Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?

25.10.2011 11:45
avatar  Mathias91 ( gelöscht )
#1 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Ma
Mathias91 ( gelöscht )

Ihr Lieben, alle zusammen, jetzt müsst ihr mal an die Arbeit!

Ausgehend von Louis Claude D'AQUIN's "Livre de Noël" stelle ich mal vier Interpretationen der N° X "Grand Jeu et Duo" hier ins Forum.

Zum Mitlesen, oder Nachspielen, gibt es hier eine von Alexandre GUILMANT bearbeitete Ausgabe und hier eine etwas besser zu lesende Ausgabe von Pierre GOUIN.

Für diejenigen unter Euch, die eventuell nicht mit den im französischen Barock üblichen Gruppenzügen vertraut sind und ein bischen französisch können, gibt es diesen interessanten Link, ansonsten findet man sie in jedem einschlägigem Orgelbuch wie z.B. bei Klotz & Cie. Es sollte noch kurz daran erinnert werden, dass Dom Bedos und D'Aquin Zeitgenossen waren. Im übrigen, nach durchlesen einiger Links, nicht Grand Jeu mit Grand Plein Jeu verwechseln, wie das auf einigen Web Sites der Fall ist...

Lange Rede, kurzer Sinn : Vier Versionen. Bei welchem Organisten sollte man von Interpretation und bei welchem von Selbstverherrlichung sprechen? Wie bindend sind die Angaben des Komponisten? Welche Freiheiten habe ich (oder auch nicht) im Rahmen einer Interpretation?

Hier eine Version von Maria Tchebourkina :



Hier eine Version von Xaver Varnus :



Hier eine Version von Virgil Fox :



Hier eine Version von Marcel Dupré :



Bin auf Eure Meinung gespannt!


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25.10.2011 12:32
#2 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
C-

Wer - wie ich - nicht so gut französisch kann, probiert mal den Google-Übersetzer und liegt dann vor Lachen auf dem Boden: http://translate.google.de/translate?hl=...de_l'Orgue


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25.10.2011 13:04
avatar  BWoll ( gelöscht )
#3 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
BW
BWoll ( gelöscht )

meine Meinung dazu:

1) Interpretation
2) Selbstverherrlichung
3) Selbstverherrlichung
4) schlechte Aufnahmequalität - weder Interpretation noch Selbstverherrlichung


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25.10.2011 19:10
avatar  pvh
#4 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
pv
pvh

Hallo,

alle Varianten (ich habe mir jeweils nur die ersten 1, 2 Minuten angehört) sind natürlich Interpretationen und als solche auch erst mal zulässig. Sicherlich liefert nur Nr. 1 so etwas wie historisch informierte Aufführungspaxis ab, aber dass die anderen das Stück anders interpretieren, macht ja nichts.

Dazu erst mal auch eine Frage: Stammen die Registrierungsvorschläge bzw. Überschriften tatsächlich von Daquin oder stammen die etwa von Guilmant und Gouin? Vielleicht sind das ja die Vorstellungen, wie sich die franz. Spät-Romantik (?) oder Orgelbewegung den französischen Barock vorgestellt hat? Im deutschen Barock gab es ja nur spärliche Angaben, Herausgeber im 19. Jh und in der ersten Hälfte des 20. Jh. haben viele Bindebögen, Registrierungsvorschläge usw. hinzugefügt, und in den letzten 20 Jahren ging es wieder zurück Richtung Urtext/Quelle und all diese "Beigaben" flogen aus den aktuellen Ausgaben wieder heraus.

Ich spiele dieses Noel No. 10 auch, habe aber keine franz. Barockorgel mit den entsprechenden Registern zur Verfügung. Was spricht dagegen, das Noel an Weihnachten mit ein paar Flöten, also ohne irgendwelche Zungen, Cornets oder gar Prestants, vor dem Gottesdienst oder zur Kommunion hinzutupfen, egal was bei Daquin oder Guilmant steht? In meinen Augen nichts, es gefällt den Leuten und passt bestens. "Le Coucou" spiele ich beispielsweise auf 2 Manualen, das hat Daquin für dieses Cembalo-Stück sicher auch nicht so gemeint.

