Orgelmarathon Altmark 2016

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22.01.2016 07:54
#1 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Matthias Grünert startet im Sommer wieder zum Marathon. So Gott will und wir leben, eile ich ihm wieder mit dem großen Besteck voraus.

Hier findet Ihr Orte und Zeiten:

https://orgelarena.de/

LG
Michael


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22.01.2016 10:36
#2 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
Ma

Die Besuchszeiten an den einzelnen Instrumenten sind ja recht eng getaktet. Hast du eine Ahnung, ob der gute Mann vorher die Tour einmal abfährt und jede Orgel kennenlernt? Oder hat das mehr Werkstattcharakter, d.h. er kennt vorher nur die Dispositionen auf dem Papier und probiert dann vor den Konzerten schnell an Ort und Stelle aus, ob die vorher auf dem Papier skizzierte Registrierung funktioniert?

Gloria Concerto 350 Trend

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22.01.2016 11:15 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:18)
#3 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Nee, das wird schon alles mal vorher beguckt. Da gibt es einen rührigen Helfer, der die Dispositionen aufzeichnet, Texte zu Kirche und Orgel dichtet und Fotos für das Programmheft macht. Schließlich richten sich die Programme selber dann nach dem, was geht. Der eigentliche Durchlauf ist dann in der Tat eng. Der Meister springt in den Fond eines A6, der Chauffeur gibt Gas und ich hänge mich direkt hinter die Karosse. Dann geht es unter großzügiger Auslegung der StVO zum nächsten Tatort, hinterher die Karawane der Schlachtenbummler (Bus mit Dauerteilnehmern und eine Kolonne Individualverkehrende). Während sich Organist und Blattlaus ans Einregistrieren machen, suche ich nach einer (am besten eingeschalteten) Steckdose im Altarraum, lege mir eine Leitung zum Recorder, fahre das Stativ hoch und lasse mir einen Akkord Tutti für den Pegel geben.

Meistens sind wir rechtzeitig fertig ... Gelegentlich ist noch eine Zunge beizustimmen, manchmal sind auch tote Tiere zu entfernen, etc. Ich hab' mal irgendwo im östlichen Erzgebirge kurz vor einem Konzert ein halbes Dutzend Stiefel einer seit gefühlten 100 Jahren ungenutzten Pedalposaune von tierischem und mineralischem Unrat befreit. Matthias musste konzentriert weggucken, um den Rückwärtsgang seines Mageninhaltes zu vermeiden. Aber das Ding funktionierte und stimmte hinterher ...

Das Ganze kann ganz schön stressig werden. Es gibt zwei Begleit- und Begrüßungsteams, die sich dann abwechseln und die Infrastruktur vorbereiten. Denn die müssen ja u.a. die Programme auflegen, dafür sorgen, dass die Kirchen rechtzeitig geöffnet sind - einschließlich Emporentüre und Orgelspieltisch. (Pannen inclusive ... ) Die Eintritte sind immer frei, aber es gibt von jedem Marathon eine vorab aufgezeichnete CD mit ausgewählten Instrumenten, die an der "Abendkasse" zu haben ist. (Siehe HP). Wenn wir dann weiterziehen, baut die "Roadietruppe" in Ruhe ab und bereitet die übernächste "Location" vor.

Abends haben wir dann meistens einige Schwänke zu erzählen. Geschlafen wird da relativ wenig. Meine Frau betrachtet immer entsetzt die Ringe unter meinen Augen, mit denen ich vom Orgelmarathon komme. Selbst ein seniler Bettflüchtling wie ich braucht dann immer so zehn bis zwölf Stunden Schlaf am Stück, um wieder vernehmungsfähig zu werden ...

LG
Michael

PS: Falls jemand von Euch vergnügungssüchtig ist und im Zeitraum vom 17. bis zum 21. August Langeweile hat - ich könnte noch einen "Assistant Sound Manager" brauchen ...
Es gibt tagsüber viel zu hören und abends viel zu lachen ...
Ein fürstliches Honorar ist garantiert: Wir zahlen 60 Minuten pro Stunde ...


