Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch

04.05.2015 09:01
#1 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
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Moderator

Hier noch ein paar Splitter, Beobachtungen und Gedanken von unserer Baunatal-Visite. Garantiert subjektiv und unvollständig, die Kollegen mögen sie daher ergänzen.

Neue Holzklaviatur von Viscount: Zu erleben war sie in der Concerto 354. Die Latte liegt hoch, denn nach wie vor ist die Standardklaviatur von Viscount m.E. die beste am Markt. Sogar in der 355 CC macht sie eine gute Figur – wenngleich ich mir bei der Anschaffung eines solchen Flaggschiffes Holz gönnen würde. Die neue hölzerne lässt sich in drei Anschlagstärken einstellen. Das vorhandene Instrument hatte die schwächste Einstellung – mir ist die zu labbrig. Ich teile meine Meinung mit einer anwesenden Kollegin aus Österreich (übrigens eine kundige Rheinberger-Interpretin!), die als Alternative die Viscount-Kunststofftastaturen präferierte. Andere Tester waren mit der Tastatur zufrieden.

Immer wieder kritikwürdig: Das Viscount-Pedal mit den Kunststoff-Klötzen auf den Halbtönen. Es ist wohl eher eine emotionale Sperre. Denn in der Praxis erweisen sich die Halbtöne als abriebfest – im Gegensatz zu eingeschwärzten Holzblöcken. Das Pedal spielt sich aber etwas labbrig, was wohl auch daran liegt, dass die Tasten in einem Frontbrett mit ausgesägten Schlitzen geführt werden. Wer einen etwas rustikalen Pedalanschlag hat und fleißig übt, hat da wohl mittelfristig Erneuerungsbedarf an den Filzen der seitlichen Führung. Lobend sei hervorgehoben, dass Johannus weg ist von diesem Trip. Da sind die Tasten seit einem Wechsel des Zulieferers wieder zwischen Rundstäben geführt, wie es sich gehört. Da sind keine seitlichen Filze nötig. Und das Pedal ist knackig eingestellt.

Mit meiner latenten Kritik an der klanglichen Ästhetik von Johannus stehe ich offenbar nicht allein. Keiner (!) der Anwesenden hat sich länger auf eines der Modelle eingelassen. Klar, wir Foristen sind nicht repräsentativ. Und offenbar gibt es (anderswo) Kunden, die genau diese Ästhetik schätzen. Immerhin scheint es mir bemerkenswert, dass keiner (auch ich nicht) auf die Idee kam, die Symphonica 45 mit der CC 355 zu vergleichen – trotz dispositioneller und optischer Ähnlichkeiten.

Immerhin bietet Johannus eine solide technische Plattform für die Gloria-Reihen Klassik und Excellent. Und das gilt für die Stabilität und Zuverlässigkeit der Hardware, die Solidität der Gehäuse und die Qualität der internen Abstrahlung. Ich saß an einer Klassik 226 Trend und war vom Klang sehr angetan. In dieser Preiskategorie wäre sie mein absoluter Favorit für den schmaleren Geldbeutel und für Wohnzimmer oder kleine Kapellen. Die Disposition ist ausgereift, der Registerfundus stattlich und das Instrument vermittelt eine angenehme Haptik.
Nicht überzeugen konnte mich und zwei Mittester die neue zweimanualige Rodgers made in Italy. Die Roland C 380 hatte m.E. klanglich mehr zu bieten, die Haptik ist nicht besser, wenngleich die Tasten seitlich exakter geführt sind. Wie weit man mit den internen Intonationswerkzeugen kommt, haben wir nicht probiert.

Aus dem Gesehenen, dem Gehörten und den Gesprächen am Rande hat sich für mich folgendes herauskristallisiert:

1. Sampling ist nicht tot. Es wird weiter hochwertige Samples geben. Und wer sich ein gutes Instrument hinstellen und einfach losspielen will, ist damit sehr gut beraten. Mehrere Dispositionen und einige grundlegende Intonations- bzw. Anpassungswerkzeuge sind inzwischen obligat. Die Qualität der internen Abstrahlungen hat sich immens verbessert. Der Markt bietet ein breites Sortiment für jeden dispositionellen und ästhetischen Geschmack. Luft nach oben ist sicher noch bei den Optionen der Customisierung.

2. Physical Modelling ist gut etabliert und wird ständig besser. Das liegt sicher an der Verfeinerung der Stellschrauben und an den wachsenden Erfahrungswerten im Umgang mit ihnen. Die Werkzeuge sind da und gut entwickelt. Entscheidend ist jetzt wohl der Kopf mit konzeptionellen Vorstellungen und feinen Ohren. Dann ist ein Maximum an Individualisierung mit immer besserer Klangqualität möglich. Eher früher als später werden die (vor allem von Klaus) immer wieder monierten Schwächen der 2’er und der Mixturen behoben sein.

