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RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Romanus
(
gelöscht
)
#1 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Bin gerade zufällig (sofern es Zufälle geben kann und nicht alles einer höheren Macht folgt) auf das YT-Video "Der wirklich letzte Ton der Orgel" gestoßen:
https://www.youtube.com/watch?v=Izlk-fcbSnU
Man sieht den Spieltisch einer mittelgroßen, 3-manualigen Orgel mit knapp 40 Registern und im Hintergrund ein offenes Schwellwerk, der (übrigens ergonomische und für meinen Geschmack durchaus ästhetische @Martin78) Spieltisch deutet auf elektrische oder pneumatische Traktur hin, man hört ein romantisch anmutendes, weiches, rundes Plenum, für meinen Geschmack eigentlich ein schöner, voller Klang, ich versuche jedenfalls seit vielen Jahren, meine intonierbaren Digitalorgeln im romantischen Style so zu intonieren.
Lediglich der Organist scheint mir mit dem Gravement aus Bach´s Piece d´orgue heillos überfordert zu sein :verwirrt:
und es mutet ein bisschen wie Bosheit des Uploaders an, daß er bei YT namentlich genannt wird, der Nachname deutet übrigens auf Verwandtschaft mit dem dortigen Regionalkantor hin.
Die Orgel erklang hier zum letzten Mal, wenn am Schluss niemand applaudiert, würde ich das eher dem Spiel des Organisten als dem Klang der Orgel anlasten und ich bin wirklich arg in Versuchung, hier einen anderen Tausch als jenen der Orgel zu empfehlen, aber diese Empfählung (kein Tippfehler, sondern eher Freud´sche Fehlleistung) käme sowieso zu spät. :teufel: (Man möge mir letzteren, vielleicht etwas böse anmutenden Satz verzeihen, ich will wirklich niemanden beleidigen, aber eine solche Performance öffentlich in der Kirche und noch dazu auf YT ? :tipp: Ich meine, wenn einem Bach nicht liegt, kann man ja notfalls auch was anderes spielen !)
Da drängt sich mir die Frage auf, was an dieser Orgel eigentlich so schlecht gewesen sein soll, daß sie gegen eine (auch nicht mehr ganz) neue, die sich bei Wikipedia-Recherche sogar als 1 Jahr älter als die "alte" entpuppt, ausgetauscht wurde, ich will gar nicht wissen, wieviel Geld diese Rochade gekostet hat. Hat die Traktur der Euler-Orgel verzögert oder war sie zu leise, "zu klein" ? :kratz:
Kennt jemand von euch den eigentlichen Grund der Orgel-Rochade ? Hatte hier jemand einfach zu viel Geld und wollte dieses irgendwie loswerden ? (Er oder sie hätte es besser mir spenden sollen. )
Die "neue", ebenfalls 3-manualige, 57-registrige Bosch-Bornefeld-Orgel wird jedenfalls von vielen Seiten in höchsten Tönen gelobt und natürlich konnte ich der Neugier nicht widerstehen, auch die ersten, öffentlichen Töne der "neuen" Orgel virtuell zu belauschen:
https://www.youtube.com/watch?v=uGX62yNVC1Q
Und hier noch ein Blick auf den Spielschrank der "neuen":
https://www.youtube.com/watch?v=bQS-roeQ2Dg
Okay, da sind wir wieder mal beim unerschöpflichen Thema Geschmack. Ein paar von euch kennen mich und meine klanglichen, musikalischen und optisch-ästhetischen Vorstellungen, ich habe hier auch nie ein Hehl daraus gemacht.
Was meint ihr, welche Orgel und welches Musikstück (NICHT die hier dargebotene Interpretation !) gefällt mir besser ?
Die Gesichter der Kirchenbesucher während der Orgelweihe scheinen mir jedenfalls still zuzustimmen. :augenroll:
Hm. Ehrlich gesagt, gefallen mir beide Spieltische nicht so recht... wobei ich gerne zugebe, dass mir jener mit den klassischen Wippen besser gefällt als die Schaltzentrale der Bosch-Bornefeld.
Was den Orgelklang an sich betrifft, verstehe ich den Abriss der alten Orgel nicht. Freilich kann innen drin im wahrsten Sinn des Wortes der Wurm stecken. Wir alle kennen Pfeifenorgeln, die beim bloßen Anhören nicht vermuten ließen, dass sie ein wirtschaftlicher Totalschaden sind, weil eine Generalsanierung eine Summe in der Höhe eines Neubaus verlangte.