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22.01.2016 11:35
#4 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Ich habe leider noch keine Freigabe von der 4. Dimension. ..... aber irgendwann
Als alter Rundfunk - und Fernsehtechnikermeister würde mir das Spaß machen.


Mit musikalischen Grüßen
Bernhard

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22.01.2016 11:49
#5 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Zitat von Orgelfan

Ich habe leider noch keine Freigabe von der 4. Dimension. ..... aber irgendwann
Als alter Rundfunk - und Fernsehtechnikermeister würde mir das Spaß machen.



Für Spaß (fast) rund um die Uhr könnte ich zuhauf garantieren ... [grin]


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16.05.2016 11:49
#6 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Lieber Michael,

nachdem ich letztes Jahr ja erste Erfahrung als Kabel- und Stativträger-Assistent bei Dir sammeln durfte, wäre ich nun bereit, das 1. Staatsexamen desselbigen bei Dir abzulegen! [grin]

Dieses Jahr beim Orgelmarathon kommt es allerdings auf den allgegenwärtigen WAF an, ob ich Dir unter das Stativ greifen kann, da zu der Zeit leider auch noch die übliche Urlaubszeit ist.


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16.05.2016 12:05
#7 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Herzlichst willkommen!

Das wird sicher eine sehr erlebnisreiche Tour, denn die Organisatoren haben da ein paar interessante Instrumente angegraben. Der Auftakt ist übrigens in Salzwedel, woselbst bekannter Maßen Hoffrichter firmiert. Ich werde schon einen Tag vorher anrücken und da mal einen Höflichkeitsbesuch machen. So günstig kommt die Gelegenheit nicht wieder.

LG
Michael


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10.08.2016 12:04 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:19)
#8 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

So, jetzt ist das Programmheft zum Orgelmarathon auch im Netz abrufbar:

http://www.orgel-information.de/Downloads/OrgelMarathon_Altmark_Programmheft.pdf

Am kommenden Mittwoch geht's los ... *freu* :dafuer: :orgel: :prost:

LG
Michael


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18.08.2016 07:02
#9 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Hier ein paar Impressionen vom Orgelmarathon Altmark:

Gestern war der erste Tag. Auftaktkonzert in Salzwedel, St. Marien mit Rheinberger Nr. 14, C-Dur. Eine sagenhafte Furtwänglerin von 1913 (Daten: siehe im vorigen Posting verlinktes Programmheft) ist vor einigen Jahren mustergültig restauriert worden und erfreute mit einem authentischen Klangbild der Jahrhundertwende. Ein imposantes "Orgelbrausen" über mächtigen, tragenden Bässen. Eine besondere Delikatesse: der Mittelsatz, der seinen Namen "Idyll" zu recht trägt. Matthias Grünert zelebrierte ihn mit dem wunderschönen Grundstimmenfundus der Orgel. Höchste klangliche Differenzierung zeichnete seine Interpetation aus.
In der Katharinenkirche, dem zweiten Mittelpunkt der Stadt, gab es eine Schuke (Potsdam) aus den 70ern. Die Orgel steht in einer Wandecke, das Pedal "auf Sturz". Frisch gestimmte Zungen (gibt's leider nicht überall ...) erhöhten den Hörgenuss beträchtlich. Die Orgel gehört zu den wenigen Neubauten, die in der ehemaligen DDR möglich waren. Das neo-barocke Klangbild hat mir gut gefallen, brillant, doch nicht scharf, dabei die in beiden Häusern Schuke übliche Substanz. Die Schüblers waren angemessen zu realisieren. Dann gab's für mich das erste Highlight des Tages: eine unglaublich rasante Dorische. Vom Fleck weg forscher Druck in der Toccata und eine vorwärtsdrängende Stringenz in der Fuge, die widerlegte, dass dieses Werk zwar kontrapunktisch genial, aber langatmig, um nicht zu sagen langweilig sei.
Schlußpunkt dieses Tages und zweiter Höhepunkt: Das Konzert in der Klosterkirche Arendsee. Zunächst mal ein traumhaftes Ambiente: edelste Backsteingotik, zum Niederknien idyllisch an einem See gelegen. In dieser stilvollen Umgebung haben wir anschließend im Freien mit Seeblick diniert und uns gesagt, dass die Stiftsdamen anno Schießmichtot durchaus der Meinung gewesen sein müssen, dass es ein Leben vor dem Tod gibt.
Die Orgel eines regionalen Meisters aus den 1850ern erwies sich als ideales Medium für Rincks Flötenkonzert. Das Instrument verkörpert den Idealtypus der preußischen Landorgel dieser Zeit: ein noch klassisch zu nennendes Plenum, getragen von einer ungemein saftigen und kräftigen Pedalposaune. Auch für Mendelssohns Nr 2. gab das Instrument die absolut stimmigen Farben her und Matthias Grünert langte bei der Schlußfuge wieder ausgesprochen zupackend hin. Mein spontanter Kommentar an meine Assistentin nach dem Schlußakkord: So schön kann C-Dur sein!

