Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen

20.11.2017 10:47
avatar  sweelinck2 ( gelöscht )
#1 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
sw
sweelinck2 ( gelöscht )

Ein sehr trauriger Anlass hat jetzt diese Frage aufgeworfen:
Hat schon mal jemand bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen selbst den Trauergottesdienst gespielt. Der Bestatter rät wegen der zu großen psychischen Belastung eindringlich davon ab. Gibt es jemand, der schon mal diese Erfahrung gemacht hat. Ich weiß, man kann das nicht auf alle übertragen, aber ich würde sehr gerne den Gottesdienst spielen, habe aber natürlich dahingehend Bedenken, was ist, wenn es mir plötzlich nicht mehr möglich ist, weiterzu-spielen. Die Kirche wird sicherlich sehr gut besucht sein, sodass das Ganze nicht nur im familiären Umfeld ist, wo man vielleicht Verständnis erwarten könnte. Sollte mir das Spielen plötzlich unmöglich werden, würde ich wahrscheinlich auf wenig Verständnis stoßen. Der Todesfall steckt mir doch sehr in den Knochen.


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20.11.2017 11:03
#2 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
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Moderator

Ich denke, das musst Du selber wissen und entscheiden. Nur Du selber kannst einschätzen, wie belastbar du bist.
Ich habe beim Tod einiger sehr naher Angehöriger selber gespielt und es war für mich ein sehr tröstlicher Gedanke, nun so gut und so würdig wie nur irgend möglich zu musizieren.

Bei einigen Beerdigungen habe ich nicht selber gespielt und mich meistens geärgert über den unsensiblen Trampel (oder eine Trampeline), der da auf den blank liegenden Nerven der Familie herumtrampelte - einmal mit einem unsäglich verstimmten 1' ...

Mein Grundgedanke beim Spiel zu Beerdigungen: Ich habe nicht zu trauern, sondern zu trösten. Das führt in der Konsequenz dazu, dass ich keinesfalls mit der Streicherschwebung herumschmachte, sondern stille, klare Flöten und sehr diskrete Solofarben ohne Tremulant verwende. Beim Begleiten gehe ich (abhängig von der Gesangsbeteiligung) selten über die Oktave 4' hinaus, wenn's sein muss, noch einen 2', nie eine Mixtur.

LG
Michael


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20.11.2017 12:39
#3 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
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Administrator

Das sehe ich ganz ähnlich wie Wichernkantor.
Vor Jahren hatte ich das Begräbnis meines allerbesten Freundes zu beorgeln - und mir war klar, dass ich während der Feier einfach zu "funktionieren" hatte. Gott sei Dank gelang es - sowohl was das Orgelspiel als auch das Chordirigat betrifft. Erst als die Feier ihrem Ende zustrebte und der Sarg unter den Klängen von "Segne du, Maria" aus der Kirche geführt wurde, fiel die Anspannung von mir ab und ich spielte das Lied gleichsam "blind" zu Ende.
Im Rückblick kann ich sagen: Ich bin froh, dass ich meinem lieben Freund diesen letzten Dienst erweisen durfte.


Auf Orgelsuche.

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20.11.2017 12:47
avatar  Jesaiah ( gelöscht )
#4 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
Je
Jesaiah ( gelöscht )

Bin etwas zwiegespalten.

Beim Begräbnis meiner Mutter habe ich "nur" teilgenommen.
Beim Begräbnis meines besten Freundes, der mit knapp 40 an Leberkrebs verstorben war, habe ich als Diakon mitgefeiert und auch die Predigt gehalten.
Gespielt habe ich schon bei mehreren Begräbnissen von Nahestehenden, das ist mir immer leichtergefallen als das Predigen, und Singen wäre mir wohl auch nicht leicht.

Wenn ich musikalisch zuständig bin und es für die Trauerfamilie nicht völlig abwegig ist, versuche ich immer als letztes Lied ein österliches Auferstehungslied zu platzieren, mit Halleluja.