3. Die perfekt gesampelte virtuelle Gesamtorgel (Hauptwerk etc.) wird sich vom Nischenprodukt zu einer dritten Säule des Marktes entwickeln, wenn es gelingt, die Produkte userfreundlicher zu machen – z.B. mit „plug and play“-Produkten. Vor allem hybride Lösungen scheinen mir denkbar. Einige Leute machen das ja bereits. Sie haben daheim ihre DO, sample- oder physisbasiert. Und hängen sich nach gusto einen PC oder ein Kistchen mit einer Schnitgerin oder einem sonstigen historischen Instrument dran. Wenn die Kunden insistieren, wird es auch bald dafür noch differenziertere Abstrahlungsoptionen geben als bisher. Das ist lediglich eine Frage der Rechnerleistung. Und die geht steil nach oben.

LG
Michael


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04.05.2015 09:41
#2 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
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Administrator

Danke für die Eröffnung dieses Threads, dem ich auch meine Beobachtungen und Eindrücke hinzufügen will.

Eine ganze Weile hielt ich mich an der Gloria Klassik 226 Trend auf. Nachdem sie mir damals in Augsburg nicht gefallen wollte, gab es in den letzten Monaten doch viele Stimmen hier im Forum, die diese Orgel ausdrücklich lobten. Grund genug, sie noch einmal unter die Lupe zu nehmen - und mit der hochtönerlosen Klassik 226 zu vergleichen. Für mich erstaunlich: Diesesmal empfand ich die Klassik 226 Trend als sehr klangschön! Die hochtönerlose Klassik 226 hingegen fiel m.E. klanglich deutlich ab. - Wie sehr das Klangempfinden vom akustischen Kontext geprägt ist, erlebte ich, als ich am Nachmittag an der Content Celeste spielte und hernach nochmals zur Klassik 226 Trend wechselte: Da brauchte ich eine ganze Weile, bis ich den Klassik-Klang wieder mochte; direkt nach der Celeste erschien er mir als schneidend scharf. Nach einer Weile hatte ich mich aber wieder auf den Klang eingestellt und erfreute mich daran. Summa summarum bekommt die Klassik 226 Trend ganz klar einen erhobenen Daumen von mir. Klein, aber oho. Viel Orgel für (vergleichsweise) wenig Geld.

Zur Johannus Classic 250 habe ich mich bereits geäußert: Klanglich kaum Neues. Nach wie vor der typische Johannusklang, der mir nur wenig gefällt.

Relativ lange hielt ich an der Gloria Concerto 354 mit den neuen Viscount AWK-Klaviaturen auf. Klanglich bildet die Concerto immer noch mein derzeitiges Nonplusultra. Aber zu den Klaviaturen: Der Kern besteht aus MDF, [sad] was mich doch einigermaßen enttäuschte. Die Oberfläche fühlt sich rauer als bei UHT an, was aber keineswegs unangenehm war. Der magnetische Druckpunkt (keine Druckpunktmatten!) gefiel mir erst auf den zweiten Blick, dann aber wirklich. Die Holzauflagen sind von lebendiger Maserung - ganz anders als bei UHT, wo alle Tasten recht einheitlich aussehen. Allerdings empfand ich den AWK-Look durchaus als sympathisch; er hatte etwas von „alter Kirchenorgel“. Was ich jedoch kritisieren muss, sind die recht scharfen Unterkanten der Untertasten sowie die ein wenig zu kantigen Obertasten. Laut Herrn Kisselbach ließe sich das nachbessern. Eleganter fände ich es aber, wenn hier direkt ab Werk nachgebessert würde und die Klaviaturen künftig etwas handfreundlicher gestaltet würden. Für die Zukunft - wenn die beschriebenen Mängel beseitigt sind - bleiben die AWK-Klaviaturen eine für mich interessante Option; zum jetzigen Zeitpunkt würde ich sie allerdings nicht kaufen. Obwohl ich in meiner Schilderung nun einige Male Vergleiche zu UHT gezogen habe: Die AWK-Klaviatur will als Alternative zu den schon recht guten Standardklaviaturen von Viscount verstanden sein - und nicht als Alternative zu einer UHT-Klaviatur.

Die preisgünstige italienische Rodgers habe ich nur kurz in Augenschein genommen. Die optische Anmutung empfand ich als eher bescheiden, der Hauptwerksprinzipal offenbarte im Bereich ab c3 einen herben klanglichen Bruch. So etwas muss heutzutage nicht mehr sein.

Am neuen Concerto-Positiv saß ich ebenfalls nur kurz: Ist schön geworden. Dass auf den rein dekorativen Pfeifenprospekt verzichtet wurde, sehe ich als eindeutiges Plus; so ist nun viel Platz für die Noten vorhanden. Klanglich zeigte sich das Positiv eindeutig als eine Orgel der Concerto-Reihe, für mein ästhetisches Empfinden also etwas ganz Wunderbares. Dass die Abstrahlung den Klang von oben auf mich herabgoss, empfand ich als sehr angenehm.

