Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?

05.03.2016 17:00
avatar  Romanus ( gelöscht )
#1 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
Ro
Romanus ( gelöscht )

Natürlich habe auch ich "strengen Satz" gelernt und bemühe mich zumindest bei GL-Begleitsätzen,"verbotene" Oktav- und Quintparallelen tunlichst zu vermeiden.

Aber:
Bei genauer Betrachtung weisen viele Stücke alter Meister (die übrigens hervorragend klingen !),z.b. Hammerschmidt: "Machet die Tore weit" oder Banchieri: "La Feliciana" ... "versteckte" Parallelen auf,so nenne ich an sich verbotene Parallelen,die auf den 1. Blick nicht erkennbar sind,aber deutlich sichtbar werden,wenn man bei Stimmkreuzungen (der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit wegen) einen Stimmentausch durchführt. Mir fällt das regelmäßig auf,weil ich gern Orgeltranskriptionen von solchen Stücke schreibe. Man hört also bei Wiedergabe auf einem Tasteninstrument "verbotene" Parallelen,die aber in keinster Weise "schlecht" oder gar falsch klingen.

Einmal während meiner Konservatoriums-Zeit habe ich sogar meinen Orgellehrer Wolfgang Reisinger verblüfft,als ich in Bach´s f-Moll-Fuge BWV534 (Bärenreiter-Ausgabe) in Takt 40 eine verbotene Quintparallele (vermindert -> rein) entdeckte,die in der Peters-Edition "gut versteckt" ist.
Sein lakonischer Kommentar: "Ich weiß ja,warum ich die Bärenreiter-Ausgabe nicht mag !" [wink]

Darüber hinaus gibt es auch in expliziten Tasteninstrument-Stücken (wie z.b. Ammerbach: "Passamezzo d´Angleterre" aus "Orgel oder Instrument Tabulatur" (1583)) unverhohlene Quintparallelen,die das Hörvergnügen jedoch nicht im geringsten beeinträchtigen.

Außerdem sind Quartparallelen nichts anderes als umgekehrte Quintparallelen,aber deshalb keineswegs verboten.

Da stellt sich für mich schon irgendwo die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses "Verbotes".

Natürlich wäre es wohl eleganter und originaltreuer,auch bei Instrumental-Transkriptionen die Stimmkreuzungen beizubehalten,allerdings erleichtert eine "ehrliche" und übersichtliche Notation ohne Stimmkreuzungen die Lesbarkeit und damit auch die Spielbarkeit ungemein !


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05.03.2016 17:48
#2 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
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Moderator

In der Gotik waren Quintparallelen sogar Stilmittel (Organa, Bordune).
Diether de la Motte (langjähriger Kompositionsprof. in Hamburg) erklärte das strikte Verbot im Kantionalsatz der Schütz-Zeit damit, dass sich die "Neuen" sehr bewusst vom Stil der Alten distanzieren wollten. (Auf die Chromatik der Hochromantik folgte ja ebenfalls eine Epoche, in der chromatische Durchgänge im Begleitsatz verpönt waren zugunsten der Diatonik.) Die zeitgenössische Kirchenmusik hat Quint-/Quart-Parallelen ja wieder "salonfähig" gemacht - Schroeder, Ahrens, Pepping, Micheelsen etc.
De la Motte weist aus zahlreichen Quellen des Barock nach, dass die Meister der Bachzeit das nicht so eng sahen wie die Theorielehrer späterer Epochen. Und dass der "strenge Satz", der seit der Bachzeit gelehrt wird, eigentlich nie "so streng" komponiert wurde. Es musste halt klingen ...
Auf die lesenswerten, narrativ angelegten, anschaulich und lebendig geschriebenen Bücher über Harmonielehre, Kontrapunkt und Melodiebildung aus de la Mottes Feder habe ich bereits mehrfach hingewiesen. Es gibt sie (hoffentlich noch) für wenig Geld bei Bärenreiter/dtv.

