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Olivier Latry in Waltershausen
#1 Olivier Latry in Waltershausen
Gestern hat Maître Olivier Latry in Waltershausen die diesjährigen Thüringer Bachwochen eröffnet. Ich hatte mich spontan entschlossen, einer freundlichen Einladung zu folgen. Die Fahrt über 160 Kilometer (über A5 und A4 an einem Sonntag kein Akt) war es in jeder Hinsicht wert. Ich bin jetzt noch geplättet vom Spiel dieses international gefeierten Virtuosen, der in der Lage ist, an einem genialen Instrument kongenial zu agieren - und zwar aus dem Stand, bescheiden, freundlich, souverän, unaffektiert und ohne jeden Anflug eines allürenhaften Gestus'.
Ich kannte diese Orgel bereits live und besitze wohl ein Dutzend CD-Einspielungen renommierter Interpreten. Aber was Latry gestern geboten hat, übertrifft alle bisherigen Live-Eindrücke und Konserven. Um die vielen Impressionen zu sortieren, brauche ich einfach noch ein wenig.
Hier mal zunächst ein paar Bilder:
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Die Kirche hat umlaufende Emporen in drei Etagen. Ich fand einen Platz im 2. Stock, der Orgel direkt gegenüber, genau in der Mittelachse. Da es sich um einen angerundeten Zentralbau handelt, kam die Orgel an meinem Sitzplatz mit einer Plastizität und stereophonen Räumlichkeit an, die unbeschreiblich ist.
https://www.dropbox.com/s/2sogsr13f63u5p...%2002.jpeg?dl=0
Latry spielt(e) ja eine Monumentalorgel mit immensen klanglichen Ressourcen, breitester Dynamik und allen erdenklichen Spielhilfen. In etlichen Stücken des Programms wollte und konnte er auf Dynamik und rasche Farbenwechsel nicht verzichten und brauchte dazu Hilfe: KMD Theophil Heinke (rechts) und sein Assistent Tom Anschütz waren als intime Kenner des Instrumentes wichtige Helfer.
Dem zollte der Maître auch beim Schlußapplaus gebührend Tribut:
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Als Zugabe gab's Bachs "Ich ruf' zu Dir, Herr jesu Christ", den colorierten c.f. mit der verzauberten Vox humana.
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Und dafür natürlich nochmals heftigsten Applaus aus dem voll besetzten Auditorium:
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Das offizielle "Pressefoto":
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Und das Erinnerungsfoto für die Assistenten und die Gemeinde-Annalen:
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Ein Aufnahmegerät habe ich mit Vorsatz nicht mitgenommen. Eine Aufzeichnung fiele zwangsläufig ab. Das muss man einfach live erlebt haben. Ich brauche noch etwas Distanz zum Erlebten und erzähle dann was. Es kann ein paar Tage dauern, da ich morgen früh vor Tau und Tag den Diesel zur Kircheninstallation einer Concerto sattle.
LG
Michael
#3 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Wenn das Programm im Internet nicht out of date ist, wäre das Latry-Konzert an der Trost allerdings fast das letzte der Bachwochen gewesen -- und das ist für Orgelfreunde bestimmt auch ein krönender Abschluss =)
Bei aller öffentlichen Förderung sind aber die Preise für viele der Konzerte (nicht das oben erwähnte -- das finde ich sehr fair) ganz schön beachtlich. Offenbar verkauft sich dieser Herr Bach wohl recht ordentlich ;)
#4 RE: Olivier Latry in Waltershausen
M.W. wurde nicht aufgenommen, jedenfalls nicht professionell. Ich habe kein entsprechendes Equimpent wahrgenommen. Was da "schwarz" auf diversen Smartphones gelandet ist, entzieht sich meiner Kenntnis - und gibt sicher keinen auch nur ännähernden Eindruck des realen Klangs. Der Klang dieser Orgel im Raum ist einfach überwältigend.
LG
Michael
#6 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Das hört sich wirklich nach einem sehr gelungenem Konzert an, vor allem an einer Orgel, die seinem französischen Ideal fast diametral entgegensteht. Wobei er, nach eigener Aussage, die alten (französischen) Meister sehr mag und gerne spielt, auch mit historischen Fingersätzen.
Schön, dass Du so ein besonderes Konzert miterleben konntest! Chapeau :-)
Cavaille-Coll St. Sernin / Toulouse - oder so was in der Richtung... ;-)
Gloria Concerto 469 CC - 2021
www.orgelmusik-kelkheim.de
Viola da Gamba
(
gelöscht
)
#7 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Latry an dieser tollen Orgel wow!
Das hätte ich auch gerne gehört. Er ist ein absolutes Phänomene als Interpret.
Ich habe ihn in Speyer, Heidelberg und mehrmals in Paris gehört. Die Konzerte waren immer höchste Qualität.