So, jetzt gibt's endlich Frühstück. Als Frühaufsteher ist man im Hotel morgens immer kurz vor dem Verhungern ...
Dann geht's auf eine lange Tour, erste Station: der Dom in Havelberg.

Wenn ich dazu komme, stelle ich auch ein paar Bilder ein.

LG
Michael


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18.08.2016 09:56
#10 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Administrator

Danke für den Bericht, man lebt förmlich mit.
Manchmal beneide ich dich um den schönen Job. [wink]


Auf Orgelsuche.

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19.08.2016 08:44 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:20)
#11 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Jo, ich mich auch - aber nur manchmal ...

Gestern gab's im Havelberger Dom an einer restaurtionsbedürftigen Orgel von Scholze/Lütkemüller Bachs Partita "Ach was soll ich Sünder machen" in angemessener Farbigkeit und P+F a-moll 543 mit der üblichen Rasanz, die Matthias Grünerts Bach-Spiel kennzeichnet.
In Bad Wilsnack stand eine barocke Orgel von Rietze/Lütkemüller in einem kleinen Gehäuse in einem großen Kirchenraum. Es kam erstaunlich viel, aber schon "e weng weng", wie meine Gemahlin fränkeln würde.
Es scheint für die Region typisch zu sein, dass man im 18 Jh. eher bescheiden neu baute und der "Platzhirsch" Lütkemüller dann im 19. Jh. erweiterte. Und das sehr konservativ, d.h. mit mechanischer Schleiflade und Dispositionen, die keine Angst vor Klangkronen verraten.
Ich verweise dazu auf den kompetenten und informativen Essay zur regionalen Orgellandschaft von Jiri Koucourek. Er steht im verlinkten Programmheft.
Eine orgelbegwegte Dreimanualige vom lokalen Meister Pflug aus 1935 erwartete uns in Wittenberge - man beachte das "e" - es ist nicht die Lutherstadt. Der in dieser Zeit übliche Lattenzaun als Prospekt wirkte nicht einmal unästhetisch, das von Schuke restaurierte Intrument ist zeittypisch. Helle, lasierende Farben über einem Grundstimmenfundus, der noch den Geist der Spätromantik atmet.
Matthias spielte Fletcher und Choveaux, Nischenrepertoire, das sich ans diesem farbenschillernden Instrument sehr ausdrucksvoll umsetzten ließ.
Ein Erlebnis war die dreimanualige Lütkemüllerin in Seehausen mit Rheinbergers 11. Sonate d-moll. Die Orgel hat Kraft und Farbe. Im Raum kommt sie selbst im Plenum auf üblicher Sitzplatz-Höhe eher dezent. Wenn man sich dann aber die Mikrophone aufs Ohr legt, die fünf Meter über dem Boden auf der Traverse sitzen, dann hört man, was dem bodengebundenen Zuhörer alles entgeht. Eine sagenhaft schöne Orgel und eine mitreißende Interpretation.
In Osterburg stand eine von Wegscheider frisch restaurierte Buchholz-Orgel auf der Speisekarte, die eigentlich erst morgen eingeweiht wird. Der Titular hatte sein "jus primae noctis" an Matthias abgetreten. Und der inaugurierte u.a. mit Mendelssohns Vater-unser-Sonate. Einfach schön!

