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RE: Orgeln in Frankreich
#1 RE: Orgeln in Frankreich
Hallo liebe Leute,
wir waren ja ein paar Tage in Frankreich unterwegs - überwiegend entlang der Loire. Und da steht nicht nur in jeder Ecke ein Schloss, sondern auch eine gotische Kathedrale.
Während es mit Orgeln auf dem flachen Lande ja eher bescheiden aussieht, haben die Kathedralen (meistens zwei) Instrumente, deren künstlerischer Rang dem der Bauwerke entspricht. Hier mal ein paar Bilder, die technischen Daten liefere ich nach, wenn wir wieder daheim sind.
Die Kathedrale von Orléans ist ein Juwel der Hochgotik. Die Hauptorgel auf der Westempore:
https://www.dropbox.com/s/808c761cz61i0r...torgel.jpg?dl=0
Die Chororgel vorne links über dem Chorgestühl - der Standardplatz, wie mir aufgefallen ist.
https://www.dropbox.com/s/8wfwm8ixsxukw0...rorgel.jpg?dl=0
In der Nähe von Orléans liegt die Benediktinerabtei St. Benoit sur Loire. Späte Romanik vom Allerfeinsten, durch die Verwendung hellen Sandsteins trotz kleiner Fenster auch innen sehr hell und freundlich. Die Orgel ist eine altfranzösische Stilkopie mit spanischen Zungen - Becher in Weißblech, was einen sehr aggresiven, raumbeherrschenden Ton ergibt.
https://www.dropbox.com/s/n6ug4zkzbpfqcm...0Loire.jpg?dl=0
In Blois ist wieder Gotik zu sehen, auf der Westempore ein ausladendes Barockgehäuse mit mehrfach verändertem Innenleben:
https://www.dropbox.com/s/1np87c7pclquys...torgel.jpg?dl=0
Die Chororgel aus dem 19. Jh. ein recht eigentümlich proportionierter "Schrank".
https://www.dropbox.com/s/0r8c6aobd40ykk...rorgel.jpg?dl=0
Ein Juwel der Hochgotik ist die Kathedrale von Tours. Sie bietet in ihren großflächigen Fenstern Glaskunst vom 14. Jh. bis zur Moderne.
Die Hauptorgel steht an der Stirnwand des rechten Seitenschiffes - auch sie mit der klassischen Gliederung in Türme und Felder des frz. Barock.
https://www.dropbox.com/s/3d5gskutye5g8t...torgel.jpg?dl=0
Die Chororgel hat die typische Prospektform der "Zweitgotik", mit Bögen, Fialen und Kreuzblumen. Eine schöne Schreinerarbeit. Klanglich steht sie zwangsläufig im Schatten der "großen Schwester", die - wie häufiger in Frankreich - im Laufe ihres Lebens mehrfach auf "gewachsenen Bestand" restauriert, überarbeitet und erweitert wurde.
https://www.dropbox.com/s/neoz8i2f83zp6w...rorgel.jpg?dl=0
Soweit mal für's erste - wir haben uns spontan zu einem Abstecher in die Schweiz entschlossen und sind auf einem Campingplatz am Thuner See gelandet.
Wissende wissen, wer von unseren Forianern dort lebt. Und wir ziehen morgen natürlich auf eine kleine Orgeltour ...
LG
Michael
#3 RE: Orgeln in Frankreich
Alle Fenster in diesem Raum sind genial. Wir waren dort wie immer im ersten Büchsenlicht. Die Sonne leuchtete von Südosten in die Fenster des Hauptschiffes und des rechten Querhauses. In jedem Joch des Hauptschiffes gab es eine neue Lichtstimmung, die sich dazu noch im Fünfminutentakt änderte. Ich hätte den ganzen Vormittag in diesem Raum herumgehen können, um die verschiedenen Bilder einzufangen. Ich habe eine ganze Serie von Fotos allein von den Fenstern gemacht. Wenn man auf dem Platz vor der Kathedrale steht und die beiden Eingangsportale offen stehen, blickt man bis zu den Chorfenstern durch eine sonnenbeschienene Allee auf Pfeilern in unterschiedlichen Farbtönungen. Der neutrale hellgraue Sandstein reflektiert jede Lichtfarbe der Fenster.
Schon lange hat mich kein Kirchenraum mehr so beeindruckt.
