Orgel der Jakobuskirche in Olsztyn/Allenstein

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10.08.2017 19:27 (zuletzt bearbeitet: 04.08.2021 20:53)
#16 RE: Orgel der Jakobuskirche in Olsztyn/Allenstein
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Moderator

Ich habe ja auf der Empore vier Studenten der Breslauer Musikakademie und ihren Mentor, Prof. Reczikowski, kennengelernt. Zwei der jungen Leute und ihr Prof. sprachen gut deutsch, wir haben etwas palavert und dann einfach mal für alle Fälle Kontaktdaten getauscht.

Am frühen Abend klingelte dann mein Mobiltelefon und R. war dran. Er fragte, ob ich nicht noch etwas nach Olsztyn kommen wolle auf ein Bier und etwas Geplauder. Die Truppe wohnte dort in einer Art bischöflichem Konvikt mit angeschlossenem Gästehaus und im Keller desselben gibt es eine Art Bar. Ich holte mir bei der Gemahlin einen Nachtausgangsschein und fuhr noch mal die vier Kilometer Holperpiste von unserem Feriendomizil bis in die Stadt.
Wir haben dann einfach etwas über die Orgelszenen unserer Länder palavert. Für mich war neu: In Polen gibt es eine stetig zunehmende Zahl junger Leute, die Orgel studieren - einen genuinen Studiengang "Kirchenmusik" wie bei uns gebe es nicht. Vor Jahren noch hätten junge Organisten gern in Deutschland studiert, seien dann zurückgekkommen und es habe keine Stellen für sie gegeben. Inzwischen absolvierten sie ihre Ausbildung im eigenen Land.
Die Kirchenschließungen in Deutschland und die vielen Orgelverkäufe hätten vielen Gemeinden in größeren Städten Polens erstmals die Beschaffung einer "neuen" Pfeifenorgel ermöglicht. Die Orgeln aus Deutschland seien sehr beliebt bei den Organisten. Denn in der Ausbildung werde viel Bach und Buxtehude gespielt, die auf den Neo-Barockerinnen aus Deutschland gut zu machen sei. Polen verfüge über einige Orgelbauer, die sich auf "Orgelumzüge" spezialisiert hätten. Die Mechaniken gälten als zuverlässig und oft werde gleich die Ersatz-Hardware für Register- und Setzersteuerung bei einem deutschen Zulieferer mitgekauft.
In immer mehr größeren Gemeinden gebe es - angesichts vieler Gottesdienste pro Woche - quasi-hautpamtliche Organisten. Allerdings sei die Bezahlung nicht üppig und die meisten Inhaber solcher Stellen müssten noch als Schulmusiker arbeiten. Chorleitung sei ein eigener Studiengang, wer von der Kirchenmusik leben wolle, müsse beide Fächer belegen.
Mich erinnern diese Schilderungen in Vielem an unsere Verhältnisse Ende der 60er. Da richteten auch viele Gemeinden in den Ballungsräumen erstmals fast-Vollzeit-Stellen ein und bauten stattliche neue Orgeln. Im Gegensatz zu Polen gab es bei uns ja dann auch noch eine hohe säkulare Chorkultur. So konnte ein deutscher Kirchenmusiker damals auch auf einer der berüchtigten x-Prozent-Stellen sein Auskommen finden, wenn er einen oder zwei Gesangvereine dirigierte.
Ich hatte als Student Anfang/Mitte der 70er eine nebenamtliche Stelle in einem großen Wohndorf, in dem der Kirchenchor damals noch 50 Köpfe zählte. Dazu dirigierte ich den Männergesangverein und im Nachbarort einen gemischten Chor. Vom Ertrag konnte ich mir als Student Auto, Seiler-Klavier und (analoge) Ahlborn Sonata leisten. Zudem hatte ich Zeit zum Klavierstundengeben, während meine Kommilitonen anderer Observanzen auf dem BaföG-Amt für ihre Stütze anstanden.
Ähnliche Biographien wird es jetzt wohl in Polen für die nächsten 20 Jahre zuhauf geben. Die jungen Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren jedenfalls guten Mutes.
Schade, dass sie so weit weg wohnen. Ein paar solcher Optionen auf eine ordentliche Vertretung hätten mir schon gefallen.

Auf dem Heimweg ins Haus am See habe ich die Strecke zum ersten und letzten Mal im Dunkeln fahren müssen. Zu Fuß wäre ich vermutlich schneller gewesen. Weniger als Schrittempo - Fahrzeit über die mit nahezu unsichtbaren (aber ums so deutlicher fühlbaren) Schlammlöchern gespickte Piste: fast eine Dreiviertelstunde.
Aber falls es mich mal wieder östlich der Oder verschlägt, habe ich jetzt wenigstens ein paar Anlaufadressen.

LG
Michael


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11.08.2017 10:23
#17 RE: Orgel der Jakobuskirche in Olsztyn/Allenstein
Ti

Auch von mir....herzlichen Dank!
Gruß Stefan

Gloria Nobilis 352 Edition

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04.08.2021 20:21
#18 RE: Orgel der Jakobuskirche in Olsztyn/Allenstein
Ul

Lieber Michael,
Ein sehr interessanter Bericht. Mit den Orgeln ist das immer noch so.
Vor einigen Wochen habe ich eine der Orgeln unserer Pfarrei, Seifert II/21 1967 nach Polen verkauft. Die Leute hatten Orgelbauer und einen jungen gutspielenden Organisten mitgebracht. Alle waren total begeistert von diesem neobarocken und recht kräftigem Klang. Mir war es eine Herzensangelegenheit, denn diese Orgel war vor fast 40 Jahren mein erstes Dienstinstrument auf dem Gebiet unserer jetzigen Pfarrei. Nun geht die Orgel und, dem Vernehmen nach, die gesamte Kirchenausstattung nach Polen und bleibt so zusammen.
LG Ulrich


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