Gerade wird zum Sammeln geblasen. Ich muss los.

LG
Michael


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20.08.2016 08:36 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:22)
#12 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Morgen, Leute!

Die gestrige Tour führte durch eher kleinere Landkirchen rund um Gardelegen. Dortselbst erwartete uns in der Stadtkirche die kleine Schwester der prächtigen Grauhoferin von Meister Treutmann d.Ä. Die familiäre Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen. Und das Instrument eignet sich ausgezeichnet für die großen „B“. Matthias Grünert spielte ein reines Buxtehude-Programm und für mich war das der Höhepunkt des Tages. Als Rahmen P+F C-Dur 137 und das vielgliedrige, zum Spiel mit den Farben und Effekten geradezu herausfordernde Magnificat primi toni 203, dazwischen das manualiter-Quartett von Toccata, Canzonetta, Präludium und Fuga in G – völlig zu Unrecht selten zu hören.
Da stimmte einfach alles: Interpret, Raum und Instrument. Den Keuchhusten, der – welch ein Zufall - immer dort grassiert, wo wir gerade auftauchen, haben wir durch das Verteilen von Hustenbonbons nahezu ausgerottet und so habe ich ein paar sehr gelungene Aufnahmen auf der Tonmaschine.

Besondere Überraschung: unser den Hardcore-Forianern ja von etlichen Treffen bekannte Orgelfreund Alfons, Bruder unseres Clemens, war im Publikum. Er arbeitet in der Gegend und zog den Rest des Tages mit uns weiter.
Schloss Letzlingen hat eine stilistisch aparte Schlosskirche, beides erbaut vom Schinkel-Schüler Stüler, beides den britischen Tudor-Style imitierend. Schloss, Kirche und Park hätte ich für den symbolischen Euro als Alterssitz gekauft, aber irgendein Geldsack war schneller und hat das übliche „Schlosshotel“ eingerichtet – eine hierzulande um sich greifende Seuche. Es scheint in unserem armen Land noch viel Nachfrage nach Luxusquartieren zu geben ...
In der Schlosskirche eine Orgel von Böttcher mit erheblich mehr Klang, als das preußisch-schnörkellose, ja spartanische Gehäuse versprach. Böttcher war Schüler von Walcker-Stammvater Eberhard Friedrich. Und das ist zu hören. Mendelssohns G-Dur-Präludium jenseits allzu pastoraler Idylle klar und gestochen, Rheinbergers Tonus-Peregrinus-Sonate a-moll kompakt und rund über einem substantiellen Violon im Pedal, im Mittelsatz Prinzipal 8’ solistisch geführt – eine Delikatesse!

Die Orgelbauer der Region bauten sehr konservativ und hielten lange an der Schleiflade fest. Meister Rühlmann baute anno 1905 das Instrument in Mieste pneumatisch und intonierte sehr dezent. Nach Camillo Schumanns „Festpräludium“ op.2 (er widmete es seiner Verlobten und die „Schmetterlinge im Bauch“ waren zu hören ...) eröffnete eine Folge von Anglicana des 19. Jh., u.a. West, Smart und Charles J. May. Angenehm zu hörende Musik der Gattung „pomp and circumstance“.

