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RE: Quo vadis, Gottesdienst?
#1 RE: Quo vadis, Gottesdienst?
Beim Stöbern im www. zum Thema "gottesdienstliche Kultur und Praxis" bin ich auf folgenden bemerkenswerten Artikel von Prof. Stefan Klöckner gestoßen, veröffentlich im Lutherjahr 2017 in der Kirchenmusik-Postille des Bistums Limburg.
Wären seine Anmerkungen als offener Brief an die Kirchenleitungen und pastoral-liturgischen Kommissionen formuliert, würde ich ihn sofort unterschreiben ...
Der Mann spricht mir absolut aus dem Herzen und spiegelt meinen derzeitigen Beobachtungs- und Erfahrungshorizont im ev. Bereich authentisch wider.
https://kirchenmusik.bistumlimburg.de/fi...2017_1_Heft.pdf
Der Artikel beginnt auf Seite 5.
LG
Michael
Wahrlich, wahrlich...
Der Artikel hätte genau so auch aus Deiner Feder sein können...
[wink]
VG
Aeoline
Danke für die Verlinkung!
In Richtung der nicht mehr ganz neuen Lobpreiswelle, die von Amerika kommend inzwischen auch über Europa geschwappt sein dürfte, sagte der Autor:
Zitat
Über Geschmack lässt sich trefflich streiten – und es mag einige geben, denen diese musikalische Mischung aus melodischem Likör und harmonischem Weichspüler behagt. Jedoch werden mit nicht wenigen dieser Lieder lediglich Sentimentalitäten bedient, wodurch die Liturgie und mit ihr auch die professionelle Kirchenmusik einem bloßen seelischen Schaumbad gefährlich nahe käme. Die Texte sind zudem vielfach rein auf das „Ego“ bezogen, thematisieren das Verhältnis zwischen „meinem Gott und mir“ – und blenden durch diesen neuen Pietismus sui generis die mühsam gewonnene Sicht auf die gottesdienstliche Gemeinschaft aus.
Stimmt gewiss alles.
Doch warum trifft das auch in gleichem Maß auf viel älteres Liedgut zu, an das allenfalls nüchterne Theologen Hand anzulegen wagen, z.B. "Segne du, Maria"?
Ich wiederhole, was ich schon viel früher einmal im Rahmen einer forialen Diskussion gesagt habe: Theologischer Scharfsinn, poetische Qualität, kompositorischer Genius... all das sind einzelne Faktoren, die zur Einwurzelung eines Liedes in guter Weise beitragen können - aber nicht müssen. Das Alter allein wird kaum als Qualitätsmerkmal gelten können, ja nicht einmal der eine oder andere Name, den die hohe Hymnologie mit Ehrfurcht in der Stimme nennt. Unsäglichkeiten gibt es nicht nur in der Lobpreismusik, sondern auch bei Friedrich Spee oder Philipp Nicolai. Die Geschichte der Bearbeitungen ist eine Geschichte der Eingeständnisse in den Wahrheitsgehalt meiner Behauptung.
#4 RE: Quo vadis, Gottesdienst?
Eine gewachsene historische Prägung ist sicher ein Aspekt, der in eine "Qualitätsbeurteilung" einfließen muss. Dass zu allen Zeiten unsäglicher Kitsch entstanden ist, sei unbestritten. Wenn man manche Kantatentexte liest, die kein geringerer als Bach vertont hat, stehen Diabetiker kurz vor dem Insulinschock. Hört man dann aber die geniale Musik dazu ...
Der theologische Dünnpfiff aus den USA ist indes die Analogie zu dem was dort Millionen Menschen essen: Fastfood. Und den deutschen Übersetzungen gelingt es oft, das noch zu verschlimmbessern ...
Kommt dann noch eine nichtssagende "habt-Euch-alle-Lieb"-Predigt dazu, dann sinkt die angestrebte "Niederschwelligkeit" ins Bodenlose. Die Klientel, die sowas schätzt oder für erstrebenswert hält, ginge besser zu einem "Motivationstrainer" ... da liegt die Latte dann wenigstens ganz am Boden.
