Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
RE: "Bedeutende" historische Orgel
#1 RE: "Bedeutende" historische Orgel
Hallo Leute,
in meinem Wohnort steht eine einmanualige Orgel eines unbedeutenden Nebenher-Orgelbauers aus der Region ( Mitte 19. Jh). Eigentlich war er Möbelschreiner und Sargtischler …
Die Bank steht HINTER dem Pedal, das Manual liegt satte 15 cm tiefer als BDO-Norm. Man sitzt auf der Orgelbank wie der sprichwörtliche Affe auf dem Schleifstein, muß die Fußspitzen mit durchgedrückten Beinen nach vorn strecken, um die zur Ventilöffnung erforderliche Hebelwirkung aufzubringen. Auch die Arme müssen sich nach vorn/unten strecken, um die Tasten zu erreichen.
Die Registerzüge der (seitenspieligen) Anlage sind nicht etwa umgehebelt, sondern direkt an den Schleifen fixiert. Sie befinden sich in Augenhöhe des Organisten. DARÜBER liegt dann das Notenpult. Das gesamte Gewicht eines Prinzipal 8‘ liegt auf dem ersten Zug. Und die Schleife hat etwa 10 cm Reise …
Auch das Ziehen der Mixtur erfordert einen kräftigen Ruck aus der Oberarm-Muskulatur. Und seit es mir mal als Jüngling passiert ist, dass ich den Zug einer klemmenden Schleife in der Hand hielt, leide ich an einem diesbezüglichen seelischen Trauma …
Die Orgel klingt zudem wie ein Jahrmarkt-Orchestrion, grob, laut und ordinär. Mit fortschreitendem Gottesdienst (und der damit verbundenen Raumerwärmung) verstimmt alles jenseits der 4‘-Grenze hörbar.
So etwas Vermurkstes hat schon hohen Seltenheitswert – und deshalb steht das Teil unter DENKMALSCHUTZ. Nun hat der Organist altersbedingt vor einigen Monaten den Bettel hingeschmissen. Und von den “vielen“ arbeitslosen Organisten, die es hierzulande gibt, hat einfach keiner Lust auf allsonntägliche orthopädische Selbstgeißelung.
Stattdessen habe ich am kommenden Sonntag das Mißvergnügen – und ich unterziehe mich dem nur, weil ich in der Gemeinde wohne und der aushelfende (Ruhestands-)Pfarrer ein stets sorgfältig vorbereiteter Prediger ist, dem ich immer mit Gewinn zuhöre. Außerdem tut mir die Ortspfarrerin leid, die ständig Vertretungen antelefonieren muss und sich aus beschriebenen Gründen überwiegend "Körbe" holt. Und auch ich habe ihr signalisiert, dass ich nur in absoluten Ausnahmefällen zur Verfügung stehe – zum Glück habe ich ja an drei von vier Sonntagen ein hinreichendes Alibi. Nur am letzten Sonntag eines Monats nicht, wenn Abendgottesdienst ist.
Ich spiele nun ernsthaft mit dem Gedanken, meine „Feldorgel“ (Midi-Klaviatur, Expander, zwei Aktivboxen) einzusetzen. Denn die stimmt, funktioniert und ist ohne Langzeitschäden am Bewegungsapparat zu handhaben. Wäre ja mal reizvoll, auszuprobieren, ob die Gemeinde etwas merkt …
Seit die Stelle "vakant" ist, fühlen die örtlichen Kirchenvorsteher und die Pfarrerin immer mal wieder diskret bei mir und vor allem bei meiner lokal erheblich besser vernetzten Gemahlin (so ganz unverbindlich und beiläufig beim Bäcker, Metzger, im Bibelkränzchen oder in der Sauna) vor, ob ich mir nicht vorstellen könnte ...
