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Musik in amerikanischen Freikirchen
Die Musik rund um den Mormon Tabernacle Choir ist immer auf beachtlich hohem Niveau, ich höre denen gerne zu - wenngleich mich manche Arrangements in ihrer ausgesucht herben Harmonik manchmal zumindest irritieren.
In meiner Jugendzeit schaute ich sonntags zu Mittag gerne Hour Of Power aus der damaligen Crystal Cathedral in Garden Grove, Kalifornien. Die Gottesdienste der Schuller-Gemeinde waren musikalisch auf einem Wahnsinnsniveau, es hat mich jedesmal sehr erbaut. Allein schon die Orgel dort...
Inzwischen - nach dem Tod von Robert Schuller - wurde die Kathedrale ja an die katholische Diözese Orange verkauft und in Christ Cathedral umbenannt und wohl auch umgestaltet. Die Gemeinde feiert nun in Sheperds Grove in einer bedeutend kleineren Kirche unter der Leitung von Bobby Schuller, dem Enkel des legendären Robert Schuller. Der junge Mann ist zwar sehr sympathisch, hat aber weit nicht das Charisma seines Großvaters, auch die Gottesdienste sind merklich seichter geworden.
#2 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
Zitat von Gemshorn im Beitrag #62
In meiner Jugendzeit schaute ich sonntags zu Mittag gerne Hour Of Power aus der damaligen Crystal Cathedral in Garden Grove, Kalifornien. Die Gottesdienste der Schuller-Gemeinde waren musikalisch auf einem Wahnsinnsniveau, es hat mich jedesmal sehr erbaut. Allein schon die Orgel dort...
Als der Laden dort noch richtig brummte, waren vier hauptamtliche Musiker angestellt: Organist, Pianist (gleichzeitig Arrangeur/Komponist), Chorleiter und Orchesterdirigent. Der Chor hatte ein "Rückgrat" aus professionellen Sängern, die fixe Honorare bekamen und auch bei den Bläsern gab es etliche bezahlte Kräfte. Das musikalische Programm der Gottesdienste (auch wärend der Woche) war nur mit einem Probenaufwand zu leisten, der Vollzeit-Kräfte erforderte.
Wie so oft, wenn etwas gut eingespielt ist, kam Sand ins Getriebe, als einige "Diadochen" begannen, allzu heftig auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu tanzen. Außerdem wurden z.T. Gehälter gezahlt, die irgendwann nicht mehr finanzierbar waren. Als das auffiel, war es bereits zu spät und der Pleitegeier setzte zur Punktlandung an. Ein Schema, das sich seit Jahrzehnten in vielen US-Amerikanischen "Mega-Churches" beobachten lässt: Nach dem Hype fährt der überbeschleunigte Karren mit Karacho gegen die Wand ...
LG
Michael
#4 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
Na ja, theologisch vertrat Schuller die amerikanische Spielart des Calvinismus. In einem Satz (sicher unzureichend) ausgedrückt: Als Zeichen der Erwählung schenkt Gott Wohlstand.
Das heißt im Umkehrschluss: Christen sind auf der Erfolgsspur. Wenn sie nicht erfolgreich sind, glauben sie nicht richtig.
In vielen US-Denominationen und ihren deutschen Ablegern herrscht diese Sichtweise.
Das ändert natürlich nichts an Schullers persönlichem Charisma, das man auch den Gründern der Willow-Creek- und der Saddleback-Kirche attestieren kann.
Ein bei uns (gottseidank!) weitgehend irrelevanter Aspekt des religiösen Lebens sind die "Televangelists" - medienwirksame fundamentalistische Prediger mit deutlicher narzisstischer Prägung, die ein "Christentum light" verkünden. ("Spende und Du bist erlöst.") Da gab es und gibt es jede Menge Scharlatanerie.
Sorry, ihr Lieben, jetzt bin ich wirklich total OT - aber mich macht es wütend, seit ich in theologischen Kategorien zu denken gelernt habe, wenn Glaube, Hoffnung, Zuversicht, guter Wille, Engagement, Altruismus missbraucht werden ...
Oder wenn um die wirklichen Kernfragen menschlicher Existenz ein Mäntelchen aus Aktionismus gelegt wird.
LG
Michael
#6 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
Das ist sehr unterschiedlich. Da gibt es durchaus Gemeindenetzwerke, die lokal herausragende diakonische Aktivitäten entfalten. Andere hingegen haben als einziges "Geschäftsziel" die eigene Existenzsicherung - auf zeitweise hohem Level. Swaggart und Bakker bewohnten mit ihren Familien mehrere Villen, hatten luxuriöse Fuhrparks bis hin zum Privatjet. Ihre "Fernsehkirchen" waren reine Gelddruckmaschinen, die irgendwann dann heißliefen ...
