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Da denkt man immer ...
#1 Da denkt man immer ...
... schon so ziemlich alles erlebt zu haben in seinem Erdenwallen - und dann passiert Folgendes:
Vor zwei Tagen rief ein befreundeter Pfarrer an und bat mich um das Beorgeln einer Trauerfeier. Soweit nix Ungewöhnliches. Das passiert gehäuft, seit ich Ruheständler bin. Ich sagte zu. Denn es wäre ja peinlich für den ganzen Laden, wenn in einem Dorf (dazu in einem, in dem "Kirche" für viele Bewohner noch einen "Sitz im Leben" hat) jemand ohne Musik unter die Erde käme. Schließlich hat's das in Corona-Zeiten allzu oft gegeben. Dann rückte er mit dem kleinen "Haken" heraus. Die Angehörigen wollten, dass ich ein Canticum mit dem floristischen Titel "letzte Rose" intoniere. Ich sagte ihm, dass ich ein Opusculum mit diesem Titel nur aus der Oper "Martha" von Flotow kenne und mir kein geistlicher Bezug bekannt sei. Er gestand, dass der lokale - leider verhinderte - Titulaire das immer spiele. Mein Generalargument - ich besitze von sowas keine Noten und bin auch nicht bereit, sie mir zu kaufen - entkräftete er mit dem Angebot, mir einen Chorsatz als pdf zu schicken.
Meinem üblichen Hinweis, dass wir mit dem Eingehen auf solche Wünsche nun auch die christlichen Trauergottesdienste den "Eventmanagern" überlassen, entgegnete er: "Du hast ja Recht, aber ..." Gegen "aber" war ich machtlos und sagte dennoch zu. Der Chorsatz kam. Zum Glück musste ich nicht viel Hand anlegen, um daraus einen halbwegs brauchbaren Orgelsatz auszuziehen. Zwischenzeitlich hatte ich mich sachkundig gemacht und ausrecherchiert, dass besagtes Stücklein auf den einschlägigen Pages mit "Experten-Ratschlägen" zur würdigen Gestaltung von Trauerfeiern als Top-Vorschlag rangiert.
So erklang besagtes Meisterwerk der "musica insacra" heute in der proppevollen Dorfkirche (der Verstorbene gehörte zu den lokalen Honoratioren), nachdem ich mit dem Plenum der "mittelhessischen Minimallösung" (in der Luxusvariante: Flöte 4' zusätzlich zum Prinzipal 4', im Pedal gar einen veritablen Oktavbaß 8) versucht hatte, feierlich-tragisch zu präludieren.
Die Dinge nahmen ihren Lauf, der Gemeindegesang war kräftig und sogar domestizierbar. Noch während ich postludierte, trat ein Mitarbeiter des Bestattungsinstitutes an den Spieltisch und legte mir diskret einen Umschlag "von der Familie" auf die Orgelbank.
Was ich nicht wusste: In diesem Ort werden die Kasualien nicht über die Kirchengemeinde abgerechnet. Die Leute regeln das auf dem "kleinen Dienstweg".
Der sollte sich als äußerst klein erweisen. Denn als ich den Umschlag daheim öffnete, entfielen ihm 20 (in Worten ZWANZIG) Euronen.
(Nein, jetzt bitte nicht wieder den Spruch, dass C-Musiker viel besser spielen als viele A-Musiker, die dafür laut Entgelt-Tabelle rund 58 Euro kassieren dürfen. Und bitte, bitte, bitte nicht wieder die klassische Neiddebatte, wer wo wofür wieviel bzw. wie wenig kriegt und warum nicht. )
Wenn ich das ordnungsgemäß versteuere und meine Spritkosten abziehe, bleiben mir davon rund 8 Euro netto. Und so schlecht darf man in der Rheinischen Kirche nicht mal mehr einen Kollegen ohne jede Prüfung bezahlen. Natürlich liegt es mir fern, am offenen Grab um das mir zustehende Honorar zu feilschen. Aber ich lerne daraus. In Zukunft werde ich darauf bestehen, dass alle Kasualien - wie in fast allen Gemeinden des Kirchenkreises üblich - über das Kirchenamt abgewickelt werden. Da bekomme ich das, was mir lt. Dienstordnung zusteht.
