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Orgelspielen und Glaube?
Hallo Forianer,
inspiriert durch den Thread "Popmusik auf Beerdigungen" ist mir wieder eine Frage bewusst geworden, die mich schon seit längerem ab und zu mal beschäftigt. Früher war ich immer davon ausgegangen, daß jemand der Kirchenorgel spielt, wohl auch mehr oder weniger christlich sein wird.
Bis ich erfahren habe, daß ein nebenamtlicher Organist in einer Nachbargemeinde angeblich "Buddhist" sei. Nun, ich hatte wohl schon von Organisten gehört, die vom christlichen Glauben aus unterschiedlichen Gründen abgefallen sind und trotzdem noch Gottesdienst begleiten - wohl auch weil es etwas Geld dafür gibt. Aber ich kann mir eigentlich schwer vorstellen, wie man mühsam Orgel lernen kann und die christlichen Lieder spielen kann, wenn man nicht auch eine tiefe Überzeugung dafür hat.
Wie seht ihr das? Was habt ihr vielleicht für Erfahrungen gemacht?
( Ich erwarte jetzt natürlich nicht, daß jeder sich persönlich "outen" muß [smile] )
Gruß Michael
Peter Planyavsky bezeichnet sich in seinem Buch "Gerettet vom Stephansdom" zwar als Agnostiker, aber ganz nehme ich ihm das nicht ab. Dafür ist er zu stark im kirchlichen Milieu verwurzelt. Dass er nach allen Intrigen an St. Stephan die Nase voll hat, verstehe ich durchaus. Planyavsky hilft öfter in Wiener Kirchen als Organist aus, doch sicher nicht wegen des (ohnehin bescheidenen) Honorars. Das braucht er als Professor der Musikuniversität nicht.
Ich denke nicht, dass man unbedingt christlich sein muss, um Orgel zu spielen.
Wenn man in einer christlichen Familie aufwächst, die regelmäßig den Gottesdienst besucht, dann kommt man (hoffentlich) zwangsweise nicht umhin, sich zumindest mit dem Orgelklang zu beschäftigen.
Und deshalb gibt es dann immer wieder jemanden, der dadurch auch Orgel lernt oder über den Umweg Klavier zur Orgel kommt.
Aber ich wüsste nicht, warum nicht auch ein Agnostiker, Bhuddist, Hindu, ein Indifferenter nicht Orgel spielen sollte.
Es werden eben nur nicht soviel sein.
Ich habe in Okey vor kurzem gelesen, dass anscheinend in China jetzt sehr viele Kinder Orgel lernen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alle Christen sind.
In einem kürzlich ausgestrahlten Beitrag über Cameron Carpenter sagte dieser auch, dass er nicht mehr in einer Kirche spielen will. Und trotzdem spielt er noch Orgel.
Aber spielt man dann auf einer Kirchenorgel in der Kirche zum Gottesdienst? Es gibt natürlich auch Pfeifenorgeln in Konzertsälen usw. Man kann sicher auch Orgel lernen so wie man Klavier oder Schlagzeug lernen kann und dann weltliche Orgelwerke spielen. Überdies gibt es natürlich die große Zahl der Unterhaltungsorgeln, wo man weniger sakral aber nicht minder "wohltuend" alles Mögliche darauf spielt, wie z.B. "Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse"
Würde aber jemand auf die Idee kommen in einem indischen Tempel zu den Hochfesten die Sitar zu spielen?
Peter Planyavsky:
Kann man denn als Agnostiker Kirchenmusiker sein? Die Standardantwort „Natürlich nicht!“ kommt immer rasch und mit Emphase. Denn, so wird argumentiert, wer nicht an einen menschgewordenen Gottessohn glaubt, wird ein „Et incarnatus est“ nicht „richtig“ dirigieren können. Oder in der verschärften Fassung: „richtig“ schon, aber „nicht so fromm“. Meine komplexe Antwort beginnt bösartig simpel: Man muß auch nicht an die Existenz von Hexen glauben, um Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ gültig aufzuführen; aber man muß wissen, was ein Märchen ist, was eine Hexe ist und was mit der Story transportiert werden soll; vor allem aber muß man erkennen, was sich Humperdinck gedacht hat, als er den Text so und nicht anders vertont hat. Das mag sogar einschließen, daß es einen „gruselt“ — nicht aber notwendigerweise den Glauben an die Existenz von Hexen. Meine Diskussionspartner erwidern dann meistens: &bdquoDas ist etwas ganz anderes!“ Was daran so ganz anders sein soll, konnte mir ohne leicht zu entlarvenden Zirkelschlüsse allerdings bis jetzt niemand beweisen.
Ein Dreiklang kann richtig oder falsch sein, aber nicht fromm oder unfromm. Das Tempo eines Agnus Dei kann nicht gläubig oder ungläubig sein, sondern musikalisch richtig oder nicht adäquat; hier gibt es einige der Komposition innewohnende Kriterien, die mit dem Inhalt des Textes nichts zu tun haben (und die so mancher fromme Dirigent bisweilen nicht beachtet) — etwa die Dehnbarkeit einer Phrase, oder die höchst prosaische Frage, ob die Solistin ohne ständiges Luftschnappen auskommt (wenn nicht, dann ist das Tempo zu langsam — aus diesem Grund und nicht, weil der Dirigent besonders fromm ist). Weiters gibt es musikalische Symbole, die man verstehen oder ignorieren kann (etwa wenn bei der Stelle „... und ist Mensch geworden“ schon ein Motiv aus dem darauffolgenden „Et resurrexit“ zitiert wird). Hier geht es um Informationen aus dem Notentext und selbstverständlich auch um Zugänge, die sich aus der Kenntnis des kulturellen und spirituellen Zusammenhanges erschließen. Haydn hat seine Kyries fundamental anders gestaltet als etwa Bruckner. Aber wer das untersucht, muß nicht selbst fromm sein, sondern muß bloß die Frömmigkeit von Haydn verstehen und erkennen, wie sie sich vom Glaubenszugang Bruckners unterscheidet. Und wer das demütige, unruhige Kyrie von Bruckner dirigiert, soll in diesem Moment nicht demütig und unruhig sein, sondern mit seinem musikalischen Handwerkszeug und seinem ganzen geballten Intellekt alles tun, um dem Zuhörer den Affekt &bdquoDemütig und unruhig“ zu vermitteln.