LG
Michael


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05.03.2016 19:42
#3 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
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Administrator

Als einer, der's nicht studiert hat, melde ich mich zu dem Thema trotzdem zu Wort.
Wenn die Quintparallelen ein bewusst eingesetztes Stilmittel sind, kann ich gut damit leben. Tauchen sie aber in einem sonst "konservativ-klassischen" Satz auf, erachte ich sie immer noch als "Fehler". Gerade mit Blick auf die neuen Orgelsätze zum Gotteslob frage ich mich nicht nur einmal, ob der gewollte harmonische Effekt nicht auch - mit Leichtigkeit - ohne Parallführungen erzielt hätte werden können.


Auf Orgelsuche.

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05.03.2016 20:07
#4 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
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Moderator

Wer den Anspruch erhebt, "strengen" Satz zu schreiben, sollte sich natürlich an die Spielregeln halten ...

LG Michael


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06.03.2016 12:03
avatar  matjoe1 ( gelöscht )
#5 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
ma
matjoe1 ( gelöscht )

Zur Zeit meiner "Orgellehre", also in den späten siegziger/frühen achtiger Jahre, wurde ich von meiner Orgellehrerin quasi zum Antichristen erklärt. Mir gefiel es klanglich des Öfteren, bei Choralharmonisierungen Oktav- oder Qintparallelen einzubauen. Dass sie mich nicht geschlagen hat war alles.
So richtig habe ich dieses Verbot nie verstanden - und bei den Gottesdiensten seinerzeit auch häufig außer Kraft gesetzt... Der Blitz hat mich deswegen jedenfalls nicht getroffen.

LG
Matthias


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06.03.2016 13:07
avatar  Machthorn ( gelöscht )
#6 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
Ma
Machthorn ( gelöscht )

Ich denke mal, wenn's klingt, ist alles OK. Regeln sind eine feine Sache, um Ordnung herzustellen. Wenn die Regel aber zum Selbstzweck wird, hab ich so meine Probleme damit. Da bin ich Pragmatiker, und offensichtlich waren es die alten Meister auch.


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06.03.2016 14:38
avatar  organi
#7 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
or

Zitat von Machthorn

Ich denke mal, wenn's klingt, ist alles OK. Regeln sind eine feine Sache, um Ordnung herzustellen. Wenn die Regel aber zum Selbstzweck wird, hab ich so meine Probleme damit. Da bin ich Pragmatiker, und offensichtlich waren es die alten Meister auch.


Hallo!

Reiner Selbstzweck sind diese Regeln auf keinen Fall.

Sie begründen sich bei Oktaven und Quinten in ihrem Verschmelzungsgrad (vollkommene Konsonanzen). Bei Parallelführung in einem vierstimmigen Satz werden diese reinsten Intervalle nicht mehr als eigenständige Stimmen wahrgenommen. Die unabhängige Stimmführung geht verloren und das Gleichgewicht des Satzes wird gestört.

Daher denke ich schon, dass es sich lohnt, bei einen ordentlichen Satz auf Oktav- und Quintparallelen zu verzichten.


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06.03.2016 16:36
avatar  Machthorn ( gelöscht )
#8 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
Ma
Machthorn ( gelöscht )

Zitat
Bei Parallelführung in einem vierstimmigen Satz werden diese reinsten Intervalle nicht mehr als eigenständige Stimmen wahrgenommen.



Wirklich Gewicht hat dieses Argument aber auch nur dann, wenn ein durchgängig polyphoner Satz vorliegt. Gerade bei Choralsätzen liegt eine stringente Polyphonie aber nur sehr selten vor, die Verfolgbarkeit einzelner Stimmen ist wenn überhaupt dann nur von untergeordneter Bedeutung.

Genau das meine ich mit "Selbstzweck": Die konsequente Einhaltung einer Regel, deren Grundlage nur bedingt vorhanden ist.


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09.03.2016 22:16
avatar  Positiv
#9 RE: Sind "verbotene Parallelen" wirklich so schlimm ?
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Als überzeugter Jurist fällt mir da der Spruch ein, den ich in Rumänien gelernt habe: "Der Esel bleibt vor der Gesetzesschranke stehen, der Vogel fliegt darüber!

Lasst uns fliegen

Michael


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