Ich kenne nicht viele Komponisten, eigentlich nur einen, der mich auffordert, seine Sachen so zu spielen, wie es für mich, die Gemeinde, die Situation passt. Er hat sich sogar mehr oder weniger geweigert, mir seine Registrierungen auf unserer Orgel zu verraten. Xaver Varnus habe ich einmal persönlich kennengelernt und mich ein bisschen mit ihm unterhalten können. Er ist schon sehr speziell, interpretiert Bach mit Begeisterung auf romantische Art mit Schweller und so weiter, überhaupt auf romantischen Orgeln und spielt alles schwelgerisch Legato, aber er ist ein Vollblutmusiker mit grandioser Technik, er gestaltet die Musik, besser die musikalische (Noten-)Vorlage so, wie es ihm in den Sinn kommt und gefällt. Das Noel klang sicher bei Daquin selbst ganz anders, aber was Varnus daraus macht, ist doch auch (überwiegend) klasse. OK, ich vermeide da Stellen im forte/Plenum, aber das ist halt seine Vorstellung der Musik.

Interpreten sind ja nachschaffende Künstler, keine Automaten, die sklavisch Vorlagen nachahmen, das kann auch langweilig werden. Varnus, Fox und Dupré (dessen Spiel finde ich teilweise viel zu schnell) sollte man ihre Spielfreude, Kreativität und Fanatasie daher m.E. nicht als Selbstdarstellung auslegen. Man muss Sie ja nicht gerade zu einem Festival für originalgetreue gespielte, alte Musik einladen.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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25.10.2011 22:56
avatar  Mathias91 ( gelöscht )
#5 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Ma
Mathias91 ( gelöscht )

Zitat von chp
...Stammen die Registrierungsvorschläge bzw. Überschriften tatsächlich von Daquin oder stammen die etwa von Guilmant und Gouin?


Ja, die Registrierung kommt von D'Aquin (dadurch der Hinweis auf Dom Bedos) und entspricht den damals üblichen Registrierungen, die mit französischer PäDantik "vorgeschrieben" wurde... Darum kam ich ja auf diesen Aufnahmevergleich, denn man muss D'Aquin nicht mögen, aber er hatte eben ein präzises Klangbild im Ohr und hat das auch deutlich kundgetan... Uns Franzosen fehlt es oft an Leichtigkeit und der Professor ist auf diesem Niveau auch nicht immer weit weg... Dafür gibt es in vielen anderen Bereichen auch gute Beispiele. Man sollte nicht vergessen, dass zu dem Zeitpunkt der Komposition die französische Hofetikette auf ihrem Höhepunkt war - Etikette, die sich in vielen Bereichen bemerkbar machte. Viel Platz für Woodstock gab es da wohl nicht...

Insofern, gibt es da nicht viel persönlichen Spielraum - ganz davon abgesehen, ob es die Orgel überhaupt erlaubt, aber das ist ein anders Thema.

Ich fand es interessant, dass die unbekannteste Organistin das Stück am getreutesten spielt - und es klingt einfach auch am besten. Besonders ernüchternd finde ich Fox und gerade Dupré, den ich zwar in vielem sehr schätze, der aber gewiss kein besonders sympathischer Zeitgenosse gewesen sein muss. Das Tempo in dem er das runterrasselt halte ich für Bauchnabelbepinselung und finde das etwas mickrig von einem Organisten, der zum Zeitpunkt der Aufnahme keinen mehr von seiner Technik überzeugen musste...

Fox finde ich genauso mies - der hat aber noch die Entschuldigung des kulturellen Unwissens... [wink] In diesem Punkt ist Dupré wirklich unterste Kiste in diesem Vergleich für mich - trotz allen verschiedenen Dingen, die ich von ihm liebe. Bei Fox und Dupré dürfte das Christkind Weihnachten überspringen wollen.

Xaver Varnus halte ich auf dieser Aufnahme einfach für etwas unsensibel und in diesem Repertoire erinnert er mich mehr an bessere Unterhaltungsmusik im Samstagsabendprogramm im Fernsehen, klasse Technik, aber nicht gerade kulturell von der Musik inspiriert... Ist aber kein Vorwurf, jeder muss ja seine Karriere so gestalten, wie er es am liebsten hat und sich am besten bemerkbar macht!