Ein Schauspieler hat nicht die Aufgabe, überrascht zu sein, wenn er im 4. Akt plötzlich aus dem Hinterhalt erstochen wird; seine Aufgabe ist es, den Zuschauer glauben zu lassen, er sei überrascht — auch an diesem 19. Abend nach der Premiere. Wie treffend, daß hier zufällig das Wort glauben vorkommt ...
Und so habe ich mich auch immer definiert: als jemand, der anderen dazu verhilft, ihren Glauben stärker zu empfinden, eine Botschaft deutlicher zu vernehmen, ein Lied leichter mitzusingen, einen Gottesdienst froher mitzufeiern.
Die Kehrseite der Medaille ist, daß ich eine Art Sonn- und Feiertags-Antipathie entwickelt habe, eine umfassende „Weihevolle-Stimmung-Neurose “‚ die ich erst jetzt, nach dem Ende meiner Tätigkeit am Dom, langsam abbauen kann. Am deutlichsten wird das zu Weihnachten, an dem ich längst jede Freude verloren habe; das hängt nicht nur mit der Arbeitsdichte zwischen 24. und 26. Dezember zusammen, sondern mit dem vierwöchigen Bombardement in allen Begrüßungen, Predigten und Verabschiedungen, was sich denn da „bald“ oder &bdquoDemnächst“ oder „in wenigen Stunden“ an glockenklingender und engelsingender Verzückung einstellen würde. Man glaubt übrigens gar nicht, wieviele gedankenlose Mitmenschen, die genau wußten, welchen Beruf ich hatte, mir am 24. Dezember „schöne Feiertage“ gewünscht haben. Ein ähnlicher Fall war auch der Domprediger Zimmermann, der mir jeden Freitag um 17 Uhr ein schönes Wochenende wünschte.
#7 RE: Orgelspielen und Glaube?
Orgelspiel in der Liturgie hat mindestens etwas mit Denken, Verstehen - in Kombination mit solider Technik und "Beherrschung" seines Instrumentes zu tun.
Der Organist muß darüberhinaus sogar verinnerlicht haben, was er da musikalisch tut. Eine Hore oder ein Konventamt zu Begleiten bleibt dabei immer ein "spiritueller Akt". Denn erst wenn der singende Konvent mit der Orgel zu einer Einheit verschmilzt wird es für alle zu einem spirituellen Highlight. Bei der Psalmbegleitung, muß der die Texte (vorher studiert haben und) mindestens vor dem inneren Ohr auswendig mitsingen. Gleiches gilt für die Begleitung des greg. Chorals (so man es denn überhaupt beherrscht).
Die Orgel als Predigerin: gehört auch in diese KAthegorie. Bachs und Schweizers und Widors Äußerungen zum Orgelspiel haben in diesem Zusammenhang fast Allgemeingültigkeit.
Ein Tastenquäler, der mit dem was er tut, innerlich keine (spirituelle)Verbindung hat, wird immer nebenher - regelrecht an der liturgisch-spirituellen Sache vorbei musizieren. Da können alle Töne noch so perfekt sitzen - ähnlich einem Organola - wird es spätestens mit der Gemeindebgleitung die Problematik offenbar. Gleiches gilt ja für den elektronischen Organisten...
Bevor die Orgel ganz schweigt - lieber einen (A-)Theisten.....
Nicht zu verwechseln mit KollegInnen, die die Kirche als Steuerzahler (aus welchem Grund auch immer) verlassen haben, in den Tiefen ihrer Seele nach wie vor glaubende und spirituelle Musiker sind.
Wer in der Liturgie nicht absolut zu Hause ist, kann sich auch improvisatorisch als "spontane Reaktion" auf unvorhergesehenes Geschehen in der Liturgie, nur daneben benehmen.
nachdenkliche Grüße Clemens
Es kommen vielleicht auch "praktische" Überlegungen hinzu. Wer mit dem Glauben
nichts anfangen kann, möchte vielleicht auch sonntags mal ausschlafen, oder auf
Himmelfahrt den "Vatertagsausflug" mit machen und nicht sagen müssen: „Ich kann
nicht mitkommen, weil ich noch die Abendmesse spielen muß.“
Natürlich kann es auch Leute geben, die das als normalen Job ansehen und die sich
denken „Geld stinkt nicht.“
*Off-Topic: auch wenn es in eine ähnliche Richtung geht*
Ich habe im Studium einige Studenten kennengelernt, die Religion auf Lehramt studieren aber
seit 10 Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen haben. (Verabschiedung von der Kirche mit
der Firmung.) Sie machen es deswegen, weil ihnen bei der Studienberatung gesagt wurde, daß
sie mit Religion als Lehrfach Vorteile bei der Einstellung haben.
Inzwischen steuert da allerdings die Kirche hier in Paderborn gegen und hat ein "Mentorat" ein-
gerichtet. Da ist dann auch ein "Kirchenpraktikum" und ähnliches Pflicht geworden.
Was hinterher die Lehrer im Unterricht anstellen, möchte ich allerdings gar nicht wissen.
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