Das Volk sagt über diese Instrumente den bei uns Organisten beliebten Satz: "Was habt ihr denn? Sie spielt doch noch."
#3 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Euler in Hofgeismar war bis zum Erlöschen der Firma in den 80ern ein traditionsreiches Unternehmen. In Nordhessen waren sie Platzhirsch, bevor die große Zeit des Hauses Bosch begann. In den 50ern entstanden zahlreiche zeitgeistige Instrumente aller Größenordnungen - die häufige Kombination von orgelbewegter Disposition, Kegel- bzw. Taschenlade und elektro-pneumatischer Traktur. Diese Orgeln sind halt nach rund 50 Jahren fertig, d.h. die Gemeinden haben die Wahl zwischen restaurierendem technischem Neubau und der Radikal- bzw. Totallösung.
In Kassel ergab es sich, dass die Martinskirche, der "Dom" der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, unbedingt auch einen sinfonischen Brüller braucht, denn sie ist wohl die einzige Bischofskirche, die noch keinen hat. Nun hatte Bosch auf das dortige, auch damals gewagte Instrument (vom Duo Ziegler/Bornefeld konzipiert) die hausübliche Sorgfalt in Material und Verarbeitungsqualität aufgewendet. So gab es nur die Alternative, sie nach Polen zu verscherbeln (was ihrer wundervollen - vom damaligen Dispositionspapst Walter Supper konzipierten - Schwester in der Marburger Elisabethkirche widerfahren ist), oder einen Standort im Inland zu finden. Die Katholiken waren so klug, gleich zuzuschlagen. So blieb eine der (trotz aller dispositionellen Exotik) rundum gelungenen Orgeln des Hauses Bosch als wertvolles regionales Kulturgut erhalten.
Möge es erhalten bleiben ...
Und hoffentlich wird die neue Martinskirchen-Orgel (auch sie wieder mit einem singulären Konzept) nicht zu krawallig ...
Die Spieltische kaufte Euler übrigens fertig bei Heuss in Lich - wie viele andere kleinere Firmen in dieser Zeit. Ich finde sie auch sehr formschön und gut in die Hände gebaut. Hans Klais' 40 Jahre lang gebauter Standard-Spieltisch ist m.E. natürlich bis heute unübertroffen ...
LG
Michael
#6 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Zitat von geris
Ich will nicht gehässig sein, aber der neue Spieltisch erinnert mich eher an die Steckfelder damaliger Telefonzentralen.
Der musste damals nach den Vorgaben der beiden Disponenten gebaut werden - und die waren schon seeeehr "speziell" - die ganzen Kollektivzüge und so'n Zeug ...
LG
Michael
#9 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Vermutlich eine Geldfrage. Ein neuer Spieltisch ist heute bei einer Dreimanualigen ein Kostenfaktor von 50 T€ ...
Und ich vermute weiter, dass da auch die "Experten" von der Denkmalpflege ein Wörtchen (zuviel) mitgeredet haben ...
Wie pflegte mein Onkel (weiland Kreisbaudirektor) immer abzulästern: "Schlimmer als alle Kriege wüteten Architekten und Denkmalpfleger ..." [grin]
#11 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Zitat von Romanus
Immerhin wurde die "alte" nicht einfach entsorgt, sondern wird in einer anderen Kirche in Kroatien erklingen, wo man sie mehr zu schätzen weiss.
https://www.youtube.com/watch?v=KY2KqqZcvJI
Ja das bekannte Phänomen, das ein befreundeter OBM als "Ostverschiebung" des europäischen Orgelbestandes bezeichnet.
Wir kaufen englische Altorgeln und entsorgen unsere nach Polen oder auf den Balkan .. [sad].
Zitat von Wichernkantor
Und hoffentlich wird die neue Martinskirchen-Orgel (auch sie wieder mit einem singulären Konzept) nicht zu krawallig ...
Die neue ist eine Rieger mit 77 Registern auf 4 Manualen und Pedal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martinskirche_(Kassel)#Orgel
Ich lese gerade "wird gebaut", man darf also auf das Ergebnis gespannt sein !