Ok, es kann ja mal vorkommen, dass man schlecht bezahlt wird. In der Wicherngemeinde hatten wir zweimal hintereinander den Fall, dass die Trauerfamilie bettelarm war. Da haben der Küster und ich selbstverständlich für lau gearbeitet.
Ok, es kann ja mal vorkommen, dass man "aus pastoralen Gründen" irgendeine Sch... spielen muss. Aber wenn beides zusammenkommt ...
Bei Hochzeiten spiele ich ja seit Jahren nur noch, wenn es "kirchliche" Hochzeiten sind und nicht "Events" mit Disco-Feeling. Ich werde diese Konditionen nun auch wohl für Trauerfeiern einfordern müssen, verbunden mit dem Hinweis: Honorar nach amtlichem Satz der Landeskirche plus Kilometergeld ...
LG
Michael
Eine Zumutung.
Nach einer Diskussion über den Stundenlohn völlig anderer Berufsgruppen kontaktierte ich vor wenigen Tagen die Bestattung, die mich üblicherweise anfragt, dass ich meinen Tarif anhebe - und zwar auf das Doppelte des bisherigen Betrags. Kommentar: "Kein Problem. Es gibt welche, die verlangen noch deutlich mehr."
Um irgendwelche "Besoldungsordnungen" kümmere ich mich nicht; das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Bei Extrawünschen wie dem von Michael Genannten käme aus meiner Sicht ein Aufschlag hinzu.
Ich halte auch die immer wieder ins Treffen geführte Argumentation um den Qualifizierungslevel des Organisten für redundant: Jeder versitzt bei solchen Anlässen die gleiche Zeit am Instrument.
#3 RE: Da denkt man immer ...
Jo, es geht mir dabei weniger um die mickrige Bezahlung. Wir haben noch etwas Butter und ein paar Scheiben Käse im Kühlschrank und irgendwo in einem Regal stauben auch noch ein paar Bouteillen vergorenen Traubensaftes vor sich hin.
Bedenklicher finde ich, dass (zumindest) die ev. Kirche wohl gerade dabei ist, die musikalische und damit auch die inhaltliche Gestaltung aus der Hand zu geben - in die Hände von Leuten, die weder von christlicher Theologie noch von Musik noch von Ästhetik etwas verstehen.
Diesen Prozess habe ich vor gut 25 Jahren ja bei den Trauungen schon einmal beobachtet. Und an der Wichernkirche lebte ich da auf einer "Insel der Seligen", weil sich die Pfarrer dort konsequent jeder Form von Firlefanz verweigerten. Die meisten ihrer Amtskollegen taten das nicht - mit bekannten Ergebnissen.
LG
Michael
Hallo Michael,
Ich bekam mal bei einer Hochzeit, bei der es auch ähnliche musikalische Sonderwünsche gab, gönnerhaft einen Umschlag übergeben, der, wie sich später erst herausstellen sollte, sagenhafte 10 DM enthielt. Selbstverständlich war bei der Hochzeit ansonsten alles vom Feinsten....
Viele Grüße
Stephan
#5 RE: Da denkt man immer ...
Jo, da könnte ich auch Schwänke erzählen aus meinen Jungkantorsjahren. Damals gehörte eine beliebte, malerisch gelegene barocke "Hochzeitskapelle" zu meinem Dienstbereich. Dort fanden zwischen Mai und Oktober jeden Samstag vier bis fünf Trauungen statt. Damals (Anfang der 80er) standen mir für einen Dienst 34 Mark zu. Meistens gab's einen Fuffi - aber auch gelegentlich die Reaktion: "Waaaaaas? Soooo viel Geld????" Das waren dann die, die mit vierspänniger Hochzeitskutsche oder Rolls-Royce vorfuhren (800 Mark), anschließend Tauben fliegen ließen (100 Mark), oder die Gebirgsschützen zum Hochzeitssalut bestellt hatten (500 Mark).