In der ev. Kirche von Bismark (korrekt ohne „c“) hat das Haus Schuke-Potsdam, anno 1947 eine schöne, solide Zweimanualige in ein barockes Gehäuse eingebaut und dieses Gehäuse erfolgreich in Klang übersetzt. Bachs d-moll-Triosonate geriet filigran und feingliedrig. Matthias hatte richtig „Bock“ darauf und zelebrierte zu meinem äußersten Wohlgefallen den Mittelsatz. Dann a-moll-Concerto 539 nach Vivaldi – ging ab wie Schmidts Katze.
Zum Schluss ein kleiner Wermutstropfen: die Orgel in Meßdorf hatte zwar ein andrettes Gehäuse in schweinchenrosa, aber das Innenleben war alles andere als rosig. Matthias brachte die Dame in der Fuge der III. Rheinberger-Sonate mehrmals in erhebliche Atemnot – und das, obwohl eine bockige, zähe Traktur sich ihm konstant zu widersetzen versuchte. Mein klassischer Vorschlag bei der Manöverkritik hinterher: Gemeindefest veranstalten, als besondere Attraktion Steaks vom Windladengrill. Denkmalpfleger, die das Ding als „bedeutend“ einstufen wollen, bitte gleich mitgrillen!
Hinterher haben wir hinter dem Hotel auf diversen Parkbänken logiert, das Bier des Landes einer ausführlichen Testreihe im Selbstversuch unterzogen und den Vollmond angeheult.

Und jetzt müssen wir langsam in die Startlöcher, Alfons will auch wieder kommen. Nachdem es gestern ganztägig sonnenklar und angenehm warm war, liegt heute früh eine bleischwere Wolkendecke über dem Land, aus der preußischer Landregen nieselt. Aber die meisten Kirchen haben frische Eindeckungen ....

LG

Michael


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22.08.2016 13:02 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:23)
#13 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Moderator

Hier meine verspätete Nachlese zum Samstagsprogramm:
Höhepunkte des Tages waren zweifellos die beiden Instrumente von Hans Scherer d.Ä in Tangermünde und in Stendal.
Erstere ist ja seit der Restaurierung und Rückführung auf den Originalzustand durch Schuke in den 90ern eine organologische Berühmtheit. Manuale und Pedal haben kurze Oktave - damit nicht genug: es wurde auch noch die mitteltönige Stimmung wiederhergestellt und der Stimmton liegt auf 468 Hz.
Buxtehudes D-Dur war das große stimmtechnische Risiko. Denn im zweiten Rezitativ des fünfteiligen Werkes geht es ja wüst durch die entlegensten Kreuztonarten, für die sich die Orgel mit lautem Wolfsheulen bedankte. Umso wohlklingender die C-Dur-nahen Harmonien. In der "Epidemischen" musste Matthias dann die Halbtöne im Pedal hochoktavieren und mit den Unbilden der Temperatur in den Verminderten und den Septakkorden leben. Hinzu kam, dass der Gebläsemotor ausgeschaltet blieb und sich ein Freiwilligentrupp in der Balgkammer vom Kalkantenglöcklein zur Arbeitsaufnahme ermahnen ließ.
Retrosound vom Feinsten!

Die Schwester in Stendal war in den Kriegsjahren (!) 1941-43 von Hammer restauriert worden, was damals vor allem hieß, die Stimmung zu glätten und die Spielanlage und Tastaturumfänge an moderne Gepflogenheiten anzupassen. Matthias konnte BWV 544 h-moll und F&F g-Moll 542 also "loco" spielen. Und das machte er mit der Rasanz, die sein Bachspiel kennzeichnet. Vor allem in den Fugen war ein fast jazzartiger "drive". Etwas Orgelbüchlein holte die Ohren und Herzen wieder herunter auf leicht erhöhtes Normalnull.

Die Neuapostolische Gemeinde hatte sich im Wendejahr 1989 eine stattliche Orgel mit II/33 geleistet - mit einer zwar üppigen, aber orgelbewegten Disposition.
Bachs Es-Dur-Triosonate geriet in selten zu hörender Klarheit und Zeichnung. Geniale Idee: die l.H. im Schlussatz mit Trompete 8' gegen Cornettmischung in der r.H. Ich habe eine perfekt gelungene Aufnahme im Kasten. Und ich freute mich auf die Passacaglia 582. Die lief auch vom Fleck weg wie Schmidts Katze - bis zum Irritationspunkt X, an dem ein Ton der Posaune hängenblieb. Des Rätsels Lösung: die (stattliche) Posaune steht als Prospektregister auf einer elektrischen Einzelventillade der ansonsten mechanisch traktierten Orgel. Der lokale Organist sprang beherzt hinzu und bereitete dem Dröhnen ein Ende durch einen Griff nach den Zungen-Einzelabstellern, einer ja lägst aus der Mode gekommenen Zugabe der Orgelbauer bei der damals üblichen elektrischen Registertraktur mit Wippen und Freikombinationen. Leider erwischte er in der Hitze des Gefechts sätmliche Absteller, so dass die Passacaglia im - sehr steilen - Labialplenum endete. Erst im Thema fugatum war dann eine Hand frei, wenigstens via Manualtrompete etwas Pomp in den Klang zurückzuholen.