Ich begreife nicht, wer den Pfarrherrn und den Gemeindeleitungen den Floh ins Ohr gesetzt hat, den Gottesdienstbesuch zum Qualitätsmerkmal ihrer Gemeindearbeit zu machen. Gottesdienst war in den Urgemeinden keine "einladende" oder "niederschwellige" Veranstaltung. Er war im besten Wortsinn exklusiv, eine absolute Insider-Veranstaltung.
Wenn das Ziel darin besteht, möglichst viele Leute "in die Kirche" zu bekommen, dann muss man halt "Events" bieten, danach "Mega-Events", dann "Giga-Events" dann "galaktische Hyper-Events" - und dann? Für letztere legen wirklich fortschrittliche Gemeinden bereits UFO-Parkplätze für die außerirdischen Besucher an ... [grin]
Uuups, jetzt muss ich aufhören, sonst geht mir der Satiregaul durch. Leider ist ja vieles, was ich beobachte, Realsatire.
LG
Michael
So weit ich den Lobpreismarkt in meinem bescheidenen Umfeld überblicke, sind die dort emsigen Leutchen keine typischen Eventbesucher, sondern eher eine handverlesene Klientel, die etwas „Innigeres“ sucht als in den normalen Gemeindegottesdiensten geboten wird. Es sind also durchwegs „Suchende“, was in gewisser Weise bereits ein pastoraler Glücksfall ist.
Ob ich deren musikalischen Geschmack nun teile oder nicht, ist relativ egal: Es gibt einen „Markt“ für so etwas. Zudem sehe ich auch gar kein Konkurrenzverhältnis zum normalen Gemeindealltag, weil die genannten Leutchen in der Regel auch daran teilnehmen. Von daher fürchte ich nicht, dass der gottesdienstliche Alltag in diese sehr spezielle Form hineinverschwinden wird.
Notabene: Musikalisch trifft die Lobpreisfraktion meinen Geschmack in keinster Weise; ich fühle mich im traditionellen Liedgut sehr, sehr wohl.
Aber:
Wer bin ich, zu (ver)urteilen? Und wer bin ich, dass ich meinen Geschmack zur letztgültigen Norm erheben dürfte?
Wenn ich mich recht erinnere, gibt es das theologische Kriterium, ob etwas „Christum treibet“ oder nicht. Dahinter wird vermutlich jedes andere Kriterium zurückstehen müssen, solange es um den Glauben geht und nicht um Poesie oder Musik. Welches Vehikel auch immer dazu dient, mit Gott in Kontakt zu treten: Wenn der Kontakt zustande kommen konnte, dann war das Vehikel angemessen – ganz egal ob es „O Haupt voll Blut und Wunden“ oder „Lord, I lift your name on high“ heißt.
Meine zwei Cent zu diesem vielleicht gar nicht so heißen Thema...
#6 RE: Quo vadis, Gottesdienst?
Grundsätzlich d'accord ...
Wobei mir eine scharfe Scheidung der Geister vonnöten scheint.
Hier bei uns gibt es eine bunte Freikirchen-Szene. Sie alle eint die Vorliebe für "Lobpreis" und US-Theologie. Letztere ist nach meinen Beobachtungen ebenso simpel gestrickt wie der derzeitige Regierungschef. Frei nach dem Motto: "Bevor ich Jesus kannte, ging es mir sch..., seit ich Jesus kenne, geht es mir super ..." Und das halte ich für gelogen. Damit wird nämlich die andere Seite christlicher Existenz ausgeblendet. Und auch das Verschweigen dieser Wahrheit ist in meinen Augen Lüge.