#13 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Zitat von Romanus
Die neue ist eine Rieger mit 77 Registern auf 4 Manualen und Pedal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martinskirche_(Kassel)#Orgel
Ich lese gerade "wird gebaut", man darf also auf das Ergebnis gespannt sein !
Jo, Harald und ich haben schon eine gelegentliche "Pilgerreise" der "Abnahmekommission" des Forums im Hinterkopf ... [grin]
Zitat von Romanus
Die neue ist eine Rieger mit 77 Registern auf 4 Manualen und Pedal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martinskirche_(Kassel)#Orgel
Ich lese gerade "wird gebaut", man darf also auf das Ergebnis gespannt sein !
Ja, das ist die Orgel mit Bart - hatte ich das nicht schon mal verlinkt?
"Mindestens 100 Jahre störungsfrei ..." blabla ... unter dem Artikel von 2010 kann man sich die damaligen Leserkommentare zum Neubauvorhaben bzw. beabsichtigten Orgeltausch anzeigen lassen. [wink]
Zitat von Romanus
Bin gerade zufällig (sofern es Zufälle geben kann und nicht alles einer höheren Macht folgt) auf das YT-Video "Der wirklich letzte Ton der Orgel" gestoßen:
https://www.youtube.com/watch?v=Izlk-fcbSnU
Man sieht den Spieltisch einer mittelgroßen, 3-manualigen Orgel mit knapp 40 Registern und im Hintergrund ein offenes Schwellwerk, der (übrigens ergonomische und für meinen Geschmack durchaus ästhetische [wink] @Martin7 Spieltisch (...)
D'accord! Prost:
#15 RE: Orgeltausch in St. Elisabeth, Kassel
Zur Ehrenrettung von Euler (in Ergänzung zu Michaels Äußerungen). Euler hat momentan (noch) keine Lobby.
Euler hat auch mechanische Schleifladen gebaut... Und die Trakturen laufen grundsätzlich sauber, wenn sie gewartet werden.
Euler hat auch mit Materialien Experimentiert z. B. Kunstoffdöckchen auf Wellenbrettern (wie andere zu der Zeit namhafte Orgelbauer auch). Heute gruselt es uns, damals wußte man es oft nicht besser. Wenn ich richtig gesehen habe dürfte das abgängige Eulerinstrument (1965) in der Bauweise einer elektrischen Taschenlade erstellt worden sein. Die Erbauungszeit (1959/1960) der Kirche läßt eine entsprechende Turbowarmluftheizung (Mahr?) tippen. Orgel und diese Heizungsform, die jedes Leder brutalst austrocknet. Da ist ohne Luftfeuchtemanagement das Todesurteil für die Taschenladen bereits vorprogrammiert. Der Spieltisch (nach damals gültigen BDO-Normen errichtet mit zwei freien Kombinationen, magnetischer Wechselschaltung (Hand und Fuß der Koppeln (auch in den Kombinationen!) ist in sich gesehen sehr ergonomisch in der Bedienung.),verrät bei genauerem Hinsehen: vermutete Zielvorgabe: möglichst viele Register für wenig Geld. Fournier an der Einstiegseite des Spieltisches großflächig ausgebrochen. Der Balanciertritt betätigt ein Crescendo. Ein Jalousieschweller weggespart. Ebenso wie der Tuttiknopf. Deswegen ist das Crescendo auch auf beiden Aufnahmen voll aufgezogen, aber nicht eingeschaltet. Die Prospektpfeifen lassen von der Machart auf "Hofbauer"-Göttingen schließen, der zur Erbauungszeit gerne sog. Walzmetall zu damals sehr günstigem (verlockenden) Preis geliefert hat (auch an Euler und viele andere namhafte Firmen). -> das Pfeifenwerk wird bei Walzmetall mit der Zeit unstimmbar. Wenn wir die Geschichte eines Instrumentes und der Qualität gerecht beurteilen wollen, ist stets die Frage nach Preisdruck auf den Orgelbauer zu stellen! Erst die Zusammenschau aus allen Quellen, z.B.: Archiv des Orgelbauers, Archiv des Schriftverkehrs mit dem Betreuenden Sachverständigen, Querschüsse des Klerus (z.B.: da kann man doch sicher noch was billiger machen!), und der Orgelakte, Schriftverkehr mit Architekt und kirchlicher Baubehörde - nach einer fachkundigen und protokollierten Begehung des Instrumentes, ist ein faires Urteil fällbar.
