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Gloria Nobilis Kapella 2.27
#1 Gloria Nobilis Kapella 2.27
Seit einigen Tagen steht das erste Exemplar der neuen Gloria Nobilis Kapella 2.27 in Baunatal zur Betastung bereit. Grund genug für mich, gestern mal gen Nordhessen zu satteln und einen ersten Augen- und Ohrenschein zu nehmen.
Zunächst die Optik:
Ein klassisches Spieltischgehäuse mit Rollverdeck, ansonsten ohne Schnörkel und Schnickschnack, hat mir durch seine Gradlinigkeit und seine ordentliche Verarbeitung gefallen. Die bisher unvermeidlichen Drehschalter links neben den Klaviaturen, die „Fummler“ bisher gern als Einladung betrachtet haben, an Hall- und Lautstärkeparametern herumzuschrauben, sind verschwunden. Die Funktionen liegen jetzt im Menü verborgen, sind dadurch vor unbefugtem Zugriff etwas besser geschützt.
Gerade bei einem Instrument, das für einen Gottesdienstraum konzipiert wurde, halte ich es - aus üblen Erfahrungen - für wichtig, die Grundeinstellungen vor dem Zugriff Dritter zu schützen.
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Um den Endpreis für die Orgel (einschließlich externer 4.1-Abstrahlung) unter der 15-T€-Marke zu halten, wird sie in der Basisausstattung mit Kunststoff-Klaviaturen und Flachpedal ausgeliefert. Die Manualtasten haben nichts mehr gemein mit den glitschigen Dingern, die noch vor zehn Jahren üblich waren. Sie sind sehr griffig, wenngleich sie mir persönlich etwas zu wenig Anschlagswiderstand bieten.
Sollte ich eine Empfehlung abgeben, würde ich der bestellenden Gemeinde in jedem Fall (mindestens) zu den Holzkern-Klaviaturen und dem doppelt geschweiften Pedal raten.
Damit läge der Endpreis wohl etwas über 16 T€.
Die Abstrahlung besteht aus drei Kisten: Einem Sub und zwei Satelliten, denen jeweils zwei Kanäle zugeordnet sind. Das interne Routing lässt mehrere Optionen der Kanalverteilung zu. Grundfarbe von Boxen und Bespannung ist weiß, alle anderen Farbgestaltungen sind natürlich möglich, die Elemente sind am Aufstellungsort frei platzierbar.
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Bei nicht mal halb aufgedrehten Endstufen klingt das Plenum der Orgel druckvoll, füllt den nicht gerade kleinen hinteren Ausstellungsraum, den etliche unter uns ja von eigenen Besuchen und Forentreffen kennen, satt aus.
Wie der Name suggeriert, ist die Orgel für kleinere Gottesdiensträume gedacht, für Aussegnungshallen, Kapellen oder kleinere Filialkirchen.
Deshalb wurde die Registerzahl auf 27 Stimmen und folgende Disposition begrenzt:
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Es handelt sich um die hoch auflösenden Einzelton-Samples aus der Dresdener Silberfrau, die sich auch in der „Wohnzimmer-Nobilis“ befinden.
Ich höre schon die „aber-da-fehlt-doch“-Rufe im Hintergrund. Ja, da fehlt. Bei „nur“ 27 Registern „fehlt“ halt immer was. Und es scheint immer weiter verbreitet zu sein, eine Orgel nach dem zu beurteilen, was man darauf nicht spielen kann. Mal unter uns Pfarrerstöchtern: Wer hat eine Orgel mit 27 Stimmen als Dienstinstrument und nölt seinem Presbyterium die Ohren voll, dass er für sein gottesdienstliches Spiel unbedingt einen Bombardenchor, eine Flûte harmonique und natürlich eine „Tuba mirabilis“ mit 12 atü Winddruck braucht?
Anstelle der ursprünglich angedachten zwei Registersätze (einmal barock, einmal romantisch) hat man sich für eine „puristischere“ Lösung entschieden. Aus der Überlegung heraus, dass es nicht sonderlich sinnvoll und glaubwürdig ist, einem kleinen Sakralraum eine sinfonisch-romantische Orgel mit 30 und mehr Stimmen überzustülpen.
Silbermann fertigte seine Zweimanualigen ja nach einem „Baukastensystem“. Seine Landorgeln hatten 19 bis 22 Register. Nur zweimal, in der Freiberger Petrikirche (einigen Forianern vom Forumstreffen im Erzgebirge bekannt) und in der (kriegszerstörten) Dresdener Sophienkirche, baute er Zweimanualige mit mehr als 30 Registern. Das waren indes ausgesprochene Großraumorgeln mit 16‘-Prinzipal im Hauptwerk und einem 32‘-Pedalfundament. Für kleine Räume verbietet sich diese „Wucht“.
Im gesamten Schaffen Silbermanns gibt es zwischen 22 und 30 Registern keinen „Zwischentypus“, so dass die Disposition eine kreative Fortführung der Silbermann’schen Klangästhetik ist.