Es waren aber immer Instrumente aus der sinfonischen Richtung. Aber eine historische Orgelmit eher trockener Akustik... Das schon etwas Besonderes.
#8 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Nach erfolgreicher Österreich-Exkursion und ebensolcher Repatriierung hier noch ein paar Takte vom Latry-Konzert:
Latry hatte nur kurz Zeit, sich mit der Registratur und den abnormen Maßen der „Console“ (vor allem denen des Pedals mit ungewöhnlich weiter Tastenteilung) vertraut zu machen. Aber das zeichnet ihn (u.a.) aus: Er kann sich in kürzester Zeit auf widrigste Umstände einstellen und Höchstleistung auf den Punkt abrufen.
Das sechsstimmige Ricercar aus Bachs „Musikalischem Opfer“ pflegen andere Interpreten als Schluß- und Höhepunkt ihrer Darbietungen im Programmablauf zu platzieren. Ein Olivier Latry kann es sich leisten, damit zu beginnen und gleich mal klarzumachen, wie hoch die Latte liegt - und die Latte ist schwindelerregend hoch über den Köpfen derer, die danach springen wollen.
Eigentlich kein Orgelwerk - daher ein Orgelwerk von höchster Schwierigkeit. Denn Bach war es wurscht, ob die Partitur „gut in den Händen“ liegt. Daraus einen stringenten klanglichen Kosmos zu machen, dessen Spannungsbogen ohne Durchhänger vom ersten Ton bis zum Schlußakkord reicht, ist eine Leistung, die allein genügt hätte, aus diesem Konzert ein künstlerisches Ereignis der Oberliga zu machen.
Thierry Escaichs „Evocation I“ rechnet eigentlich mit den Errungenschaften einer modernen Spielanlage mit Appels, „Combinaisons“ und/oder üppiger Setzeranalge. Ersatzweise tun es aber auch zwei Registranten, die das Instrument kennen (in diesem Falle „Hausherr“ KMD Theophil Heinke und sein Assistent Tom Anschütz). Sie sollten im Verlauf des Programms mehrfach erheblich gefordert sein. Escaichs Klangflächen mit ihren blitzschnellen, expressiven Farbenwechseln standen in denkbar größtem Kontrast zu Bachs archaischem Regelwerk. Forderte das Ricercar den Hörer intellektuell heraus, durfte er sich in der „Evocation“ gelassen zurücklehnen, diese statischen Klänge genießen und sich vom Farbenspiel überraschen lassen, das der Interpret den immer wieder neu bezaubernden Flötenklängen dieser Orgel entlockte.
Latry hatte vier Choräle aus dem „Orgelbüchlein“, die BWV-Nummern 610, 622, 637 und 636 zu einem Zyklus zusammengestellt, dazwischen drei „Préludes“ aus der Feder seines Co-Titulaires Jean-Pierre Leguay gesetzt. Da er den siebenteiligen Zyklus „attaca“ spielte, entstand ein an eine Partita erinnerndes Großwerk voll expressiver Dichte. Ob man so etwas „darf“, sei diskussionswürdig. Entscheidend ist, ob man es „kann“. Und da bewies Latry einmal mehr, dass er über jeden Zweifel erhaben ist. Es war eine spannende Erfahrung, nach dem herrlich ausmusizierten „Jesu, meine Freude“ den Aspekt der Freude in einer Deutung moderner Tonsprache zu erleben.
Auf diese beiden Programmpunkte war ich besonders gespannt: Die Fantasie G-Dur 572 und die c-moll-Passacaglia 582. Erst wenige Tage zuvor hatte mir ein Kollege Ohrenscheine in eine CD-Aufnahme gewährt, die eine Interpretin, die sich in ihrer Vita als „international gefeiert“ bezeichnet, kürzlich an dieser Orgel gemacht hat. Ich hatte an beidem wenig „Feierliches“ entdeckt und war um so gespannter, wie ein Interpret, der wirklich internationales Renommée genießt, die Herausforderungen angehen würde.
Erster Satz der „Pièce d’Orgue“ comme il faut, filigrane Lückenregisterung, richtiges Tempo, geistreich artikuliert. Das Gravement mit seinen fallenden Vorhaltssequenzen (die gerne „langweilig“ werden - vor allem, wenn das Tempo durchhängt) spannungsgeladen, dennoch breit und gelassen strömend. Der dritte Satz, die gern zum „Virtuosenstück“ degradierten Sextolen über chromatisch fallendem Bass, boten mir einen Genuss der besonderen Art. Ich kenne dieses Stück seit fast 60 Jahren und spiele es selber seit einem halben Jahrhundert. Aber noch nie ist mir aufgegangen, dass in den Anfangstönen jeder Sextolengruppe eine Gegenmelodie zur Baßlinie steckt. Ich habe dieser Musik gelauscht, als hörte ich sie zum ersten Mal. Latry registrierte anstelle des üblichen, spitzen Nebenwerks-Plenums weiche Flöten und singende Prinzipale der 8‘- und 4‘-Lage, gewürzt mit der diskret durchzeichnenden Quintade, so dass sich die zweite Melodie durch Arpeggieren schön herausarbeiten ließ. Einfach genial! Für mich der absolute Höhenpunkt dieses Konzertes.