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26.10.2011 20:45
avatar  pvh
#6 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
pv
pvh

Hallo,

als Xaver Varnus hier in der Nähe gespielt hat, war hinterher auch die Diskussion, wie das Gehörte einzuschätzen war. Er spielte Bach sicherlich ganz andes, als Bach seine Stücke selbst gespielt hätte, klar. Ein Musikwissenschaftler und großer Fan historisch informierter Aufführungspraxis und alter Musik fand seinen Stil ziemlich grässlich. Ich aber finde, dass er ein guter Musiker ist, der ruhig seine Version entwickeln kann. Übrigens hat ihm auch die Werkmeister-Stimmung der Orgel nicht gefallen, daher hat er BWV 546a kurzerhand in d- statt in c-moll gespielt. Auch CC entwickelt ja seinen eigenen interpretatorischen Stil, der mir persönlich bei den Bach-Stücken aber weniger gefällt. Und persönlich empfand ich Varnus nun gar nicht als einen, der sich selbst einfach produzieren möchte, eher zurückhaltend und ruhig. Andererseits zelebriert er seine Bisexualität natürlich schon etwas. Aber das hat ja nichts mit Orgel spielen zu tun und das kann er eben.

Ich selbst spiele ein und dasselbe Stück schon mal langsam, mal schnell, mal laut im Plenum, mal dezent und einfach mit Flöte 8', wie es eben gerade passt. Mir geht es da oft überhaupt nicht darum, wie der Komponist das ursprünglich gemeint hat. Und ich bin überzeugt, wenn Daquin die von mir bespielte Orgel kenne würde, würde es ihm vielleicht auch gefallen wie sein Noel No. 10 bei uns in der Kirche klingt, genau wie Bach vielleicht auch Xaver Varnus toll fände.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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01.11.2011 13:11
avatar  Copula ( gelöscht )
#7 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Co
Copula ( gelöscht )

Mal ne Frage zu dem Stück:
Kann es sein, dass es zu dem Thema zig Variationen von verschiedenen Komponisten gibt? (Ich kann mir durchaus denken, dass das nach einem Thema komponiert ist und das Thema dieses Threads ist auch auf die verschiedenen Interpretationen bezogen)

Wenn ich den Titel nicht gelesen hätte, hätte ich nämlich gedacht, dass die Version von Xaver Varnus auf Pierre Dandrieu beruht, da es dem Komponierten doch schon sehr ähnelt. Dazu fällt mir noch eine Version aus einem Orgelbuch eines franz. Organisten ein, dessen Name mir gerade nicht einfällt.
Ist das denn irgendein besonderes Thema? (Es kann durchaus sein, dass ich die Antwort überlesen habe)


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02.11.2011 18:16
avatar  Mathias91 ( gelöscht )
#8 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Ma
Mathias91 ( gelöscht )

Zitat von Copula
Mal ne Frage zu dem Stück:
Kann es sein, dass es zu dem Thema zig Variationen von verschiedenen Komponisten gibt?


Ich kenne nur die Komposition von Daquin, die aus seinem "Nouveau Livre de Noëls" (1757) stammt und die in ihrer Art zu den typischsten Beispielen des Genres der "Noëls variés" gehört. Diese greifen allerdings eigentlich immer Melodien bekannter Weihnachtslieder auf.

Der einzige Punkt, in dem ich mit Christoph P. nicht völlig übereinstimme , ist die Tatsache, dass diese Stücke genaue Registrationsangaben enthalten - in diesem Falle nur Zungenregister. Im Barock sind ja Registrationsanweisungen selten genug, um sie einfach in den Wind zu schlagen, oder es dann zumindest dem Publikum zu erklären. Das kann man natürlich so spielen, wie es einem gefällt, allerdings für einen konzertierenden Organisten und auf einer veröffentlichten Aufnahme ohne jeglichen Kommentar diesbezüglicher Änderung ist das vielleicht doch als etwas Eigentümliches zu verstehen : Man könnte sich ja mal an den vom Komponisten beantragten Klang halten und Flöten da weglassen. Im vom Komponisten geforderten Klang liegt ja im Rahmen eines Recitals der eigentliche Kick, eine gut registriertes "Grand Jeu" klingt einfach so typisch, dass man das seinen Zuhörern ja mal vorführen kann.

Wenn ich mir ein Flötenkonzert von Mozart live anhöre, bin ich auch nicht auf eine Interpretation mit Andenflöte und polynesischem Muschelhorn erpicht, auch wenn diese meisterhaft gespielt sind. [sad]


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20.12.2011 07:43
avatar  pvh
#9 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
pv
pvh

Hallo,

Zitat von Mathias91

Zitat von Copula
Kann es sein, dass es zu dem Thema zig Variationen von verschiedenen Komponisten gibt?