Wie vorhin erwähnt, wollte ich auch der Content Celeste eine zweite Chance geben. Also klickte ich mich durch die verschiedenen Dispositionen und Raumeinstellungen - vergeblich. Diese Orgel ist am allerweitesten von meinem persönlichen Klangideal entfernt. Die Spieltischverarbeitung wirkte auf mich allerdings nach wie vor sehr wertig.


Auf Orgelsuche.

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08.05.2015 12:44
#3 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
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Moderator

Bei Content geht es mir wie Klaus. Ich sitze immer wieder an diesen Spieltischen und bin angetan von der soliden Verarbeitung und dem zeitlosen und schnörkellosen Design. Auch die Klaviaturen (Man. und Ped.) sind mehr als akzeptabel. Wenn ich aber in die Samples hineinhöre, dann glaube ich, meinen alten Content 440-Expander zu hören. Da hat sich einfach kaum etwas Hörbares getan - die Samples werden wohl nur aufwändiger abgestrahlt. Immerhin wurden sie nicht "verschlimmbessert."

Was mich immer wieder freut: Meine Gloria 360 kauft den neueren samplebasierten Instrumenten immer noch den Schneid ab. Vor allem zur deutsch-romantischen Intonation gibt es m.E. immer noch keine Alternative am Markt, es sei denn, man steigt auf Hauptwerk um und zieht sich die Walckerin in Doesburg auf die Festplatte. Auch die große Ahlborn hat schöne romantische Stimmen. Aber ich denke, die 360 hat die bessere deutsch-romantische Disposition und erlaubt wesentlich differenziertere Farbwirkungen. Vor allem Piutti und Karg-Elert schreiben in ihren von der Sauerin der Leipziger Thomaskirche inspirierten Registrierangaben oft vor, einen kompletten Streicherchor vom 16' bis zur Mixtur in III in eine reine 8'-Grundstimmenmischung auf I bruchlos via Schweller einzublenden. Das geht an der 360 perfekt. Auch das Crescendo ist - entsprechend programmiert - schön engstufig. Sachen wie Regers "Benedictus" aus op. 59 sind mit den zahlreichen und differenzierten leisen 8'ern richtig gut zu machen. Um das Plenum "französischer" zu machen, habe ich ja noch einen Ahlborn "Archive Module 202"-Expander dranhängen, der ein paar orchestrale Zungen zusätzlich bietet.

Wenn der Trend bei mir zur Zweitorgel ginge, würde es nach derzeitigem Stand wohl die Concerto 355 CC mit den neuen Holzklaviaturen - allerdings nur in der straffsten Einstellung. Das Instrument klingt ohne jede Zutat ausgezeichnet. Aber ich befürchte, ich würde mehr mit den Intonationswerkzeugen spielen als mit den Tasten - jedenfalls anfänglich. Die Abstrahlung ist richtig gut - vor allem im Bassbereich. Das Möbel macht ordentlich was daher. Wichtig für den WAF: Das Design und der Farbton Eiche dunkel würden perfekt zu unseren Esszimmermöbeln passen ... [grin]

LG
Michael


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31.05.2015 03:25
avatar  Dieter Schuster ( gelöscht )
#4 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
Di
Dieter Schuster ( gelöscht )

Zitat von Gemshorn

Die preisgünstige italienische Rodgers habe ich nur kurz in Augenschein genommen. Die optische Anmutung empfand ich als eher bescheiden, der Hauptwerksprinzipal offenbarte im Bereich ab c3 einen herben klanglichen Bruch. So etwas muss heutzutage nicht mehr sein.



Welches 'italienische Rodgers Modell' haben Sie vorgefunden und gespielt...? Es gibt seit mindestens vier Jahren keine Rodgers Orgel 'made in Europe' mehr, alle Rodgers Modelle werden seitdem ausschließlich in den USA gebaut.


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31.05.2015 08:19
#5 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
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Moderator

Sorry, die Typenbezeichnung habe ich mir nicht gemerkt. Ich gucke zunächst nicht nach Typenschildern, sondern setze mich dran, spiele und fälle mein Urteil. Das Design ähnelte meiner Erinnerung nach schon etas den älteren Viscount-Modellen. Allerdings waren die Klaviaturen nicht die Standard-Manuale von Viscount. Irgendwer aus der Entourage - wer es war, kann ich jetzt vier Wochen später auch nicht mehr rekapitulieren - sagte dann, das sei die "italienische" Rodgers.

LG
Michael


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31.05.2015 08:27
#6 RE: Splitter vom jüngsten Baunatal-Besuch
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Administrator

Zitat von Wichernkantor
Irgendwer aus der Entourage - wer es war, kann ich jetzt vier Wochen später auch nicht mehr rekapitulieren - sagte dann, das sei die "italienische" Rodgers.


So ist es. Bin mir ziemlich sicher, dass es eine Rodgers 538 im Laminatgehäuse war.


Auf Orgelsuche.

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