Ein Opernsänger, den ich kenne, verlangt bei Beerdigungen EUR 100,- pro dargebotenem Stück.
Als sich eine Familie bei ihm beschwerte, dass dies wohl etwas viel sei, blieb er sehr ruhig und bot an, einen Kollegen zu vermitteln, der in einer genehmeren Preisklasse singt... nicht ohne den Hinweis, dass man jeweils bekomme, was man bezahle. Die Diskussion war gegessen, die Familie orderte statt drei sogar vier Lieder.
Zum Musikwunsch:
Immerhin wurde das vorher bekanntgegeben.
Bei einem Begräbnis, das ich vor kurzem mitgestaltet hab, hieß es: das Halleluja (=den Hallelujaruf vor dem Evangelium) macht der XY (Bekannter des Verstorbenen).
Was sang er? Zwei Strophen von Cohens Hallelujah. Und nicht irgendeinen angepassten Text, sondern den Originaltext...
Merke: nicht alles, wo Halleluja drin vorkommt, ist liturgisch passend. Aber mach das mal den Leuten klar.
Es ist leider eine traurige Tatsache, dass bei Kasualien immer mehr kirchenfremde Personen Wünsche äussern, die mit Religion nicht mehr viel zu tun haben - das schlägt sich dann auch in den Musikwünschen nieder. Da geht es dann manchmal nur noch um Klischee und „schöne Stimmung“.
Wenn die Kirchgemeinde nicht zahlt, dann handle ich immer vorher den Preis aus und ich habe die Erfahrung gemacht, dass häufig selbstverständlich die genannten Preise gezahlt werden (vielleicht in Unkenntnis, was die Tarife der Kirchgemeinde eigentlich wären?). Im Juni spiele ich eine Hochzeit, bei der der 1. Satz aus dem 3. Brandenburgischen gewünscht ist. Die Orgelversion von Jonathan Scott habe ich besorgt und bin seit Wochen am üben, um diese knifflige Transkription in Finger und Füsse zu bekommen. Sowas lasse ich mir dann entsprechend bezahlen. Die Brautleute wünschen es als Ausgangsstück - vielleicht nehme ich es ja auch zu genau und muss eigentlich nur die ersten zwei Seiten halbwegs können, bis sie draussen sind
#10 RE: Da denkt man immer ...
Wenn man bedenkt, dass für den Elektromeister schon hundert Taler fällig sind, wenn der hergefahren kommt und dann fünf Minuten am Sicherungskasten rum fummelt...
Na, ich hoffe ihr habt dann mit euren üppigen Geldbeträgen nicht nur ungesunde Süßigkeiten gekauft, sondern das getan, was gewisse gelbe Teile der Regierung gerne den Geringverdienern empfehlen: Investieren am Kapitalmarkt und dann einfach reich werden -- das kann doch nicht so schwer sein ;)
(Und in der Tat, wenn man so einen Zehner gut anlegt, hat man schon nach wenigen tausend Jahren...)
#11 RE: Da denkt man immer ...
Hier sind Kasualien evangelischerseits (Landeskirche Bayern) normalerweise über die Kirchengemeinde bezahlt, und zwar aktuell (https://www.kirchenmusik-bayern.de/syste...ker_03.2021.pdf) z.B. für C-Musiker mit 26,63€. Also Finger von den Dinger, außer man will mal eine bestimmte Orgel spielen.