Solche Gemeinden geben nach meiner Beobachtung keine oder zumindest unbefriedigende Antworten auf die Fragen nach Leid und Tod, sondern sind sehr "jenseitig". Zwei meiner Kollegen waren in solchen Gemeinden. Als sie im Jahresabstand starben, war ich entsetzt über die wortreiche Sprachlosigkeit der Prediger in den Trauerfeiern. Diese Leute konnten "biblisch fundiert" predigen und räsonnieren, ob Christen Kampfhunde halten oder in die Sauna gehen dürfen und über andere "lebenspraktische und alltagsrelevante" Themen. Aber angesichts des Todes versagten sie.
Ich verließ beide Trauerfeiern weder getröstet noch erbaut. Und die Musik war nicht daran schuld. Wiewohl ich sie als dick aufgetragene "Leichenkosmetik" empfunden habe.
Wenn Religion sich um die zentralen Fragen menschlicher Existenz drückt und an deren Stelle betuliche "Wellness-Events" oder (am anderen Ende der Skala) magische Rituale setzt, wird sie im Sinne der klassischen Religionskritik zum "Opium für das Volk". Und solche Musik wird m.E. dann zur Ingredienz dieser "Droge" ...
LG
Michael
Genau das ist die zentrale Frage! Als Interessierter vieler Belange ist mir die "musikalische Entwicklung" in diversen Freikirchen bekannt. Ich schätze diese Tendenz als "kurzlebig" ein.
Als Organist in 3 Kirchgemeinden spüre ich sehr wohl die "Tendenz von musikalischen Veränderungen". Für mich bietet die kirchenmusikalische Musik zum Glück nach wie vor eine sehr breite Vielfalt, auch musikalische veränderte Bedürfnisse zu erfüllen.
Zudem bin ich überzeugt, dass die musikalische Auswahl, sowie die entsprechende Interpretation nach wie vor zu gefallen weiss.
Ist es doch nicht unsere Aufgabe als Organisten, den "Nerv" der Zeit zu treffen, mit dem gewaltigen Reichtum der Kirchenmusik, entsprechend intoniert und vorgetragen?
Ich glaube an diesen Reichtum und freue mich stets darüber. Da haben wir noch Potential!
LG
Martin
Das mit der Kurzlebigkeit ist ein gutes Stichwort, glaube ich.
Wenn ich daran denke, wieviel von den Gassenhauern der 70er Jahre sich inzwischen wieder ins Nirwana verflüchtigt haben, empfinde ich durchaus eine gewisse Befriedigung. Was aus dieser Zeit bleiben durfte, findet sich z.B. auch im neuen Gotteslob. Ich denke da etwa an das Gabenlied GL 188 nach der Melodie von A.L.Webbers "Look at all my trials and tribulations" oder an "Wenn das Brot, das wir teilen". Anderes hatte seine Zeit und wäre - im Nachhinein betrachtet - der Aufregung nicht wert gewesen.
Was die theologische(n) Frage(n) und das Trostpotenzial einer verflachten Theologie betrifft, bin ich wiederum ganz bei Wichernkantor. Aber vorrangig ging es hier ja um die sog. Lobpreismusik, wenn ich den Thread nicht ganz missverstanden hatte.
Da jetzt mehrfach die USA als Quelle allen Übels ausgemacht werden, möchte ich mal einwerfen, dass es auch dort durchaus anders geht und es (auch) eine musikalische Kultur gibt, von der wir hier in Europa ein Menge lernen können.
Ich war bis jetzt zwei Mal zu Besuch in unserer Partnergemeinde in North Carolina. Dort gibt es etwa 10 Chöre und Instrumentalensembles, die die verschiedensten Stilrichtungen abdecken und von denen in jedem Gottesdienst (soweit ich es erlebt habe) mindestens (!) zwei auftreten (und ja, eine Organistin gibt es auch noch). Und das in einer Kleinstadt mit 60000 Einwohnern und zahlreichen konkurrierenden kirchlichen Angeboten.