Auch von der Musik wird man nicht gleich am Portal "erschlagen". Da beide Orgeln vorn stehen, wird man auch klanglich in den Raum "hineingezogen", wenn der Organist präludiert.
LG
Michael
Wie wär's mit einer Orgelreise nach Frankreich?
Sozusagen: Unsere Tour nach Tours...
Dafuer:
VG
Aeoline
#5 RE: Orgeln in Frankreich
Ich wäre sofort dabei. Die Touraine (die Gegend rund um Tours) hat alles, was man so braucht: Erlesene Tröpfchen von der Frucht des Weinstockes, in jedem Nest einen eigenen, charakteristischen Käse, Kunst in jeder Form (auch Lebenskunst) und nicht zu vergessen: Obelix hat nicht weit entfernt seine Wildschweine gejagt. [grin]
LG
Michael
#7 RE: Orgeln in Frankreich
Zitat von Wichernkantor
...Wissende wissen, wer von unseren Forianern dort lebt. Und wir ziehen morgen natürlich auf eine kleine Orgeltour ...
Vielen Dank für den Reisebericht.
Nimm ganz liebe Grüße an die schweitzer "Exilanten" mit und habt viel Freude.
#8 RE: Orgeln in Frankreich
#10 RE: Orgeln in Frankreich
Am vorletzen Tag unseres Urlaubs haben wir uns u.a. in Colmar umgesehen. Natürlich ist der Isenheimer Altar die touristische Attraktion. Aber in seinem Schatten geht sehr gern unter, dass auch das Martinsmünster eine Gipfelleistung der Spätgotik des süddeutsch-allemannischen Kulturkreises darstellt. Die Colmarer waren Pragmatiker: Als das Geld ausging, gaben sie dem Turm einen Helm-Abschluss - anstelle der in der Nachbarschaft (Freiburg, Thann, Sélestat) üblichen hoch aufragenden steinernen Spitze. Trotz seiner gedrungenen Form wirkt der Baukörper sehr harmonisch und proportioniert. Und diese Harmonie wird übertroffen von den feinen Ziselierungen und Steinmetzarbeiten des Innern.
https://www.dropbox.com/s/a2uf8ci8o85ij7...3%9Fen.jpg?dl=0
https://www.dropbox.com/s/lb6dsjy86qsdz7...0innen.jpg?dl=0
Der Straßburger Andreas Silbermann baute im frühen 18. Jh, eine angemessene Orgel, von der nur das Gehäuse überlebt hat. Pfeifenwerk und Windlande fielen einer "Modernisierung" um die Jahrhundertwende zum Opfer.
1979 geschah Unerhörtes, das ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald der Fachpublikationen auslöste: Die Kirchengemeinde bestellte beim Schweizer Orgelbau Felsberg eine neue Orgel (im alten Gehäuse), die eine Stilkopie des Norddeutschen Barock werden sollte. Ein gewaltiger Eklat in einer Region, in der Leute wie Schweitzer und Rupp zu Beginn des 20 Jh. die sog. "elsässische Reform" angestoßen hatten. Sie kanonisierten die Orgeln eines Andreas Silbermann und seiner Söhne mit ihrer Symbiose des altfranzösischen und des süddeutschen Klangideals zum Archetypus der "Bachorgel". Die Welt der tatsächlichen und selbsternannten Experten stand Kopf. Als Jungstudent verfolgte ich mit Befremden den Krieg, der um diese Orgel entbrannte und vielleicht vergleichbar ist mit dem Streit, der um die neue Orgel für die Dresdener Frauenkirche geführt wurde (die ja von einer elsässischen Firma - Kern - ausgeführt wurde).
Die Colmarer entschieden sich bewußt für eine Ästhetik, die norddeutsche Barockmusik in den Vordergrund rückte. Das Experiment gelang so gut, dass Wolfgang Rübsam an dieser Orgel in den 80er Jahren eine überzeugende Buxtehude-Gesamteinspielung realisierte.
https://www.dropbox.com/s/1jh90tbykhdwr6...torgel.jpg?dl=0
https://www.dropbox.com/s/jlf62wudjqzamp...torgel.jpg?dl=0
Schon 1976 hatte die Straßburger Firma Schwenkedel bereits eine Chororgel erstellt, die deutlich allemannisch-silbermännisch spricht. Sie weist zwei Besonderheiten auf:
1. Das Regal des Brustwerkes (einzige Manualzunge!) ist horizontal angeordet und entsprechend kräftig ausgelegt.
2. Das Gehäuse besteht aus Teilen eines Beichtstuhles und Altares, die ein Kunstschreiner anno 1910 in hochgotischer Manier und mit ausgeprägtem Stilempfinden für das Martinsmünster gefertigt hatte.
https://www.dropbox.com/s/ryfoirlfcocvgt...rorgel.jpg?dl=0
https://www.dropbox.com/s/hp08139z5ukfa4...rorgel.jpg?dl=0
Zwei äußerst bemerkenswerte Instrumente in einem singulären Raum.