Katholischerseits (Bistum Bamberg) kommt es drauf an: Taufen normalerweise über die Gemeinde (Einheitssatz -- also ok, wenn man mit dem kath. Bezahlungsniveau insgesamt leben kann), Trauungen über die Traufamilie. Je nach Verhandlungsgeschick/-härte also variabel, wobei hier der übliche Level niedrig hängt (also nicht ohne Absprache hineingehen, wenn man sich das überhaupt antun will).
#12 RE: Da denkt man immer ...
Zitat von Regal acht im Beitrag #10
Na, ich hoffe ihr habt dann mit euren üppigen Geldbeträgen nicht nur ungesunde Süßigkeiten gekauft, sondern das getan, was gewisse gelbe Teile der Regierung gerne den Geringverdienern empfehlen: Investieren am Kapitalmarkt und dann einfach reich werden -- das kann doch nicht so schwer sein ;)
Ich hab' mich mit dem blauen Schein am Geschachere um Twitter beteiligt. Mal sehen, ob ich den Zuschlag bekomme.
Aber wie ich vordem schrub: Es geht mir weniger um die besch... Bezahlung, sondern in erster Linie um die "Musik" ohne jeden christlichen Bezug.
LG
Michael
#13 RE: Da denkt man immer ...
Zitat von 2nd_astronaut im Beitrag #11
Hier sind Kasualien evangelischerseits (Landeskirche Bayern) normalerweise über die Kirchengemeinde bezahlt, und zwar aktuell z.B. für C-Musiker mit 26,63€.
Interessante Information. Wenn der Bestatter "Junge, komm bald wieder" aus dem Ghettoblaster quetscht, will er dafür einen Fuffi sehen, habe ich mir von Betroffenen erzählen lassen ...
LG
Michael
In meinen Dienstorten bekommen die Hinterbliebenen vom Pfarrer dazu die Ansage, dass mindestens 30,- im Umschlag zu sein haben. Das entspricht etwa dem Entgelt, was die Gemeinde inkl. Fahrtkosten auch zu zahlen hätte. Es klappt gut, ich hab keinen Ärger, und in der Regel ist auch mehr drin.
Vor geraumer Zeit erhielt ich dann einen vergleichsweise fürstlichen Umschlag für genau ein Choralvorspiel und zwei Lieder des Ordinariums. Die Hinterbliebenen hatten zwei blonde Damen mit E-Piano engagiert, die leider von kirchlichem Liedgut keine Ahnung hatten, weshalb zusätzlich ein Organist erforderlich wurde. Es erklang unter anderem die berühmte Rose, zweistimmig, zeilenweise abwechselnd in Terz- und Sextparallelen. Dann noch das Cohen Halleluja, in der Fastenzeit, aus pastoralen Gründen gebilligt. Na ja, den etwas kirchenfernen Trauernden gefiel es und der Umschlag war zum Schmerzensgeld geeignet...
Zu diesem Thema fällt mir immer wieder was ein:
1. Honorarmaßstab ist z.B. mein Kollege Eberhard Höhn, der eine gute handwerkliche Arbeit leistet und sich dafür bezahlen läßt
https://www.organist-bodensee.de/honorar/
2. Junge komm bald wieder, Ostpreußenlied mit Heino und so klingen am Besten von der CD. Finde ich bei der Trauerfeier als persönliches Lied nicht daneben. Der Verstorbene hat in seiner Lebenszeit auch keinen Verschnitt eines Organisten gehört, sondern das Original.
3. Bei Beerdigungen spiele ich grundsätzlich umsonst. Hochzeiten außerhalb des Freundeskreises sind immer teuer. Maßstab Ziffer 1. Hochzeitsevents mache ich nimmer. Kann ich nicht, will ich nicht, muss ich nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel).
4. Die ärmste Kirche ist die katholische Kirche. Nicht frieren habe ich profimäßig gelernt, auch bei 4° an der Orgel. Alles andere kostet und wird auch gezahlt (und wird zu 100 % wieder investiert z.B. in Tagungen des Sakralorgelforums)
Michael
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