Was mir (im Vergleich zu unserer Gottesdienstkultur) aufgefallen ist:
- Verschiedene musikalische Stile bzw. Ensembles stehen wie selbstverständlich nebeneinander und verstehen sich nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzung. Traditionelle Choräle mit Orgelbegleitung und Beiträge des Gospelchors (durchaus mit Schlagzeug, E-Bass und Digitalpiano) sind hier die Regel, ohne dass jemand etwas Schlimmes dabei finden würde. Beim letzten Besuch hier bei uns haben Gospel- und "normaler" Gemeindechor (beide dezimiert durch Kosten und Beschwernisse der Anreise) ein gemeinsames Konzert mit Programmpunkten aus beiden Genres gegeben. Die Sänger, mit denen ich gesprochen habe, haben das durchaus als Bereicherung empfunden.
- In Leitungsfunktionen finden sich ausschließlich professionelle Musiker, dadurch ist eine hohe musikalische Qualität sichergestellt. Gerade beim Gospelchor ist mir klargeworden, dass "echte" amerikanische Gospelmusik und das, was man hierzulade oft so an Gospel musiziert, durchaus zwei Paar Schuhe sind.
Schlecht komponierte oder schlecht ausgeführte Musik ist mir jedenfalls dort nicht begegnet (wenn auch sicher nicht alles meinen Geschmack trifft).
Ich persönlich glaube nicht, dass es gute und schlechte Musikstile oder -richtungen gibt, es gibt nur gut oder schlecht gemachte Musik. Gerade was neue musikalische Richtungen angeht, haben es die großen Kirchen hierzulande lange Zeit verschlafen, auf breiter Ebene kompetente Musiker auszubilden bzw. an Bord zu holen - mit dem Effekt, dass sich in diesem Bereich ein gewisser Wildwuchs breitgemacht hat bzw. Leute in Freikirchen oder dergleichen abwandern. Deshalb begrüße ich auch die hier häufig verfemten "Popkantoren" - nicht weil ich mir MEHR Popmusik im Gottesdienst wünsche, sondern weil ich auf BESSERE Popmusik hoffe.
So, das waren meine two cents.
LG
Christian
#10 RE: Quo vadis, Gottesdienst?
NGL ist in meiner Gemeinde ganz gut integriert, solange es gemeindetauglich ist....und keine Häresien verbreitet.
Wenn ich allerdings dazu die abschätzigen Äußerungen des Hamburger"POP"KMD über die tradierte Kirchenmusik anhöre, frage ich mich ernsthaft, ob ein gleichberechtigtes Miteinander von den Leitungsgremien her überhaupt gewollt ist. Ein Blick in die Studienordnung spricht Bände...
Erschreckend: Da wird es von Seiten des POP-KMD als Zumutung erlebt, wenn Organisten nach einem orgelgemäßen Satz eines neuen NGL nur fragen. In meinen Augen muß solch ein Kollege auch in der Lage sein, ein entsprechendes Orgelarrangement zu schreiben und damit auch eine Gemeinde zu begleiten. Wenn er das nach seiner Ausbildung nicht kann, soll er sich sein Lehrgeld fürs Kirchenmusikstudium wiedergeben lassen, wenn seine Spielfähigkeiten auf der Orgel nicht auf ausreichendem Stand sind.
#12 RE: Quo vadis, Gottesdienst?
Zitat von Gemshorn im Beitrag #3
Stimmt gewiss alles.
Doch warum trifft das auch in gleichem Maß auf viel älteres Liedgut zu, an das allenfalls nüchterne Theologen Hand anzulegen wagen, z.B. "Segne du, Maria"?
natürlich trifft das auf marien-schnulzen auch zu -- "segne du maria" kann weg ohne verlust.
Zum Artikel: Mir ist nicht klar, ab wann etwas nicht mehr NGL, sondern Praise Song ist (ersteres fördert der Autor, zweiteres verdammt er). Aber das liegt vielleicht daran, dass ich zu wenig (gar keine?) Begegnungen mit der Praisemusik hatte?
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