Leidtragende waren nicht nur die Opfer der Abzocke, sondern auch die vielen seriösen und engagierten Gemeinden und Denominationen, die es in den USA zuhauf gibt. Als die Riesenskandale krachten (oft ausgelöst durch befremdlichen Umgang der Führergestalten mit dem 6. Gebot), gingen auch ihre Einnahmen (alle Kirchen in den USA sind ausschließlich spendenfinanziert) drastisch zurück.
Ich habe mich über drei Jahrzehnte mit diesen Entwicklungen beschäftigt - immer mit dem Blick auf die vertretene Theologie, die internen gruppendynamischen Prozesse, die daraus resultierenden Machtstrukturen und die gesellschaftliche Relevanz. Mein Blick richtete sich dabei auch auf die deutschen Zweige mancher US-Kirchen, die sich selber "Evangelikale" nennen. Das ist eine sehr differenzierte Landschaft mit ebenso viel Licht wie Schatten ...
Aber jetzt werde ich immer OT-iger ...
Wen's nicht interessiert: Einfach nicht lesen ...
LG
Michael
Ob Hour Of Power auch etwas im Bereich Charity getan hat, weiß ich nicht; vielleicht kann man im Internet aber dazu etwas finden.
Was ich aber weiß: Die Gottesdienste waren im besten Sinne schön, die Predigten feurig, die persönlichen Glaubenszeugnisse bewegend. Unter den Gästen Schullers befanden sich regelmäßig bekannte Persönlichkeiten mit christlichem Background, gleich welcher Konfession. Ich erinnere mich, dass einmal gar Mutter Teresa dort war - ein anderes Mal ein katholischer Bischof, Sportler, Menschen mit Behinderung.
Man kann der Theologie Schullers m.E. zurecht eine Schlagseite im großen Strom des „positiven Denkens“ vorhalten; eines aber waren seine Gottesdienste aber allemal: „uplifting“, wie er gesagt hätte. Die großartige Musik leistete dabei einen wesentlichen Beitrag.
Ich habe auch keinen Überblick, was genau die Mormonen glauben: Ihr Tabernacle Choir ist aber großartig - und mehr interessiert mich eigentlich nicht.
#8 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
Absolut d'accord. Schuller war eine integre Persönlichkeit von großem Charisma. Seine Gottesdienste hatten Stil und die Musik war vom Feinsten. Und auch im sozialdiakonsichen Bereich stellte die Gemeinde Beachtliches auf die Beine. Aber Schuller verlor halt irgendwann den Überbick über die finanziellen Ressourcen und erlag dem Irrglauben, sie generierten sich von selber.
Aber die Liturgie und die Kirchenmusik an jeder Bischofskirche der (seit mehr als 50 Jahren totgesagten) Anglikaner haben ebenso viel Stil - bei oft geringerer finanzieller und personeller Ausstattung. (Ich kann immer wieder nur dafür werben, bei einem London-Besuch den täglichen "Evensong" in St. Pauls auf das Programm zu setzen.)
Auch Bill Hybels von Willow Creek (den ich zweimal interviewt habe während "Willow-Creek-Deutschland"-Kongressen, über die wir seinerzeit berichtet haben), hatte Visionen vom Gemeindeaufbau, die in den USA bahnbrechend waren und zu "Mega-Churches" in den Ballungsräumen mit explodierenden Mitgliederzahlen führten. Er war ein glänzender Organisator, erlag aber der Versuchung des Turbo-Kapitalismus: "Wachstum um jeden Preis". Sein Gemeindebaumodell mit Kongressen, Missionsveranstaltungen und anderen "Events" sollte zum Exportschlager werden und Einkünfte generieren. Und das ging gründlich daneben. Denn seine Zielgruppe waren die gutsituierten Mittelständler (mit aufbrechender Sinnkrise) in der Ödnis US-amerikanischer Vorstädte. In den USA sind das geschätze 50 Mio. Menschen. Bei uns hingegen mochte sowas in Frankfurt-Eschborn halbwegs funktionieren, im Westerwald oder in Mecklenburg musste es an den Rahmenbedingungen scheitern. Auch ein US-Modell, Männer im "besten Alter" enger an eine Kirchengemeinde zu binden, die sog. "Promise Keepers", scheiterten bei uns an den völlig anderen sozio-kulturellen Kontexten. In jeder deutschen Landeskirche gibt es Gremien, die händeringend nach pastoralen Konzepten für eine "Männerarbeit" suchen und dabei bisweilen nach jedem noch so dünnen Strohhalm greifen ...