In Tangerhütte hätte sich die Möglichkeit geboten, exzellent gespielte Kanons aus den Goldbergvariationen aufzuzeichnen - und das an einer eher mittelmäßigen und dringend überholungsbedürftigen Eule aus 1961.
Aber Matthias musste gegen ein Publikum anspielen, das sich allergrößte Mühe gab, meine Maschine 37 Minuten lang mit allen nur denkbaren Sozialgeräuschen vollzumüllen. Ich habe lediglich einen Pistolen- oder Böllerschuss vermisst - ansonsten war alles dabei, einschließlich einer "taktvollen" Kollegin der schreibenden Zunft, die die leiseste Registrierung mit sicherem Instinkt für die Wirkung eines forschen Auftrittes (ich meine das doppeldeutig) nutzte, um durch den Altarraum zu stiefeln, sich unmittelbar unter meinem Mikrophonpaar vor das Volk zu stellen und den Auslöser ihrer Kamera gefühlte hundertmal zu betätigen. Das im Recorder ankommende Geräusch kommt gelernten Artilleristen sicher bekannt vor: So rumpelt es, wenn der Verschluss einer abgefeuerten Haubitze die heiße Hülse auswirft...

LG
Michael


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23.08.2016 09:55 (zuletzt bearbeitet: 11.05.2021 18:25)
#14 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
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Noch ein paar Splitter vom Sonntagsprogramm und vom Abschluss:

Der Sonntagmorgen brachte die Begegnung mit einer einmanualigen Dorforgel aus der Wittstocker Werkstatt Lütkemüller. Dieser Orgelbauer baute in der zweiten Hälfte des 19. Jh. knapp 300 standardisierte Orgeln für die Dorfkirchen in der Priegnitz, der Altmark und im südlichen Mecklenburg. Wie leuchtend diese Instrumente klingen, zeigte Matthias Grünert mit einem reinen Bach-Programm in der Nicolaikirche von Berge, einem Dorf gleich hinter dem Elbdeich. Zwei der "kleinen Präludien", das einzelne a-moll 569, die C-Dur-Fantasie 750 und die G-Dur-Aria 988,1 klangen in der dörflich-hausbackenen Atmosphäre anmutig und stimmig. Das Dorf ist so abgelegen, dass so ziemlich alles Navis versagten. Wir haben es dann durch "Navigation frei Schnauze" doch gefunden. Am Ortseingang nahe der Kirche erwartete uns die freiwillige Feuerwehr und wies die Kolonne ein. Eine Wiese war zum Behelfsparkplatz umfunktioniert. Das ganze Dorf schien auf den Beinen, um die Orgel zu hören!
Auf dem Steilufer über den Elbauen liegt das Städtchen Arneburg - es dürfte kaum mehr als 1.000 Einwohner zählen. Über der Elbe thront die Stadtkirche St. Georg, die Orgel aus 1821 war von einer namhaften Firma vor wenigen Jahren restauriert worden. Ein halbwegs wirksames Gegenmittel gegen die Windstößigkeit war offenbar nicht gefunden worden. Zwar versicherte mir der lokale Organist hinterher, es seien Stoßfänger eingebaut worden. Zu merken war davon indes wenig. Bachs Pastorale war noch gut zu machen. Aber in P+F c-Moll 546 brach die Windversorgung völlig zusammen. Die Orgel war nicht auf ein markiertes, rhythmisch lebendiges, fünfstimmiges Spiel in organo pleno ausgelegt. Sie heulte und wimmerte zum Gotterbarmen. Schade ...
Das ist mir übrigens mehrfach aufgefallen: Erst kürzlich restaurierte Instrumente hatten zu wenig Wind. Eine stabilisierte Windversorgung stand offenbar nicht im Lastenheft des zuständigen OSV.
Das Schlusskonzert im Dom zu Stendal an einer großen Nachkriegs-Schuke im historischen Gehäuse ließ dafür keine Wünsche offen. Ein ausgezeichnetes Instrument, wie bei Schuke üblich druckvoll intoniert, füllte den Raum mit einem gut balancierten, solide fundamentierten Plenum in P+F Es-Dur BWV 552.
Und die Sonate des ungarischen Zeitgenossen Frygies Hidas, eindeutig ein Paradestück von Mathias, füllte mit ihrer wuchtigen Akkordik, ihren archaischen Motiven und der bisweilen diffizil-filigranen Rhythmik den großen Raum mit tief bewegender Urgewalt - fulminanter Abschluss eines Marathons, der fünf Tage zuvor mit einem nicht minder glänzenden Auftakt in Salzwedel begonnen hatte.