Ich glaube, es hängt tatsächlich sehr von der persönlichen Verfassung und Einstellung ab. Wichtig ist: Man spielt/singt/predigt nicht für sich und auch nicht "für den Verstorbenen", sondern für die TeilnehmerInnen am Gottesdienst. Daher ist die Schlüsselfrage wohl, wie der Wichernkantor das oben auf den Punkt bringt: Schaffe ich es, zu trösten und Hoffnung zu vermitteln? Oder würde ich nur schmerzvermehrend wirken?


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20.11.2017 18:05
avatar  pvh
#5 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
pv
pvh

Hallo,

ich habe beim Requiem eines engen Verwandten, der ein gesegnetes Alter erreicht hat, gespielt. Singen (Psalm, Halleluja) hatte ich überlegt, aber das wäre wohl nicht gut gewesen. Spielen ging gut und ich bin froh, dass ich das Requiem mitgestaltet habe.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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20.11.2017 20:12
avatar  Machthorn ( gelöscht )
#6 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
Ma
Machthorn ( gelöscht )

Ich habe auf besonderen Wunsch der Familie sowohl bei der Trauerfeier für meine Großmutter als auch für meinen Großvater die Orgel gespielt. Es war anstrengender und emotionaler als bei anderen Trauerfeiern. Aber der Familie und letztlich aber auch den Verstorbenen diesen Wunsch zu erfüllen, war für mich persönlich auch etwas Tröstliches. Ob ich es aber z.B. auch tun könnte, würde meine Frau unerwartet entschlafen, das wage ich zu bezweifeln. Letztlich ist das etwas ganz Individuelles, da gibt es keine Patentantwort.


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21.11.2017 09:26
#7 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
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Ich würde an der Trauerfeier an der Seite meiner Verwandten teilnehmen und zu Ehren des Verstorbenen vielleicht zu Beginn ein Stück spielen.

LG
Matthias

Gloria Concerto 350 Trend

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21.11.2017 11:16
avatar  fawe
#8 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
fa

Ich habe bei der Beerdigung meines Großvaters die Kirchenmusik zusammen mit meiner Familie selbst übernommen, und wir waren alle froh, dass wir "was zu tun" hatten.

Gruß, fawe


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21.11.2017 18:54
#9 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
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Ich habe sowohl bei der Trauerfeier für meine Großmutter, Schwiegervater und auch für meinen Vater die Orgel gespielt.
Bei der Großmutter u.a. ihr Lieblingsstück (Largo aus Xerxes von Händel) und bei meinem Vater eine niederländische Liedbearbeitung über "So nimm denn meine Hände".
Für mich war es in beiden Fällen mein ganz persönlicher Abschied. Beim spielen habe ich mein komplettes Umfeld (einschließlich knarrender Orgelbank) komplett ausgeblendet (was mir sonst nicht so gelingt).


Gloria Nobilis 352

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21.11.2017 20:01
avatar  Falcon 2000 ( gelöscht )
#10 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
Fa
Falcon 2000 ( gelöscht )

Das muss jeder sicher selbst entscheiden, andere können nur eigene Erfahrungen beitragen.
Ich habe vor ungefähr 1 einhalb Jahren die Trauerfeier meines Vaters gespielt und ich bin sehr froh darüber. Für mich war es dann ein sehr persönlicher Abschied, genau wie für meine Mutter und meine Geschwister.
Die Tränen kamen erst nach dem Schlussakkord.
Ich würde es wieder machen - außerdem weiß ich schon jetzt was meine Mutter sich wünscht wenn es einmal so weit sein sollte.
Wenn du dich selber in der Lage dazu siehst, mach es. Ich hätte es im Nachhinein bedauert es nicht gemacht zu haben.