Aber erstens weiss ich , was ich an "meiner" Wicherngemeinde habe, und zweitens nicht auf DER Orgel. *Seufz*
Hoffentlich habt Ihr am Sonntag Erbaulicheres unter den Fingern ...
LG
Michael
Holla, mich deucht, dieser Orgelherbst hier im Forum steht unter dem Motto 'historische Orgeln'.
Wenn ich Schilderungen wie diese schon lese...
Offenbar werden per Denkmalschutz immer wieder alte und kaputte Orgeln vor dem verdienten Abriss bewahrt; gleichzeitig wird den betroffenen Gemeinden mit solchen Maßnahmen die Möglichkeit genommen, je eine gute neue Orgel bauen zu lassen.
Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach gerät ein so verstandener Denkmalschutz schon in gefährliche Nähe zum Amtsmissbrauch... Hierin wird mir freilich niemand Recht geben. Aber das ist auch gar nicht nötig.
Zitat von Wichernkantor
Ich spiele nun ernsthaft mit dem Gedanken, meine „Feldorgel“ (Midi-Klaviatur, Expander, zwei Aktivboxen) einzusetzen. Denn die stimmt, funktioniert und ist ohne LangzeitschäDen am Bewegungsapparat zu handhaben. Wäre ja mal reizvoll, auszuprobieren, ob die Gemeinde etwas merkt …
Jaaaaa, Michael! Mach das!
Sehen sollte die Gemeinde jedoch auch, worauf Du dann spielst und Du damit jede Zusammenarbeit mit dem Schreckgespenst ablehnst.
Die Dinge ändern sich nur, wenn man sich durchsetzt.
#5 RE: "Bedeutende" historische Orgel
Ja, in dem Raum (regionaltypisch klein, mit umlaufender Holzempore bei ca 120 Sitzplätzen und einem Sekündchen Hall) wäre richtig was Schönes zu machen - z.B.:
I.: Prinzipal 8' (flötig, italienisch), Rohrflöte 8', Salizional 8' (ab c0), Oktave 4', Nachthorn 2', Mixtur 3 f (sehr weich und perlend), Helle Trompete 8'
II.: Gedeckt 8', Spitzflöte 4', Kleinprinzipal 2'; Sesquialter 2f (evtl mit Vorabzug Quinte), Tremulant
Ped.: Subbass 16', Gemshorn 8', evtl. Stillfagott 16'
Hauptwerk (!) schwellbar
Die Gemeinde hat immerhin knapp 3.000 Mitglieder. Und ich denke, wenn man sie sensibilisieren und mobilisieren würde, wäre das gut finanzierbar.
Aber leider illusorisch, der großherzoglich hessischen Denkmalpflege sei Dank ...
FG
Michael
#7 RE: "Bedeutende" historische Orgel
Ja, das wäre sogar sinnvoll. Denn es handelt sich um das landschaftstypische Ensemble von Altar, Kanzel und Orgel übereinander. Deshalb ist ja alles so eng und verbaut.
Ein Neubau müsste am anderen Ende der Kirche stehen. Damit wäre die Denkmalpflege ausgetrickst. Aber es müsste der Gemeinde klar gemacht werden, wieso die Kirche zwei Orgeln braucht. Am "Denkmal" könnte sich dann die Masochisten-Fraktion austoben und am "Organon" die Musiker.
Aber wie gesagt: Erster Schritt wäre Bewußtseinsbildung im Kirchenvolk. Solange die Gemeinde sich ihre Organisten Woche für Woche mühsam zusammensuchen muss, ist da wohl wenig machbar. Und ich arbeite wirklich lieber an der eigenen Baustelle. Da ist es schlicht schöner ...
FG
Michael
Ui ui ui, da gibt's aber echt Probleme bei euch.
Ich habe mal eine ganz einfach Frage.
Wie kam denn der Denkmalschutz auf die Idee, die Orgel unter Schutz zu stellen?
Hat da jemand einen Tipp gegeben?