Heraus kam ein Hauptwerk-Oberwerk-Typus, den Silbermann eigentlich erst in seinen Dreimanualigen realisiert hat. Über Schweller und Crescendo mögen Puristen den Kopf schütteln – daher mein Geheimtipp: Man muss sie nicht benutzen …
Die Disposition bietet in den Manualen die Stimmen, die Silbermann seinen Landorgeln gab. Nein, kein labialer 16‘ im Hauptwerk, dafür die charaktervolle und ungemein mischungsfähige Quintadena 8‘. Aus dem Dresdener Oberwerk gibt es Fagott 16‘ und aus dem Brustwerk das Chalumeau 8‘ für II, hier als Oboe bezeichnet.
Wie bereits beim Komplett-Sampleset der Dresdenerin wurde auch für die Kapella das Pedal (bei Silbermanns Landorgeln ja nur aus Subbass, Oktavbass und Posaune bestehend) erweitert: Es enthält - neben den gut tragenden hölzernen Prinzipalbässen zu 16' und 8' - Subbass und Gedecktbass, beide aus den entsprechenden Oberwerks-Registern der Dresdenerin gewonnen. Zudem einen Choralbass, eine Posaune 16‘ mit Holzbechern und eine leicht „kesselnde“ Metalltrompete 8‘.
Das Instrument steht derzeit noch so in der Ausstellung, wie es das Werk in Ede verlassen hat. Es ist noch nicht an die Gegebenheiten des Aufstellungsortes angepasst. Deshalb habe ich auf Klangbeispiele verzichtet. Und wer mal selber hören will, sollte vielleicht noch ein paar Wochen warten.
Aber jetzt schon lässt sich sagen, dass die Samples hohen Qualitätsanforderungen standhalten. Der Prinzipal 8‘, den ich natürlich als erstes probiert habe, ist traumhaft schön: weich, flüssig perlend, tragfähig, trotzdem hat er – auch dank der differenzierten Abstrahlung – polyphone Qualitäten. Die beiden Prinzipale 4‘ geben Fleisch auf die Knochen des Klanggerüstes, die Oktave 2‘ leuchtet. Die Mixturen haben Glanz ohne Schärfe. Ein ganz besonderes Bonbon: die Streicherschwebung. Silbermanns Gambe ist von Bau und Klangfarbe her ja ein weich streichendes Gemshorn – im selben Klangbild ist die dazu schwebende Céleste gehalten. Zusammen ergeben sie einen Klang, der von den (mir oft etwas zu scharfen) romantischen Schwebungen absticht. Gerade in kleineren Räumen wirken derartige Schwebestimmen oft arg "sägend" oder überzuckert-süßlich. Davon ist diese noble, feine Stimme weit entfernt.
Was kann man auf dieser Orgel spielen? Klar, kein Referenzinstrument für französische Sinfonik. Aber zahlreiche Aufnahmen renommierter Interpreten in meinem CD-Fundus belegen, dass auf Silbermanns Instrumenten deutsche Romantik zwischen Mendelssohn und Rheinberger hervorragend zu realisieren ist. Bei Reger müssen die Silberfrauen natürlich passen – die Windversorgung ist auf diese Klangmassen und dynamischen Kontraste nicht ausgelegt.
Dass Silbermanns Orgeln sich für den französisch-barocken Stilkreis hervorragend eignen, hat sich ja auch bis in weite Kreise herumgesprochen. Und Bach und sein Schülerkreis haben diesem Orgeltypus ihre Kompositionen quasi auf den Leib geschrieben.
Die Kapella 2.27 ist dezidiert für einen Klangraum mit Eigencharakter gedacht. D.h. der entscheidende Arbeitsgang wird die Intonation auf die jeweiligen akustischen Parameter des Aufstellungsortes. Damit wird jede dieser Orgeln „anders“ klingen und der Intonateur trägt letztlich die Verantwortung, das ausgezeichnete Klangmaterial zu einem stimmigen, eigenständigen Gesamtklang zu formen. Ich bin sehr gespannt auf die ersten Installationen dieser Orgel.
Die größere Schwester, die Gloria Nobilis Kathedrale 3.53, wird es – wie geplant – mit einem barocken und einem romantischen Registersatz geben, in der Basisausstattung mit einer zwölfkanaligen externen Abstrahlung. Der Grundpreis soll knapp 23 T€ betragen. Das erste Instrument wird Ede allerdings erst in einigen Wochen verlassen.
LG
Michael
#3 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
#4 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
#5 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
Im neuen Flyer gibt's über beide Instrumente schon die Basisinformationen. Der müsste doch irgendwo auf der Page zum Download stehen ...
Heureka! In diesen Download-Prospekten sind die neuen Modelle schon gelistet:
https://kisselbach.de/de/aktuelle-angebote-gloria-spektrum/
LG
Michael
Hallo Michael,
danke für den sehr interessanten Bericht.
Ich mag das Konzept, vor allem die "Selbstbeschränkung" auf 1 Set und die 27 Register, damit das authentisch bleibt im Kontext des Aufstellungsorts (Kapelle, kleine Kirche).
Wie hat man das mit dem Hall gelöst, das Dresden-Set ersäuft ja eigentlich darin?