LG
Michael
#12 RE: Orgeln in Frankreich
Hier noch mal Dispositionen und weitere Informationen zu den abgelichteten Orgeln - z.T. auf Französisch oder Englisch:
Orléans: http://www.jeanpierregriveau.com/Orgues-...le-Orleans.html
St.-Benoit-sur-Loire: https://www.musiqueorguequebec.ca/orgues...e/sbenoitl.html
Blois: https://www.musiqueorguequebec.ca/orgues...issl.html#Liste
Tours: https://www.musiqueorguequebec.ca/orgues...rssg.html#Liste
LG
Michael
#13 RE: Orgeln in Frankreich
In der Kathedrale von Nantes steht ein häufig anzutreffender "Klassiker" des französischen Orgelbaues: Barockes Gehäuse, dessen urprünglicher Inhalt mehrfach überarbeitet und restauriert wurde. Immer nach derselben Methode: Der gewachsene Bestand wird auf technischen Stand gebracht und durch Erweiterungen an die musikalischen Erfordernisse der Jetztzeit angepasst. Heute nennt man das wohl "Reorganisieren". Hier der (gegenwärtige) Zustand von Haupt- und Chororgel:
http://www.orgue-nantes.com/les-orgues/cathedrale-go/
Hier die Bilder:
https://www.dropbox.com/s/a08z4q5g4un6zs...torgel.jpg?dl=0
https://www.dropbox.com/s/qq2o0wjz2pul6m...rorgel.jpg?dl=0
Bemerkenswert sind die Dreimanualigkeit der Chororgel, ihr seitlich abgesetzter Spieltisch und die von vornherein angelegte elektrische Traktur. Es dürfte wohl eine der ersten und wenigen Trakturen dieser Art im Frankreich des 19. Jh. gewesen sein.
Wer vor einigen Jahrzehnten in der kirchlichen Jugendarbeit unterwegs war (wie der Unterfertigte und seine Angetraute), war mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann mal in Taizè. Auf dem Heimweg durch das Rhonetal entdeckten wir, dass das kleine Dorf in Burgund quasi am Weg liegt und sind mal vorbei - Erinnerungen auffrischen. Als ich das letzte Mal dort gewesen war (das muss so Mitte der 70er gewesen sein), stand in der Kirche noch eine (damals neue) Orgel von Ahrend. Und es gab unter den Brüdern einen versierten Organisten, der überwiegend Bach und norddt. Barock spielte.
Besucher späterer Jahrzehnte berichteten mir, dass diese Orgel in einem beklagenswerten Zustand sei. Nun gibt es eine neue - eine Wechselschleifen-Lösung von Grenzing.
Hier das Bild:
https://www.dropbox.com/s/kmagh8xl3r8q5i...-Orgel.jpg?dl=0
Und hier die Disposition:
https://www.grenzing.com/organosshow.cfm?id=202&ip=202203
Klanglich spricht sie ein mitteldeutsch-barockes Idiom, Grenzing baut (in seiner spanischen Werkstatt) ja gern in der Ästhetik des sächsischen Silbermann. (Gespielt wurde sie im Gottesdienst, an dem wir teilnahmen, leider stümperhaft - na ja, es war das Mittagsgebet an einem Werktag. Ich hoffe, sie haben für die Sonntage einen kundigeren Maestro.)
Keimzelle der Kommunität ist ja die kleine romanische Dorfkirche von Taizé. Dort habe ich vorne links im Altarraum ein Truhenpositiv ausgemacht, es jedoch nicht in Augenschein genommen. In dieser ungemein stilvollen und in ihrer Schlichtheit weihevollen Kirche waren einige junge Leute in Zuständen mystischer Versenkung, sodass ich es als Blasphemie empfunden hätte, an ihnen vorbei nach vorne zu latschen und mal zu gucken - oder gar eine Taste anzufassen ...
LG
Michael
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