Oft scheint mir, dass je schlecher ein Baudenkmal in Schuss ist, desto größer der Schutz des Denkmalamtes.
Hier in einer Kirche in der Nähe verwehrte das Denkmalamt den Neubau der Treppe auf die Empore. Bis die Treppe zusammengebrochen ist.
Jetzt gibt es eine neue Treppe.
#11 RE: "Bedeutende" historische Orgel
#12 RE: "Bedeutende" historische Orgel
@Falcon: Keine Ahnung. War wohl lange, bevor wir hierher zogen. Irgendwann wurde die Orgel wohl mal "generalüberholt". Im Prospekt stehen jedenfalls Zinnpfeifen jüngeren Datums mit aufgeworfenen Rundlabien - sieht mir nach den 80er Jahren aus. Die meisten alten Orgeln auf den Dörfern hier in der Gegend haben noch die Zinkpfeifen, deren Vorgänger seit 1917 als Granatenzünder in Frankreichs Erde ruhen ...
Vermutlich hat die Gemeinde selber seinerzeit die Denkmalpfleger aufgescheucht, in der Hoffnung, an Zuschüsse heranzukommen.
Aber da will ich lieber nicht nachbohren. Wie gesagt, ich bin hinreichend an der eigenen Baustelle beschäftigt. Und mein Mitwirken im Gottesdienst soll der möglichst seltene Ausnahmefall bleiben.
FG
Michael
Zitat von Wichernkantor
...
Vermutlich hat die Gemeinde selber seinerzeit die Denkmalpfleger aufgescheucht, in der Hoffnung, an Zuschüsse heranzukommen.
Aber da will ich lieber nicht nachbohren. Wie gesagt, ich bin hinreichend an der eigenen Baustelle beschäftigt. Und mein Mitwirken im Gottesdienst soll der möglichst seltene Ausnahmefall bleiben.
Ja, die Zuschüsse, die dann auch noch so klein ausfallen, dass man lieber alles allein gemacht hätte und keiner würde einem reinreden.
Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern.
Schade für die Gemeinde und die Kirche ist aber, dass jetzt auch keiner mehr darauf spielen will. Wo da der Schutz der Orgel sein soll, ist für mich nicht klar - bin aber auch ein absoluter Gegner dieses Denkmalschutzamtes, das ich auch noch nie in geheimer Wahl als guter Demokrat gewählt habe.
Ich wünsche dir trotz allem viel Spass (ist nicht ironisch gemeint).
Viele Grüße
Christoph
#14 RE: "Bedeutende" historische Orgel
Ich habe es übrigens so gemacht am Sonntag:
Meine Klaviatur und einen "Custom-Made"-Ahlborn 201-Expander vorn seitlich aufgestellt und die Boxen im Orgelgehäuse versteckt. Dann habe ich Präludium und Eingangschoral auf der "richtigen" Orgel gespielt, anschließend den Tatort gewechselt und den Rest des GD einschließlich Nachspiel auf dem "Keyboard".
Hm, tja, es herrschte allgemeines Erstaunen, dass man die Orgel auch "von unten" spielen kann - und dass die da so "ganz anders" klingt ...
Den Ahlborn-Expander habe ich mir vor Jahren mal nach eigenen Vorstellungen stricken lassen, nachdem ich in irgendeinem Winter mehrmals zu Vertretungsdiensten in Taunusdörfern gebeten war, deren Gottesdienste wg. explodierender Heizkosten in den Gemeindehäusern stattfanden ...
Da hat man mir dann in zwei Fällen irgendwelche Bontempi-Keyboards offeriert, deren Register "Church Organ" dem entspricht, was ein asiatischer Klangbastler in einer "Wedding Chapel" von Las Vegas erwartet ... *MEGAGRUSEL*.
Seither habe ich das Equipment immer im Kofferraum, wenn ich nicht weiß, was mich irgendwo erwartet.
FG
Michael
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!