"brach eehs"

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30.07.2020 08:18
#16 RE: "brach eehs"
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Administrator

Das Wort von der Standardaussprache ist indes nicht unproblematisch, zumal es verschiedene Dialekte gibt und eine Zentralinstanz zur Festlegung, was Standard ist, fehlt.

Als bei der letzten Rechtschreibreform auch Neuverordnungen kamen, die in direktem Austausch mit dem gesprochenen Wort stehen, kam es in Folge auch zu einer weiteren Diversifizierung des geschriebenen Wortes. Man denke nur an die Regelung, dass das scharfe "ß" nach kurz gesprochenem Vokal zu "ss" wird. Das Wort "Spaß" wird je nach Region einmal mit langem, einmal mit kurzem "a" gesprochen. Aufgrund der neuen Regel haben wir seither zwei gleichberechtigte Schreibvarianten: Spaß und Spass.


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30.07.2020 08:25 (zuletzt bearbeitet: 30.07.2020 08:53)
#17 RE: "brach eehs"
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Moderator

Diese zentrale Instanz gibt es: die "Gesellschaft für die Deutsche Sprache" in Darmstadt. Sie legt - via Duden - auch die hochdeutsche Aussprache fest. Und die lautet nun mal beim Endungs-"g": "ch"
Es heißt also Könich, Ewich, Heilich. Das gilt nicht für Komposita. Es heißt also Königreich.
Hier gibt es einen Prädikanten, den ich ich immer als Erfinder des "scharfen g" tituliere. Er sagt sagt "ewickck" (mit Betonung auf der Endsilbe), wobei beim "ckck" die Membranen der Kanzelmikrophone kurz vor dem Streik stehen.
Unsere Tonregie hat diese Formen der Explosivlaut-Schändung nicht durchgehen lassen. Lediglich bei Interviewgästen ruschte gelegentlich mal ein "ck" durch.

LG
Michael


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30.07.2020 08:29
#18 RE: "brach eehs"
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Administrator

Ich dachte bisher, dass Duden ein kommerzieller Player ist?
Und ist die genannte Gesellschaft nicht ein Verein, der lediglich Empfehlungen aussprechen kann?


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30.07.2020 08:53 (zuletzt bearbeitet: 30.07.2020 10:24)
#19 RE: "brach eehs"
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Moderator

Ja, aber diese Empfehlungen haben normative Kraft. Sie gelten grundsätzlich im Bildungswesen und im behördlichen Schriftverkehr. Das ist zwar nicht klar definiert, funktioniert in der Praxis aber bisher konfliktfrei.

In Frankreich ist das etwas stärker reguliert: Staatlich bestellte Hüterin der Sprache ist die "Académie Française". Ihre Regulative haben Gesetzeskraft. So gibt es ein Gesetz, das Medien (TV, Radio, Zeitungen) den Gebrauch von Anglizismen verbietet, wenn es einen synonymen französischen Begriff gibt, die die Sprache zu überwuchern drohten ("franglais"). So heißt der Computer auf französisch "calculateur". Bei Nichtbeachtung in Sendungen oder Publikationen setzt es empfindliche Geldstrafen ...

LG
Michael


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30.07.2020 10:05
#20 RE: "brach eehs"
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Zitat von SJL im Beitrag #13
Zitat von 2nd_astronaut im Beitrag #9
Ist mir die letzten Wochen aufgefallen und ich musste an diesen Faden denken: Zur Zeit wird corona-bedingt eigentlich überall hier das Agnus Dei gesprochen. Da kommt (zumindest katholischerseits) das Wort "hinweg" vor (Du nimmst hinweg die Sünde der Welt). Ich würde ja einfach "hinwegg" sagen, aber die meisten Pfarrer sagen "hinweehg" ...


Das mit dem "hinweehg" (statt "hinwägg", wie ich es aussprechen würde) ist mir zum ersten Mal in (Nieder-)Bayern aufgefallen. Dort sprechen es anscheinend alle so aus, inklusive der jeweiligen Gemeinde. Es scheint also wohl nicht nur die Marotte eines einzelnen Pfarrers zu sein, sondern eine regionale Besonderheit, warum auch immer.


Hmm, ich würde es nicht als Regionaldialekt ansehen. Ich bin in Franken, da ist eher alles gekürzt, also "ich geb Gas(s), ich will Spass(ß)". Aber als Zugezogener bin ich da keine Referenz ;-)


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30.07.2020 11:13
#21 RE: "brach eehs"
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Freuen wir uns doch über "dialektische" Einfärbungen des Hochdeutschen. Selbst aus Gegenden, die man als Süddeutscher eher einschätzt als des Hochdeutschen mächtig, erlebt man am Fernsehen solches aus Brandenburg, wenn der ARD Wettermoderator Donald Bäcker uns im Morgenmagazin mit "Heeerzlich willkommen" begrüßt...


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30.07.2020 11:41
#22 RE: "brach eehs"
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Administrator

Zitat von Wichernkantor im Beitrag #19
Ja, aber diese Empfehlungen haben normative Kraft. Sie gelten grundsätzlich im Bildungswesen und im behördlichen Schriftverkehr. Das ist zwar nicht klar definiert, funktioniert in der Praxis aber bisher konfliktfrei.

In Frankreich ist das etwas stärker reguliert: Staatlich bestellte Hüterin der Sprache ist die "Académie Française". Ihre Regulative haben Gesetzeskraft. So gibt es ein Gesetz, das Medien (TV, Radio, Zeitungen) den Gebrauch von Anglizismen verbietet, wenn es einen synonymen französischen Begriff gibt, die die Sprache zu überwuchern drohten ("franglais"). So heißt der Computer auf französisch "calculateur". Bei Nichtbeachtung in Sendungen oder Publikationen setzt es empfindliche Geldstrafen ...


