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RE: Orgel der Kathedrale von Frombork/Frauenburg
#1 RE: Orgel der Kathedrale von Frombork/Frauenburg
Gerade sind wir aus Frombork/Frauenburg zurück. Dort hatte über Jahrhunderte der Bischof des Ermlandes seinen Sitz. Im protestantischen Ostpreußen bildete das Ermland eine katholische Insel - wie das Eichsfeld in Thüringen. Einer der Frauenburger Domherren hat unser Weltbild massgeblich verändert - ein gewisser Kopernikus, dessen Denkmal als Monumentalstatue unterhalb des Domberges steht. Man sieht der ganzen Anlage den zisterziensischen Ursprung an, denn der Dom hat keine beherrschenden Türme. Der massive, weit sichtbare Turm gehört zur Kirchenburg der Deutschordensritter. Besuchenswert ist auch das in besagtem Turm untergebrachte Planetarium.
Die Orgelanlage im Dom stammt in Konzeption und Ausführung im Wesentlichen aus den 30er Jahren, ausgeführt von der hier und andernorts bereits öfter geschmähten Firma Kemper. Emanuel sen. und sein Sohn Karl Kemper gehörten zwischen den Weltkriegen zu den Protagonisten der Orgelbewegung. In Bartenstein südlich von Königsberg hatte das Lübecker Haus eine Filiale, die von OBM Bruno Göbel geleitet wurde, einem erfindungsreichen Konstrukteur und guten Intonateur. Göbel machte sich nach dem Krieg in Leichlingen selbständig, die Firma erlosch m.W. Ende der 50er Jahre.
Vor dem Krieg baute Kemper in Ostpreußen einige mehrteilige Orgelanlagen, die orgelbewegt disponiert waren und zugleich klangliches Neuland boten. Walter Supper würde sie in seiner Dispositionslehre als "Orgeln reichen Stils" bezeichnen. Denn sie verfügten über entlegene Aliquoten und schlossen Streicher in 8'- und 4'-Lage nicht aus. Auch die Zungenpalette war in mannigfachen Bauformen vertreten. Paul Smets listet in seinem Buch "Neuzeitlicher Orgelbau" aus 1949 u.a. die große Fünfmanualige mit Disposition (V/120) auf, die Kemper 1937 für die Marienkirche in Danzig gebaut hat. Sie ging im Krieg unter.
In den einschlägigen Wikipedia-Artikeln werden diese Monumentalorgeln, die von namhaften Musikern der Vorkriegszeit (z.B. Heitmann, Auler, Walcha, Ramin) hoch gerühmt worden waren, "politisch korrekt" verschwiegen. Auch das Werk in Danzig/Oliva enthält einiges von Kemper, vor allem die Bässe und einige kurzbecherige Zungen.
In Frombork baute er ins historische Gehäuse eine Dreimanualige, die im Kern erhalten ist und nach dem Krieg von einem polnischen Orgelbauer um ein viertes Werk erweitert wurde. Optisch interessant sind die halbrund unter den Pedaltürmen angeordneten Spanierinnen. Meister Göbel hatte ein Faible für unorthodox angeordnete Horizontalzungen. Klanglich nehmen sie eine Mittelstellung zwischen Spanierinnen und Chamaden ein, brillant, aber nicht grell, substantiell, aber nicht laut. Dass und wie sie heute noch klingen, machte die Orgelvorführung deutlich, über die ich weiter unten berichten werde.
Hier die Disposition der Hauptorgel: der polnische Chronist gibt der historischen Wahrheit die Ehre.
http://www.organy.art.pl/instrumenty.php?instr_id=41
Hier das Bild dazu:
https://www.dropbox.com/s/2c5d2ss0giwrvm...torgel.jpg?dl=0
Die Manuale IV und V des Zentralspieltisches belegte Kemper mit den Registern einer Chororgel. Sie ist in einer Kammer am vorderen Abschluss des rechten Seitenschiffes untergebracht und steht komplett in Schwellung. Die sorgfältig getarnten, in Blindfenster eingepassten Jalousien öffnen sich sowohl zum Seitenschiff als auch zum Chor. Hier die Jalosien zum Chor:
https://www.dropbox.com/s/ow35dzkfihn08d...rnwerk.jpg?dl=0
Und hier die Disposition im Original und in der Gegenwart.
http://www.organy.art.pl/instrumenty.php?instr_id=42
Der Spieltisch ist klassischer Kemper, auch wenn die Wippen gegen welche von Heuss mit polnischen Registerbezeichnungen ausgetauscht wurden. Ebenfalls Kemper-typisch die ungewöhnlich breite, exakt in der Mitte angeordnete Walze - übrigens eine Forderung von Karl Straube, der mit beiden Füßen gleich bequem "walzen" wollte.
https://www.dropbox.com/s/i5cxk9w2fixgrj...ltisch.jpg?dl=0
Rechte und linke Staffelei nochmal separat:
https://www.dropbox.com/s/oujupika2fm9b2...rechts.jpg?dl=0
https://www.dropbox.com/s/oe1gqdurx9wscz...0links.jpg?dl=0
Nun zur Vorführung: Wie in Oliva finden hier mehrere Vorführungen pro Tag statt - außer Montag, da haben Organist und Orgel dienstfrei. Wir haben die heute um 13 Uhr besucht.
