Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung

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21.11.2023 14:20
#16 RE: RE:
So

Stimmen, Streckung = Spreizung:

Was bei einer Gitarre ziemlich gut funktioniert, beim Klavier kann man‘s vergessen.

Der Grund: die sogenannte "Inharmonizität" der Klaviersaiten. Das heißt: die Obertöne der Stahlsaiten des Klaviers verhalten sich nicht wie die Obertöne einer idealen Saite. Ihre Frequenzen sind keine ganzzahligen Vielfachen des Grundtons.

Stattdessen ist die Obertonreihe ein wenig auseinandergedrückt, das heißt, die Obertöne sind alle etwas zu hoch. Die Kunst des Klavierstimmens besteht nun darin, diesen Effekt soweit wie möglich auszugleichen. Doch was heißt das in der Praxis? Die tiefen Töne des Klaviers werden etwas abgesenkt, also etwas zu tief gestimmt, die höheren Töne etwas zu hoch. Man spricht von einer "Spreizung" der Stimmkurve.


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21.11.2023 14:24
#17 RE: RE:
So

Das Maß der Streckung hängt von der Länge und der Beschaffenheit der Saiten ab: Je steifer eine Saite ist, umso mehr muss die Oktave gestreckt werden. Bei relativ langen und deshalb weniger dicken Basssaiten ist weniger Streckung erforderlich.

Bei einem langen Konzertflügel streckt man die Oktaven damit wesentlich weniger als bei einem niedrigen Pianino.

(Bei einem Cembalo mit seinen dünnen Saiten werden die Oktaven überhaupt nicht gestreckt.)


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21.11.2023 14:26
#18 RE: RE:
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Administrator

Entschuldigung, ich dachte es geht hier um die Orgel?


Auf Orgelsuche.

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21.11.2023 15:33
avatar  SJL
#19 RE: RE:
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SJL

Zusätzlich zu Gemshorns Frage würde mich interessieren, ob das Thema bei einem digitalen Instrument überhaupt relevant ist (mal naiverweise davon ausgehend, dass solche physikalische Stör-Phänomene in der idealen, digitalen Welt doch eigentlich gar nicht existieren dürften)?

VG
Stephan


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21.11.2023 16:41
#20 RE: RE:
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...und was ist mit den Mixturen, deren Obertonpfeifen ja rein gestimmt werden müssen?


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21.11.2023 17:21 (zuletzt bearbeitet: 21.11.2023 17:23)
#21 RE: RE:
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Jetzt grätsche ich wieder in die Unterhaltung rein, möchte aber einen weiteren (Zwischen-)Stand geben.
Tonkanzellenorgel von 1872, die (für den Versuch "leider") auch noch recht gut gestimmt ist.

Unterschied zur Taschenlade:

1. Durch die Verbindung der Luftströme durch die Kanzelle werden auch die höheren Pfeifen eines Tones angeglichen:
2. Bei gleichhohen Tönen (im Test die 8-Füßer) gleichen sich die Töne unterhalb von etwa 5 Cent an.
3. Bei ungleichhohen Tönen (z.B. 8 und 4 Fuß) gleichen sich die Töne unterhalb von etwa 2 Cent an.
4. Ansonsten gilt das Gleiche wie bei der Taschenladenorgel.

Aufgrund von Zeitmangel hatte ich jetzt die Aliquoten nicht getestet, gehe aber davon aus, daß sie sich auch ein wenig angleichen werden. Da dieser Test sehr einfach zu bewerkstelligen ist und in erster Linie ein gutes Gehör voraussetzt, kann jeder an seiner Orgel diese Tests nachprüfen. Es sollte sich entsprechend meiner Beobachtungen verhalten, die mir auch gestern ein Orgelbauer bestätigt hat. (Der Vollständigkeit halber: Auch diese Orgel wies keine Spreizung auf. Die Stimmung ist "Wegscheider")

In Bezug auf die Ensemble-Funktion und Harmonic Noise ist da auf jeden Fall noch Luft für Verbesserungen, um sich der Realität mehr anzunähern. Bei Physis ist Harmonic Noise zu gleichmäßig, d.h. alle Töne eines Registers sind bei Veränderung des Wertes gleichermaßen betroffen, wobei der hörbare Effekt von tief nach hoch linear ansteigt. Das hat mit der ungleichmäßigen Unsauberkeit einer PO natürlich nichts gemein. Und beim Ensembleeffekt könnte man auch noch Automatismen einbauen, die einen Teil der Programmierarbeit erleichtern würde.


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22.11.2023 07:53
#22 RE: RE:
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Je mehr die digitale Welt versucht, das Original nachzuahmen, um so mehr ist die digitale Welt auch gezwungen, die negativen Begleiterscheinungen mit abzubilden.
Manche Digitalklaviere bieten die Möglichkeit der Spreizung an, andere wiederum nicht.

Die Obertöne nimmt der Laie im Regelfall nicht aktiv wahr. Man hört, wenn der Organist die falsche Taste drückt oder ein falsches Register reinknallt oder stärkere Verstimmungen der Zungen vorliegen. Die Obertöne sind Gefühlssache. Ich habe erst jetzt, nachdem ich mir gezielt die (Un-)Sauberkeit der einzelnen Töne der verschiedenen Register angehört habe, festgestellt, wie ungleichmäßig doch die Register älterer Orgeln in sich sind. Das digital abzubilden wird z.B. die Hausaufgabe von Physis Plus sein.