LG
Christoph


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21.11.2017 23:52
#11 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
cl

ein Erfahrungsbericht: Das Requiem meiner Mutter mit Sarg in der Kirche (für kath. Verhältnisse in der Diözese Hildesheim außergewöhnlich) habe ich in diesem Jahr selbst gespielt. Ich war zweieinhalb Stunden vorher bereits in der Kirche, um meine Registrierungen nochmal durchzugehen und in Hautbois 8´ und Cor anglais 16´ im SW die Ausreißer beizustimmen. Wie oft hatte Mutter mir dabei früher die Tasten gehalten... Meine Eltern waren vor und während der Erbauung der Orgel überzeugte Förderer dieses Instrumentes... Dann bin ich zu Mutters Sarg vor dem Altar gegangen, habe mich noch einmal vor ihr verneigt (verabschiedet hatten wir uns kurz vor ihrem Tod)... sicher, dann schossen meine Tränen... anschl. vor der Kirchtür waren so viele Menschen da, die ich teilweise seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte.... Dann habe ich mich durch Ausblendung persönlicher Befindlichkeiten an die Orgel begeben und meinen Dienst so gut ich nur konnte versehen.
Gestaltet war das Requiem mit Lieblingsliedern und Stücken meiner Mutter.
(Vorspiel: freie Improvisation über "Vater unser, der Du wohnest in dem schönen Himmelreich", Sub com.: Berceuse op 19, G. Fauré, Sargprozession: Prière von Ambroise THOMAS).
Mutter wäre stinksauer gewesen, wenn ich ihre persönliche Liedkatechese (30 Jahre Religionslehrerin) musikalisch nicht ausgestaltet hätte. Alle Lieder wurden mit allen Strophen gesungen. Segne Du Maria als Schlußlied mit allen Strophen. Als es dann gesungen wurde, wurden in der letzten Liedzeile die Türen des Hauptportales geöffnet. Es entstand ein Sog am Notenpult und die Noten des Nachspiels segelten um meine Orgelbank herum. Als ich mich danach bückte, hörte ich im "Innen" meine Mutter fast im Befehlston sagen:" Du drehst Dich jetzt nicht um! Und Du schaust auch nicht in den Spiegel! Spiel...!" Das Priére hat seine Wirkung nicht verfehlt und ich bin heile im Schlußakkord angekommen. Im Nachhinein bin ich froh und dankbar, diesen Dienst zum Trost aller selbst gespielt zu haben. Eine der schönsten Rückmeldungen war: Immer wenn die Tränen rollen wollten, durften wir gegen unsere Trauer ansingen. Das tat so gut.

Liebe Grüße vom Clemens

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27.11.2017 11:33
avatar  jogo31 ( gelöscht )
#12 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
jo
jogo31 ( gelöscht )

Bei meiner Großmutter habe ich das gemacht und es ging auch ganz gut. Bei meinem Vater habe ich es allerdings vorgezogen einen Organisten meines Vertrauens zu engagieren, da ich dann doch lieber während des Requiems in der Nähe meiner Mutter sein wollte. Grundsätzlich bin ich da immer ganz gefasst, die Fassungslosigkeit über den Tod naher Angehöriger macht sich bei mir immer erst bemerkbar, wenn der ganze organisatorische und "offizielle" Teil vorbei ist und ich zur Ruhe komme.


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05.12.2017 19:36
avatar  sweelinck2 ( gelöscht )
#13 RE: Spielen bei der Beerdigung eines sehr nahen Angehörigen
sw
sweelinck2 ( gelöscht )

Danke für die vielen Antworten!
Ich habe bei der Beerdigung die Orgel gespielt. Während des ganzen Gottesdienstes war ich voll auf das Spielen konzentriert, ich glaube, noch nie so konzentriert wie bei diesem Gottesdienst. Es war die absolut richtige Entscheidung selbst zu spielen. Ich hätte es im Nachhinein bereut, nicht selbst gespielt zu haben. Ich kann aus meiner jetzigen Erfahrung nur dazu raten, wenn man spielen will, es dann auch zu tun. Die Lieder hatte ich selbst ausgesucht, die Strophen waren nach dem Inhalt ausgewählt. Es gab viele positive Resonanz seitens der Kirchenbesucher. Ich möchte noch betonen, dass ich keinesfalls der "harte Typ" bin und ich es dennoch geschafft habe. Der einzige "Nachteil", wenn man das so nennen will, ist, dass man nicht bei den Angehörigen in der Bank sitzt.
Nochmals "Danke!" für die vielen Antworten.


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