Daß die Eulerorgel in den letzten Jahren nicht unbedingt geliebt wurde, kann ich mir ob der sich zwangsläufig ergebenden Ausfälle gut vorstellen. (Nicht von ungefähr gab es das Diktum : "Ein Heuler, Herr Euler!" Ob die kroatische Gemeinde sich damit wirklich einen Gefallen getan hat ....?
Zur Bornefeld_Bosch:
Als Sachberater hätte ich diesen Tausch ebenfalls unterstützt. Unter der Sachberatung von Bornefeld erstellte Instrumente sind für die Erbauungszeit von sehr hoher Verarbeitungsqualität und hochwertigsten Materialien. Wie ich von mehreren Orgelbauern erfuhr, die mit Bornefeld zusammen arbeiteten, war die Arbeitsweise von Bornefeld bei vielen Orgelbauern regelrecht gefürchtet. Vertrat er doch mit erheblichem Nachdruck sehr extreme Auffassungen, die alle Belange des Orgelbaus betrafen.
Trotzdem lohnt es sich auch heute noch, seinem Gedankengut spieltechnisch und musikalisch nachzuspüren. Auch wenn die Musik, in Bornefelds Sinne, heute gerade nicht "en vogue" ist, so bin ich sicher, daß gerade dies Instrument in 30 Jahren zu einer Pilgerstätte werden könnte. Und man wird staunen, was man mit damaligen Mitteln alles bewerkstelligen konnte. Das ist aber nur mit dem "Originalspieltisch" in seiner unangetasteten Bedienweise möglich.
>analog dazu: Wer nie die Funktion eines norddeutschen Sperrventils begriffen hat, kann sie im Bedarfsfall auch nicht schätzen. Wenn ich "historisch" musizieren will, benötige ich ggfs. das "ungeliebte" Ventil. Für die frz. Orgel mit seinen Appels: Wer die Appels zu bedienen weiß, benötigt keinen Setzer (vgl. St. Sulpice in Paris)>
Der Domorganist der Silbermannorgel von Freiberg in Sachsen wurde zu Beginn des 20. JHDT von einem Kollegen mal gefragt, ob er auf so einer altmodischen Orgel ohne Spielhilfen, ohne Pneumatik überhaupt noch spielen könne. ... dabei hatte der Kollege die Tonschönheit gar nicht wahrgenommen...
Aus Respekt und denkmalpflegerischen Überlegungen heraus würde ich diesen Spieltisch in seiner originalen Bedienung genau so belassen, wie er ist. Das setzt voraus, daß man sich mit den theoretischen Hintergründen auseinander gesetzt hat, bevor über einen solchen Spieltisch geurteilt wird. Hoffentlich sind sämtliche ursprünglichen Schaltungen (insbesondere die Modifizierbarkeit der Gruppenzüge) erhalten geblieben. Um den "modernen" Organisten, der ohne Setzer nicht zu musizieren vermag, entgegen zu kommen, gibt es ja jetzt einen. Bornefeld hätte sicher in seiner schwäbischen Eigenart dazu gesagt:" Wozu für einen Setzer soviel Geld ausgeben? Bauen Sie mir dafür lieber noch die Klangfarbe xy dazu, damit kann ich noch dies und jenes realisieren!". Gott sei Dank sind seltenste Stimmen, wie, Ternone, Unruh, Rauschharfe, ... und den 5! Pedalmixturen dem Instrument im Original erhalten geblieben.
Mit den 56 Registern (incl. span. Trompeteria, solidem Schwellwerk) ist die Bornefeld-Bosch ihrer Vorgängerin sicher haushoch überlegen. Wenns mich mal nach Kassel treibt, unterziehe ich sie sicher sehr neugierig einem Test, sicher auch mit orgelbewegter Originalliteratur.
Um sich mit Bornefelds Ideen ein wenig zu befassen:
[url=http://https://youtu.be/sPgl-NMOTkY]https://youtu.be/sPgl-NMOTkY[/url]
hier werden einige Gedanken Bornefelds schön an einer Dorforgel erklärt. Der gleiche Uploader stellt auch ein größeres Werk Bornefelds vor, dessen Spieltisch der Kasseler Schwester sehr ähnlich ist.
Lieben Gruß
Clemens
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