Ich kenne nur die Komposition von Daquin, die aus seinem "Nouveau Livre de Noëls" (1757) stammt und die in ihrer Art zu den typischsten Beispielen des Genres der "Noëls variés" gehört. Diese greifen allerdings eigentlich immer Melodien bekannter Weihnachtslieder auf.




In Fall desNoel No. 12 ist es das Adventslied "O Dieu de clémence". Hier ist der Text und hier und hier finden sich gesungene Versionen, die die Frage nach dem Tempo nochmal neu aufwerfen: Sollte man sich an dem relativ langsamen Gesangstempo orientieren?

Zitat von Mathias91
Der einzige Punkt, in dem ich mit Christoph P. nicht völlig übereinstimme , ist die Tatsache, dass diese Stücke genaue Registrationsangaben enthalten - in diesem Falle nur Zungenregister. Im Barock sind ja Registrationsanweisungen selten genug, um sie einfach in den Wind zu schlagen, oder es dann zumindest dem Publikum zu erklären. Das kann man natürlich so spielen, wie es einem gefällt, allerdings für einen konzertierenden Organisten und auf einer veröffentlichten Aufnahme ohne jeglichen Kommentar diesbezüglicher Änderung ist das vielleicht doch als etwas Eigentümliches zu verstehen : Man könnte sich ja mal an den vom Komponisten beantragten Klang halten und Flöten da weglassen. Im vom Komponisten geforderten Klang liegt ja im Rahmen eines Recitals der eigentliche Kick, eine gut registriertes "Grand Jeu" klingt einfach so typisch, dass man das seinen Zuhörern ja mal vorführen kann.


Ich werde das Noel Nr. 12 an Heiligabend (wir spielen immer 1/2 Stunde vorab Lietarturstücke) mal näher am Original registrieren, da mich aber nicht in Poitiers wohne und in St. Pierre spiele, muss ich schon das Grand Jeu(x?) durch ein Vorplenum ersetzen, wir haben halt nur eine Oboe im Schwellwerk, bei einer II/P 16+3 ist das ja auch kein Wunder. Überhaupt wird das ein bisschen Reistrierstress geben.

Zitat von Mathias91
Wenn ich mir ein Flötenkonzert von Mozart live anhöre, bin ich auch nicht auf eine Interpretation mit Andenflöte und polynesischem Muschelhorn erpicht, auch wenn diese meisterhaft gespielt sind. [sad]


Och na ja, warum nicht, Mozart und Bach klingen doch immer gut, das sieht mal beispielsweise hier.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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20.12.2012 15:27
avatar  Copula ( gelöscht )
#10 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Co
Copula ( gelöscht )

Hier ist noch eine Version:


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20.12.2012 15:35
avatar  ( gelöscht )
#11 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Gast
( gelöscht )

Zitat von Copula
Hier ist noch eine Version: ...


[grin] Ein ganz sicheres Mittel gegen zu volle Kirchen an Weihnachten ! [grin]


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26.12.2012 19:43
avatar  Piepenpfeif ( gelöscht )
#12 RE: Interpretation oder musikalische Selbstverherrlichung?
Pi
Piepenpfeif ( gelöscht )

Was soll das hier werden-eine Abstimmung?
Was versteht man unter Selbstverherrlichung-ist das was schlimmes?
Ein Interpret,der sich von einer Notenvorlage inspirieren läßt, muß sich manche Freiheiten nehmen dürfen.
Wer spielt zu langsam,wer zu schnell,wer legt das fest?
Solange nicht Tempo 80 vorgeschrieben ist,kann jeder "heiter beschwingt" so oder so spielen.
Wenn sonst nichts konstruktives zu bemängeln ist,neigen die "Kritiker" bei kleinsten Nuancen zu gröbstem Raster.
Technisch sauber und flott gespielt,ist viiiiiiel zu schnell,zwischen den einzelnen Interpretationen liegen "Welten" usw.
Man kann immer etwas finden und wenn es die Jacke von CC ist.
Interpretation oder Selbstverherrlichung könnten wir am ehesten beurteilen,wenn Du lieber Mathias uns mal dieses Stück so vorspielst,wie du es für richtig hältst.
Grüßle vom Ekke


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