Meine "Beute": rund 150 Files, die nach sorgfältiger Sichtung und Auswahl in den kommenden Wochen in meiner Sendung "musica sacra" auf ERFplus "abgearbeitet" werden. Die erste Folge ist übrigens am Sonntag, 4. September, um 17.00 Uhr an bekannter Stelle zu hören.

Die Orgellandschaft Altmark bietet einen beeindruckenden historischen Bestand, allerdings in sehr unterschiedlichem Erhaltungs- und Restaurierungsstand. Da waren Mechaniken, die Bärenkräfte erforderten, da gab es Werke, in denen wohl seit etlichen Jahren keine stimmende und pflegende Hand mehr tätig gewesen sein muss ...

Daneben Denkmalorgeln von internationalem Rang. Eine große Ruhe ausstrahlende, weite Landschaft, ein sehr freundlicher, offener Menschenschlag, schön herausgeputzte Kleinstädte und die langgezogenen, schnurgeraden Alleen werden mir in angenehmer Erinnerung bleiben. Im Herbst werde ich, wie nach den vorangegangenen Marathons auch, die gnädige Frau auf ein verlängertes Sightseeing-Wochenende in die Region entführen. Eine gut sortierte Schocolaterie und eine Eisdiele, die Wohlgefallen finden werden, habe ich schon ausgemacht ...

Auch die entspannte, weitgehend stressfreie Atmosphäre dieses Marathons kam mir sehr entgegen. Das war vor allem der Kompetenz der Assistenz geschuldet. Wir verstanden uns vom Fleck weg und meine Assistentin (selber Kirchenmusikerin mit Orgelbau-Erfahrung und gut funktionierenden Ohren) hatte einfach ein Händchen dafür, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun.

Wie immer bei solchen Marathons: wahnsinnig nette Leute im Troß und unter den Schlachtenbummlern, viel gute Musik, mindestens soviel zu Lachen und viel zu wenig Schlaf.

Nächstes Jahr wird übrigens - so Gott will und wir leben - ein Heimspiel: Zwischen Christi Himmelfahrt und dem folgenden Sonntag wird die Gegend rund um unser Wetzlarer Funkhaus (Radius ca. 30 km) zur "Orgelarena Lahn/Dill 2017" *freu*!
Vielleicht hat jemand von Euch ja Lust, dabei zu sein. Ihr werdet es nicht bereuen, versprochen!

LG
Michael


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23.08.2016 14:36
avatar  matjoe1 ( gelöscht )
#15 RE: Orgelmarathon Altmark 2016
ma
matjoe1 ( gelöscht )

Ganz tolle Berichte, Michael ... fast, als wäre ich selbst dabei gewesen.
Vielen Dank dafür!
Auf die Ausstrahlungen in Deiner Sendung "Musica Sacra" freue ich mich jetzt schon.

LG
Matthias


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