Bei den ersten Takten der Passacaglia dachte ich mir zunächst: „Nicht schon wieder!“ Denn seit auf irgendeiner Abschrift die Bezeichnung „Organo Pleno“ entdeckt wurde, ist es Mode geworden, dieses Stück, das nach Farben- und Manualwechseln schreit, im Plenum durchzunudeln.
Im Gegensatz dazu präsentierte Olivier Latry seinen Hörern beste französische Spieltradition, machte seinen Registranten eine Menge Arbeit und mir eine Menge Freude, indem er von einer Variation zur nächsten Spannung aufbaute. Die Fuge in leicht gerücktem Tempo wurde dann zum (erwarteten) technischen Bravourstück. Eigentlich hätten diese beiden großen „Bäche“ für eine CD mitgeschnitten werden müssen.
Mit besonderer Spannung erwartet: Was würde der Herr über 100 Register und alle erdenklichen Spielhilfen einer ebenso historischen wie puristisch ausgestatteten Orgel improvisando entlocken? Natürlich: B-A-C-H!
Und so schloß sich ein Bogen, der sich vom ersten Ton des Ricercars bis zum letzen Ton der Improvisation spannte und mit Überraschungen und Entdeckungen im Minutentakt bot. Latry entwickelte aus den vier Tönen einen Kosmos eines sich in Klangkraft, Tempo, Dichte und Rhythmik ständig weiter ausdifferenzierenden Geschehens. Am Schluß kein „Kraftakt“, sondern ein fast abruptes Verklingen.
Atemlose Stille im Raum vor dem tobenenden Schlußapplaus aus dem (nahezu) voll besetzten Auditorium.
Ich habe einige Tage gebraucht, um das Gehörte zu „verdauen“ und sprachfähig darüber zu werden. Auf jeden Fall hat dieses Konzert auf meiner Liste der stärksten künstlerischen Eindrücke meines Lebens einen Platz ganz weit vorn.
LG
Michael
#9 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Ein "Sakrileg", daß dieses Konzert nicht aufgenommen wurde!
Da wird jeder erdenkliche Mist auf Tonträger gebannt, und ein solches echtes Highlight bleibt der Nachwelt nun verschlossen...
Mehr als bedauerlich!
Mit dieser endlosen und besonders bei großen Orgelwerken langweiligen, "historischen" Organo-Pleno-Durchspiel-Manier sprichst Du mir aus der Seele...
Viele Grüße
Bernhard
P.S.: Wie war es denn genau mit Deiner "Österreich-Exkursion"?
#10 RE: Olivier Latry in Waltershausen
#11 RE: Olivier Latry in Waltershausen
#12 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Ich kam abends nach Hause und fühlte mich erst mal wie er:
https://www.dropbox.com/s/hdpxa4zgrguox4...t%202.jpeg?dl=0
LG
Michael
#13 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Das ist die tiefe und vollständige Gemütlichkeit, wenn man alle seine Feinde besiegt und die absolute Herrschaft über das Tomatenhaus erlangt hat -- da lassen sich sogar die scharfen Werkzeuge mal einklappen (=
Wie schön, dass der Rembrandt öfter mal für ein Portrait stillhält =^.^=
#14 RE: Olivier Latry in Waltershausen
Wichernkantor:
»Auf jeden Fall hat dieses Konzert auf meiner Liste der stärksten künstlerischen Eindrücke meines Lebens einen Platz ganz weit vorn.«
Deine Beschreibung des Konzerts hat mich so bewegt, dass ich deine Bemerkung über »die stärksten künstlerischen Eindrücke meines Lebens« ganz und gar nachfühlen kann.
Ich habe noch kurz überlegt, zum Konzert nach Waltershausen zu fahren. Aber aus der äußersten Südwestecke Deutschlands zu einem Konzert nach Thüringen fahren klingt unvernünftig. Aber nur diese Unvernunft beschert einem solche Sternstunden.
Wir waren schon zu Besuch in Waltershausen. Unser kleiner Chor – überwiegend aus haupt- und nebenamtlichen Kirchenmusikern bestehend – hat dort schon gesungen. Natürlich durften wir bei der Gelegenheit auch kurz an der Orgel Platz nehmen, die uns Tom Anschütz vorführte. Ich habe davon aber nur noch die riesigen Registerhebel und die reichen Verzierungen am Spieltisch in Erinnerung.
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