Kein Advent ohne ein persönliches Horrorerlebnis.
Gestern widerfuhr mir folgendes:

In einem Dorf hier in der Nähe habe ich vor zwei Jahren angefangen, an den zweiten Feiertagen Abends Singegottesdienste zu beorgeln. Die Idee dahinter: Die Leute sollen die Festlieder, die der lokale Gesangverein ihnen an den Festen wegnimmt (eine Praxis, gegen die sich die Pfarrherren kaum noch wehren), SELBER singen dürfen. Allesamt, mit allen Versen. Dazu eine aussagekräftige Liedpredigt - fertig ist der Lack. Das haben wir voriges Jahr an Weihnachten und dieses Jahr an Ostern auch mit Erfolg gemacht. Die Leute kamen zuhauf und fragten hinterher: Wann ist das nächste Mal?

Dieses Jahr kamen dann die Leute im dortigen Presbyterium auf die Idee, man könne das doch auch zum Abschluß der Adventssonntage machen. Aber den lokalen Gesangverein "Germania" (20 Damen und Herren um die 70) dürfe man nicht ausschließen, befanden die Gemeindekirchenräte. Der habe schließlich seit seiner Gründung anno achtzehnhunderteinundleipzig immer im Advent gesungen. Der berechtigte Einwand des Pfarrers: "Michael ist allergisch gegen Trullala. Wen die ihre alten Fetzen vom süßen Christkindelein mit Blümelein umterm Tännelein mit Öchslein und Eselein im Krippelein singen wollen, kommt der nicht."
So hatten die Liedbeiträge geistliches Imprimatur, vielmehr "cantatur". Na, das las sich doch gut im Programm: Psalm 24 (Gluck, was sonst?), Psalm 100 (Silcher, was sonst?), dazwischen kernige Jesaia-Texte. Und viiiiel kräftiger Gemeindegesang der nahezu gesamten Adventshitparade. Sehr stilvoll. Dann kam das "Vater unser" - gesungen vom Chor. Ich dachte vier Takte lang an nichts Böses. Dann wurde ich mit folgender "liturgischer" Neufassung beglückt:

Vater Unser, der du bist,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille gescheh',
in Ewigkeit. Amen.
Manchmal denk ich,
die Himmel schweigen.
Wenn wir uns vor dem Geld,
dem König der Welt, verneigen.
Doch die Himmel haben ihren eigenen Sound.
Nur in der Stille, in deinem Herzen,
werden sie laut.
Und plötzlich seh'n,
mit Kinderaugen.
Es fällt mir leicht,
unendlich leicht,
wieder zu glauben.
An:

Vater Unser, der du bist,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille gescheh',
in Ewigkeit. Amen.
Vater Unser, der du bist,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille gescheh',
in Ewigkeit. Amen.
Manchmal denk ich,
wir sind verloren.
Und hab Angst ein Gebet
stösst nur noch auf taube Ohren.
Doch Gebete haben ihre eigene Kraft.
Kommen sie von Herzen,
kommen sie von Innen,
haben sie Macht.
Und plötzlich hör ich
mich leise reden.
Es fällt mir leicht,
unendlich leicht,
wieder zu beten.
Vater Unser, der du bist,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille gescheh',
in Ewigkeit. Amen.
Vater Unser, der du bist,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille gescheh',
in Ewigkeit. Amen.

:(

Jo, die Himmel haben ihren eigenen Sound. Es war ohrenfällig, dass wir noch weit von der himmlischen Wirklichkeit entfernt sind.
Hinterher war Party im Gemeindesaal - eigentlich total mein Ding. Der Hausfrau diskret den Autoschlüssel zuschieben, Glühweinchen schlürfen, Plätzchen futtern, Schwänke erzählen. Als ich der Gnädigsten unauffällig bedeutete, "wir gehen", setzte sie ihren mildesten Blick auf, bei dem ich seit 36 Jahren schwach zu werden pflege: "Sie haben es doch gut gemeint". Ich habe dann Dienstbeginn heute früh um 5.30 Uhr vorgeschoben. Das war nicht mal gelogen.
Denn hätte mich jemand gefragt, wie es mir gefallen habe, hätte ich mich in dieser Zwickmühle gefangen: Bin ich höflich - oder ehrlich?

LG
Michael

No, mir hat's gelangt ... [grin]
Mal sehen, was Weihnachten so im Jackpot hat. Bei einer der Vespern, die ich hier in der Gegend beorgele, singt der Gesangverein "Harmonie". Schon der Name ist Satire pur ... [grin]

LG
Michael