Die Liste der Misserfolge amerikanischer "Missionsmodelle" für das "christliche Abendland" ließe sich ziemlich weit verlängern. Bei uns bekommen das nur Insider mit. Denn die "Evangelikale Szene" in Deutschland, zu der sich eine knappe Million Menschen rechnen, führt eher eine Nischenexistenz - um nicht zu sagen: Es ist ein Paralleluniversum. Und man blickt von dort durchaus mit einer gewissen "Hörigkeit" auf die Szene in den USA, von der man das "Heil" erwartet - theologisch, methodisch und auch musikalisch. Die ganze "Lobpreis"-Musik kommt aus dieser Szene. An den Universitäten, die diese Kirchen betreiben, kann man Diplome in "Anbetungsmusik" und "Lobpreis" erwerben. Als ich das zum ersten Mal in den Biographien von überseeischen Musikern las, habe ich nicht schlecht gestaunt und mich gefragt, was in solchen Ausbildungsgängen wohl auf dem Lehrplan stehen mag.
In den USA ziehen die religionssoziologischen Crashs beim Zusammenbrechen von "Mega-Churches" weite Kreise. (Biblizistische Fundamentalisten sind ein großes Wählerreservoir für Erzkonservative und Halbdiktatoren vom Kaliber Trump.) Sie führen u.a. zum Entstehen sog. "Wehr- und Festungsgemeinden", deren Credo "jetzt erst recht" lautet.
Es gibt darüber eine Menge Sekundärliteratur, Studien- und Forschungsprojekte von Soziologen und Theologen. Falls es jemanden interessiert, erstelle ich gern eine Literaturliste.
Sorry, dass ich da so weit aushole. Aber mich treibt diese Thematik seit drei Jahrzehnten um, weil sie oft einhergeht mit dem Missbrauch der Bibel und der Amtsautorität. Die schlimmsten Diktaturen waren und sind die, die sich "geistlich" legitimieren. Mehr pervertieren kann man die gute Botschaft vom menschenfreundlichen Erlöser in meinen Augen nicht ...
LG
Michael
Hallo,
Zitat von Wichernkantor im Beitrag #68
Aber jetzt werde ich immer OT-iger ...
Wen's nicht interessiert: Einfach nicht lesen ...
nee, nee, keine Entschuldigung nötig, im Gegenteil: Danke sehr, ich finde das sehr interessant!
Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.
#10 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
#12 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
@ Wichernkantor
... wenn ich dann noch in meiner täglichen Arbeit sehe, wie Mitglieder dieser Kirchen sogar vom "Hartz IV" noch ihren Zehnten abdrücken....
.... auf Dauer zu keiner eigenständigen lebensbejahrenden Entscheidung mehr fähig sind ....
.... und auch das Thema sexueller Mißbrauch ist dort kein Fremdwort....
Orgelkater
(
gelöscht
)
#13 RE:Musik in amerikanischen Freikirchen
Nun, einige Anmerkungen:
es gibt ja die bekannte Story von Frederic Swan, der als Organist an der Crystal Cathedral stets ein Toupet tragen musste, da sich seine Kahlköpfigkeit nicht mit der positiven Botschaft dieser Kirche vereinbaren ließe. Der Druck auf die Mitarbeiter war enorm. Ein Freund, der dort zu einem Vorstellungsgespräch als Organst eingeladen war, berichtete mir einmal von einer auffällig hohen Selbstmordquote unter den Mitarbeitern. Letztendlich war er froh diesen Job nicht bekommen zu haben. Die zahlreichen kurzfristigen Änderungswünsche Schullers waren stets der Horror für alle Musiker, dem die perfekte Show stets ein zentrales Anliegen war. Dies führte auch zu einer Ebene von Schein und Sein, die allerdings - da Vergangenheit - keiner weiteren Erörterung mehr bedarf.
Persönlich hat mir Hour of Power auf ener spirituellen Ebene nie etwas gegeben. Interessant waren die Gottesdienste eigentlich nur durch die für einen Teil der amerikanischen Kirchenmusik typisches Repertoire und den dazu gehörigen Sound. Bei den Gottesdiensten, an denen Vater und Sohn gemeinsam beteiligt waren, war klar ersichtlich, dass es keine Perspektive für ein generationenübergreifendes Unternehmen geben würde.
Wow, das mit dem Toupet habe ich noch nie zuvor gehört.
Bekannt war mir, dass es wohl ein Zerwürfnis zwischen Schuller und Swann gegeben haben soll, weil Schuller angeblich angeordnet habe, dass nur noch Dur gespielt werden dürfe.
Klingt in dieser Kürze irgendwie lächerlich, ich weiß.
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