Offenbar gilt diese "normative Kraft" für die Schriftlichkeit; die Überwachung des gesprochenen Wortes käme mir doch ein wenig totalitaristisch vor. Was die "Reglementierung" per Duden betrifft, gibt es einen nicht uninteressanten Artikel der "Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft" (also nicht der bereits erwähnten Gesellschaft für deutsche Sprache), worin durchaus kritische Töne angeschlagen werden. Wen's interessiert: https://dgfs.de/de/thema/standard-und-dialekt.html

Die französische Lösung erinnert mich ein bisschen an die Bemühung um Reinhaltung der deutschen Sprache in den Jahren der Hitlerei. Meine alte Deutschlehrerin erzählte, dass in jener unseligen Zeit der Begriff Revolver gegen "Reitpuffer" ausgetauscht wurde oder werden sollte. Ob das nur eine gut erfundene Geschichte war oder ob es der Wahrheit entspricht, kann ich allerdings nicht sagen...

Die heutige Allgegenwart des Englischen (ich bin kein Freund davon...) ist auch nicht unbedingt neu; zu anderen Zeiten, etwa jener Joseph Haydns war es das Italienische, in der Zeit meiner Großmutter war es das Französische, dessen man sich gerne bediente. Heute antiquiert wirkende Vokabel wie Trottoir oder Lavoir (Wienerisch: Die Lawúa) u.Ä. waren Allgemeingut und haben sich in manchen Gegenden bis in unsere Tage gehalten, wenn auch vor allem im Sprachgebrauch der Älteren.


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30.07.2020 15:59
avatar  Guilain
#23 RE: "brach eehs"
Gu

Für die Standardaussprache gibt es das klassische Buch von Theodor Siebs (inzwischen mehrfach bearbeitet): Deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch/Siebs. Hrsg. von Helmut de Boor [u. a.]. 19., umgearb. Auflage. Berlin: De Gruyter 1969; Wiesbaden: VMA 2000. ISBN 3-928127-66-7. - Außerdem: Duden – Das Aussprachewörterbuch. Betonung und Aussprache von über 132.000 Wörtern und Namen. 7., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bearbeitet von Stefan Kleiner und Ralf Knöbl in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion. Berlin: Dudenverlag 2015 (Duden Bd. 6).
Im Unterschied zu den früheren Auflagen von Siebs' Werk (ursprünglicher Titel: Deutsche Bühnenaussprache) wird jetzt zwischen reiner und gemäßigter Hochlautung unterschieden.
Für Lektor/inn/en gibt es zwei ältere Bändchen (von denen auch Priester/innen und Wortgottesdienstleiter/innen profitieren könnten): Rolf Zerfaß: Lektorendienst. 15 Regeln für Lektoren und Vorbeter. 10., durchgesehene Auflage. Trier: Paulinus 2011; Richard Kliem: Der Lektorendienst. Werkbuch. Freiburg/Br. 1990


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30.07.2020 16:26
#24 RE: "brach eehs"
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Moderator

Zitat von Gemshorn im Beitrag #22
Die französische Lösung erinnert mich ein bisschen an die Bemühung um Reinhaltung der deutschen Sprache in den Jahren der Hitlerei. Meine alte Deutschlehrerin erzählte, dass in jener unseligen Zeit der Begriff Revolver gegen "Reitpuffer" ausgetauscht wurde oder werden sollte. Ob das nur eine gut erfundene Geschichte war oder ob es der Wahrheit entspricht, kann ich allerdings nicht sagen...


Im Orgelbau dieser Zeit trieb die Eindeutschung ebenfalls seltsame, heute loriotesk anmutende Blüten: "Staatstragende" Disponenten ließen keine Célestes mehr bauen, sondern Streicherschwebungen. Aus der Unda Maris wurde die Meereswelle, aus der Viola die Bratsche, aus der Gamba die Kniegeige. Die Voix humaine hieß Bärpfeife. Und das Rankett wurde zur urgermanischen Lure. Die Reichsparteitagsorgel von Walcker bekam diese Luren sogar chorisch.
Niemand wagte indes, den Prinzipal in "Führerstimme" umzutaufen, oder die Chamade in "Goebbels-Schnauze" ...

Ich habe herzhaft gelacht (obwohl so viel Ignoranz eigentlich zum Heulen ist), als vor einiger Zeit ein Amateurorganist, der sich auf sein organologisches Viertelswissen sehr viel einbildet, andernorts einem Kollegen vorschlug, eine Zunge "Lure" zu nennen - und selbiger diesen Gedanken begeistert aufgriff ...

LG
Michael


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31.07.2020 08:36
avatar  Jesaiah ( gelöscht )
#25 RE: "brach eehs"
Je
Jesaiah ( gelöscht )

Zitat von Wichernkantor im Beitrag #24
Und das Rankett wurde zur urgermanischen Lure. Die Reichsparteitagsorgel von Walcker bekam diese Luren sogar chorisch.


Alter Verwalter ... wer SOWAS vorschlägt, hat noch nie die Rekonstruktion einer Lure gehört :)


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31.07.2020 08:53
#26 RE: "brach eehs"
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Moderator

Jo, dem fehlen auch noch ganz andere sozialisationsprägende Eindrücke ...

LG
Michael


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