Sie sind als "Konzert" tituliert und verdienen diesen Namen, auch wenn sie nur eine halbe Stunde dauern. Der amtierene Organist nahm gleich die ganzen Effekte vorweg: Zimbelstern, Kuckucksruf, Nachtigall, Donnerpedal. Und in all das Geklingel, Gepfeife und Gegrolle spielte er mit den tiefen Röhrenglocken den "Big-Ben"-Glockenschlag. Nett gemacht, und damit waren die ganzen Schnurrpfeifereien hinreichend abgehandelt. Bastis a-moll-Konzert nach Vivaldi (1. Satz) ließ dann aufhorchen - in mehrerlei Hinsicht. Diese Orgel klingt ausgezeichnet. Die Plena voll und rund, die Mixturen ohne jede Schärfe, fein und silbrig. Ich hatte die Chororgel beim vorherigen Rundgang trotz guter Tarnung entdeckt und mich in weiser Vorahnung genau in die Mitte des Langhauses gesetzt. Als nun der Interpret die Solo- und Tuttipassagen auf beide Orgeln verteilte, hatte ich den perfekten Hörgenuss ohne Laufzeitverzögerungen. Das klang einfach beeindruckend. Und der Interpret strafte die Mär Lügen, dass sich auf Kempers Taschenladen nicht gut artikulieren lasse.
Das zweite Werk war ein anonymer spanischer Tabulatursatz in drei Versen, der die - perfekt gestimmten - Zungen in ihrer Vollendung zeigte. Prinzipalchor, dann Spanierinnen gegen diverse kurzbecherige Stimmen der Nebenwerke. Sehr apart und akzentuiert gespielt.
Auch das unvermeidliche "Ave Maria", diesmal Bach/Gounod, ließ hinhören - in der Bearbeitung Karg-Elerts mit Gounods Melodie in 2'-Lage+Tremulant im Pedal.
Von der unvermeidlichen "Epidemischen" gabs auch nur die Toccata - leider, denn von diesem souverän agierenden Interpreten (ich hätt's fast vergessen: es war der Titulaire Arkadiusz Poplawski) hätte ich gern auch die Fuge gehört. Da wäre das Fernkwerk in den Zwischenspielen sicher ein angemessener Effekt gewesen.
Zum Schluss - schon wieder! - Verdis "Gefangenenchor". Der scheint in Polen als Orgelwerk zu gelten. Immerhin spielte der Maestro einen anspruchsvollen Klavierauszug, raffiniert für diese Orgel bearbeitet.
Fazit: Da kann sich der Kollege in Oliva ein paar Scheiben abschneiden. So führt man eine große Orgel effektvoll vor.
Klar, ich hab' mir auch eine CD besorgt - für 40 Zloty (10 Euronen) auf jeden Fall ihr Geld wert.
So, jetzt mach' ich mich ans Kochen eines Abendmenüs, in dem frische Pfifferlinge aus den masurischen Wäldern und ein wohltemperierter fränkischer Weißburgunder (Importware, im Kofferraum eines blauen Autos ins Land geschmuggelt) zentrale Rollen spielen. Mal sehen, ob die Gnädigste nicht doch zu motivieren ist, morgen Abend dem Kollegen Still in Oliva zu lauschen ...
LG
Michael
O.G. Blarr hat übrigens in den 80ern bei MDG ein LP-Album gemacht mit dem Titel "Orgellandschaft Ostpreußen". Da machte die frisch überholte Frauenburgerin einen glänzenden Eindruck. Blarr hatte damals eigens einen OBM mit (ich glaube, es war Christian Lobback), der einige Orgeln vor den Aufnahmesitzungen spielbar machen und während der Aufzeichnungen bei Stimmung halten musste. Auf den Scheiben sind auch einige typische Dorforgeln aus Kempers Werkstatt verewigt, u.a. die in Morungen/Morag, die mir sehr gut gefallen hat. Ich würde gern mal hören, ob die immer noch so gut klingt wie vor rund 30 Jahren. Morag liegt hier gleich umme Ecke, aber wir haben halt noch ein paar andere Sachen vor außer Orgelgucken.
Danke für den interessanten Bericht!
Zitat von Wichernkantor
Von der unvermeidlichen "Epidemischen" gabs auch nur die Toccata - leider, denn von diesem souverän agierenden Interpreten (ich hätt's fast vergessen: es war der Titulaire Arkadiusz Poplawski) hätte ich gern auch die Fuge gehört.
Dir kann geholfen werden! Unter Arkadiusz' zahlreichen Videos ("Videos" anklicken!) sind viele an der von dir beschriebenen Orgel eingespielt, etliche an der Gloria Klassik 350 (ontopic!). [wink]
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