Beim Design hätte man m.E. gern einen Ticken ambitionierter sein können, auf den Bildern sieht das aus wie eine Opus anno dunnemals und wirkt dadurch sehr "heimorgelig". Da hätte es im Johannus-Baukasten durchaus Alternativen gegeben. Was ich auch nachteilig finde, sind diese schrägen Paneele rechts und links der Klaviatur; warum kann man die nicht vertikal senkrecht runterziehen? Dann hätte man eine Fläche gewonnen für Gesangbuch, Brille o.ä. und außer dem Display und dem Typenschild ist dort ja nichts was man ergonomisch erreichen müsste.
Trotzdem, bin sehr gespannt aufs Betasten eines Tages.
VG
Stephan
#7 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
Den Hall kann man natürlich stufenlos regeln, d.h. in Räumen mit Eigenakustik auch komplett abschalten.
Jo, das Spieltischdesign ist Geschmackssache. Bei der 360 stehen die Staffeleien seitlich auch schräg. Mir vermitteln sie ein wenig das Klais-Feeling der 50er und 60er, auf das ich von Orgelsäuglingszeiten an konditioniert bin.
Mir gefällt es eigentlich gut, dass keine Holztafel für den Klangaustritt von Hosenbein- oder Seiten-LS zersägt werden musste. Wenn's etwas schnörkeliger werden muss, wenn z.B. die Abstrahlung in ein vorhandenes Stilgehäuse gesteckt werden und dere Spieltisch entsprechend angepasst werden soll, kann sich ein Schreiner an den glatten Flächen ja mit Profilleisten u.Ä. verkünsteln. Da sind sicher Lösungen möglich, die das Spieltischmöbel optisch aufwerten.
LG
Michael
#9 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
Auch meinerseits Danke für diesen Erstbericht!
Zitat von SJL im Beitrag #6
Beim Design hätte man m.E. gern einen Ticken ambitionierter sein können, auf den Bildern sieht das aus wie eine Opus anno dunnemals und wirkt dadurch sehr "heimorgelig". Da hätte es im Johannus-Baukasten durchaus Alternativen gegeben
Diese Zeilen sprechen mir aus der Seele, es war das erste, was mir beim Betrachten der Fotos in den Sinn kam.
Bei einem Instrument dieser Güteklasse müssen die inneren Werte in irgendeiner Weise eine Entsprechung in der äußeren Gestaltung finden - und sei es in Form einiger wohlplatzierter Zierleisten oder charmant abgerundeter bzw. ornamentierter Manualwangen (o.Ä.). Die optische Gestaltung steht m.E. in einem krassen Missverhältnis zu den in diesem Thread skizzierten klanglichen Qualitäten.
Sehr schade.
Als Fan kleiner Orgeln finde ich die „essenzialisierte“ Disposition sehr, sehr stimmig.
#12 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
Zitat von SJL im Beitrag #6
...auf den Bildern sieht das aus wie eine Opus anno dunnemals und wirkt dadurch sehr "heimorgelig"...
Eine gewisse Ähnlichkeit zu meiner Opus 20 von 2004 lässt sich wohl kaum bestreiten...
DSC_0020.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
...aber "heimorgelig" will ich überlesen haben!
#13 RE: Gloria Nobilis Kapella 2.27
Die Ähnlichkeit dürfte mehr als "rein zufällig" sein. Das Gehäuse ist schließlich der größte Kostenfaktor einer Orgel.
Ich bin gespannt, ob die Kapella 227 dann so intoniert ist, dass das Pedal auch ohne Koppeln deutlich zeichnet. Das wäre gegenüber ähnlichen Dispositionen bisheriger Orgelbaureihen ein wesentlicher Fortschritt! Gleiches gilt für das Schwellwerk, das in vergleichbaren Dispositionen manchmal etwas schwächelte.
Ob die vermutlich nur mit sehr viel kreativer Eigenarbeit nachrüstbare Abstrahlung in einem großen Raum wirklich ausreicht, muss sich ebenfalls beweisen. Ich hoffe es sehr, denn das wäre ein Durchbruch.
Die realistische Leistungsfähigkeit einer 4.1 Abstrahlung verbietet dann eigentlich auch eine größere Disposition (vor allem einen HW-16'). Das Problem sind dabei ja vor allem die Orgelspieler, die gern alle Register ziehen...
Spannend wäre dazu auch die Frage, ob man angesichts einer klaren Annäherung von Orgel und Raum nicht ohnehin zu der Erkenntnis kommen wird, dass die Registerzahlen wieder stärker auf die Raumgröße bezogen werden. Letztlich klingt eine Kathedral-Orgel in einer Dorfkirche dann doch irgendwie merkwürdig.
Ich persönlich würde allerdings in dem Fall künftig für ein paar zusätzliche Farbregister (1 1/3', 1' oder gar 1 1/7') plädieren, damit die Instrumente deutlich vielseitiger würden ohne mehr Wumms zu provozieren.
Ich wünsche dieser mutigen Orgelreihe jedenfalls viel Erfolg!
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