneter Musiker. Die langsamen Sätze der Sonaten pflegen gemeinhin zu offenbaren, ob der Spieler ein Musikvollzugsbeamter oder ein Musiker ist. Und beide Sätze waren schlicht ein Genuss. Sieht man von der brillanten Leistung ab, die beiden duettierenden Oberstimmen mit dem Schweller in Manier von Streicherphrasen duchzumodellieren, hatten die Linien ungemeine Weite und einen schier unerschöpflichen Atem.
Ich konnte ihn leider noch nicht live hören. Daher vielen Dank für die differenzierte Betrachtung, insbesondere die Bestätigung, dass er wirklich musizieren und nicht nur virtous brillieren kann. Seine Kritiker schiessen sich leider meistens nur auf Äusserlichkeiten (Kleidung, Auftreten, Tempi, Registrierungen) ein.
Seine Elektronik-Quetsche hat er nicht ausgepackt?
Zitat von Martin78
Seine Elektronik-Quetsche hat er nicht ausgepackt?
Tse tse tse...
...in einem Forum zur "Digitalen Kirchenorgel" von einer "Elektronik-Quetsche" zu sprechen, ist schon mutig...
[wink]
LG
Aeoline
[wink] zurück. Ich quetsche auch, allerdings auf einem gaaaaanz anderen Niwo! [grin]
Verschiedentlich (war es hier oder in anderen Foren?) habe ich schon mal Statements gelesen, das Ding klänge nicht so gut, von daher hätte mich natürlich eure Meinung interessiert.
#11 RE: Cameron Carpenter in Korbach
Zitat von Tabernakelwanze
...Da klingt alles, was wir so unter den Fingern haben wahrscheinlich besser.
Mmmh... kommt drauf an, was wir unter den Fingern haben und was der "bessere" Klang ist.
Wenn jemand von uns auf "Die klassische deutsche PO" steht (gibt's so was überhaupt?) und ist in der beneidenswerten Situation ein prächtiges und gut erhaltenes Instrument traktieren zu dürfen, so mag die Aussage zutreffen.
Ich habe die ITO einmal live in der Alten Oper gehört. Das Teil hat viel Geld gekostet und die Abstrahlungsanlage ist ebenfalls fett und sehr hochwertig. Auch die Orgel an sich - also die Samples - sind mit großem Aufwand aufgenommen worden. Das alles klingt halt schon "sehr gut".
Aber es ist nun mal eine amerikanisch dominierte Orgel. CC macht in seinen Aussagen vor der Kamera keinen Hehl daraus, dass er am "klassisch deutschen" Orgelideal nur wenig Gefallen findet. Hört euch mal seine Beurteilung über "seine Hausorgel" in der Berliner Philharmonie an...
Ich weiß nicht, ob Eisenbarth's Passauer Domorgel oder Silbermann's Freibergerin oder etwas vom guten alten Schnitger in die ITO eingeflossen sind - ich denke mal, eher weniger...
In der ITO werden amerikanische Orgeln drin sein. Und so klingt dann auch das Ergebnis.
Aber das ist hier eigentlich OT - daher beende ich meinen Beitrag mit folgender Zusammenfassung:
Wollte ich die ITO gegen meine Unico tauschen?
Joooo - würde ich machen...
Prost:
LG
Aeoline
Soooo...
Hier wie angedroht der Artikel aus dem hiesigen Käseblatt - der Hessisch-Niedersächsischen-Allgemeinen (HNA) vom 04.05.2015...
LG
Aeoline
Zitat von Martin78
[wink] zurück. Ich quetsche auch, allerdings auf einem gaaaaanz anderen Niwo! [grin]
Verschiedentlich (war es hier oder in anderen Foren?) habe ich schon mal Statements gelesen, das Ding klänge nicht so gut, von daher hätte mich natürlich eure Meinung interessiert.
Hi,
an anderer Stelle habe ich hier meine Eindrücke vom CC-Konzert in Münster geschildert, ich zitiere mich selber:
"Der Klang dieses Elektro-Dings ist erbärmlich".
LG
Markus
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