Meine Gedanken dazu - es sind dabei jetzt laienhafte Überlegungen, die weder den Anspruch der Richtigkeit noch der Vollständigkeit erheben! An diesem Punkt müsste ein Orgelbauer antworten:
Nun zur Wirkung an der Orgel. Wenn wir von der Tonkanzellenlade ausgehen, bei der sich die Pfeifen auf einer Kanzelle innerhalb eines sehr engen Rahmens angleichen
(weiter oben sprach ich von einem Näherungswert in Cent. Dieser ist natürlich so nicht ganz richtig, da 2 Cent in der Kontraoktave in Bezug auf den Frequenzunterschied nichts, aber in der viergestrichenen Oktave eine Menge Holz ist und so die Abweichung in der Tonhöhe betrachtet werden muß)
dann würde eine leichte Abweichung der Tonhöhe der Pfeifen, um eventuell dem Obertonspektrum entgegenzukommen, nichts bringen, weil sich die Pfeifen beim Erklingen ja wieder angleichen würden, (sofern diese auf der entsprechenden Entfernung sich noch beeinflussen können). Weiter stellt sich mir aber auch die Frage, inwieweit unharmonische Obertöne auftreten (Rohrflöte mal außen vor). Wenn es die nicht gibt, braucht man sich doch auch keine Gedanken machen und je höher der Grundton ist, um so weniger Obertöne nehmen wir noch wahr. Weitaus gewichtiger halte ich die Geräuschanteile, wenn also eine Pfeife nicht absolut sauber arbeitet, kommen durch Fehler Geräuschanteile mit rein, die sich auch auf die Obertöne auswirken. So kann der Ton z.B. zittern... kurzum: Der Orgelbauer stimmt die Pfeifen so hin, daß die Grundtöne sauber klingen und die Obertöne sind für den Charakter zuständig. Und wenn da was klanglich nicht passt, wird im Rahmen des Möglichen intoniert, so daß es wohlgefällig klingt.


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22.11.2023 16:35
#23 RE: RE:
cl

Es gibt keinen "Flügel" mit 100% Normstimmung. Ein sauber gestimmter Steinway klingt fürchterlich. Habe ich in einem Stimmworkshop mal life erleben dürfen.
Wie eine Spreizung auf der Orgel (nach Skinner) in einer eigenen Individualstimmtemperatur anzulegen ist (auf DO) ist in der Tabelle von Peter W. nachzulesen.
Das kann jeder ausprobieren und anschließend für sich ggfs. auch wieder verwerfen. Jeder Forianer, der meine Prestige 80 (mit Erfahrung aus dem PO-Bereich) unter den Fingern hatte, hat den Klangerfolg bislang bestätigt. Es entsteht eine größere Klangfülle. Die zusätzlichen Ippensteinaktionen kamen bei mir später oben drauf (Dreck in die Einzelregisterstimmung).

Liebe Grüße vom Clemens

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22.11.2023 21:52 (zuletzt bearbeitet: 22.11.2023 21:53)
avatar  SJL
#24 RE: RE:
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SJL

Ich habe noch nicht verstanden, welche Relevanz ein durch physikalische Unzulänglichkeiten einer Klaviersaite erzeugtes Klangphänomen eines Flügels auf einen digital erzeugten Orgelton hat. Oder werden die Fehltöne quasi künstlich simuliert, damit man sie anschließend durch Spreizung wieder rausdrehen muss? Klingt irgendwie schräg...


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22.11.2023 23:01
#25 RE: RE:
cl

"klingt irgendwie schräg" .... bitte lies in den Tiefen die Beiträge von Peter W. und Laurie nach. Dort haben wir uns seinerzeit über Stimmspreizungen auf der DO-Orgel ausgetauscht. ... Auslöser war seinerzeit das Stimmsystem von Skinner mit Aufnahmen von Virgil Fox. Wenn es Dich fasziniert, hilft: gespreiztes Stimmsystem anlegen und hören. Das Anlegen einer Temperatur nach Tabelle in Cent ist ruckzuck gemacht.

Liebe Grüße vom Clemens

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23.11.2023 08:07
#26 RE: RE:
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Administrator

Wie zeitintensiv ist das Anlegen eines solchen Stimmsystems?
Ich muss gestehen: Seit geraumer Zeit scheue ich selbst vor dem Einspielen einer neuen Intonation zurück, weil es viel Zeit frisst und mich die "Kabelverlegung" quer durch die Wohnung ziemlich nervt. Ist die Anlage einer Stimmung nervenschonender?


Auf Orgelsuche.

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23.11.2023 08:21
#27 RE: RE:
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Intonationsmeister

Eine neue Temperierung anlegen geht ja ruckzuck, wie Clemens schon sagte und wie du letztens in Stockerau gesehen hattest. Eine komplette Stimmung mit Stimmspreizung heißt arbeiten wie der Orgelbauer. Jeder Einzelton eines Registers muss gestimmt werden. Da muss man sich richtig Zeit nehmen.
LG Frank

Gloria Concerto 355cc

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23.11.2023 09:57
#28 RE: RE:
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Um es mal zeitlich zu fassen:
1. Neue Temperatur als Custom im Menü TUNING einzupflegen 10-15 Minuten (Set speichern)
2. Spreizung im Editor erstellen, abspeichern und auf jedes Register kopieren 45 - 60 Minuten
3. Einzeltonanpassung je nach Aufwand und Ziel
(Ich hatte nur die 8- und 4-Füßer angeglichen) 3 - 4 Stunden

Das Einhalten der Reihenfolge der Punkte 2 und 3 ist wichtig, da das eine in das andere greift.
Würde ich jetzt im Nachhinein die Spreizung auf die fertige Einzeltonanpassung draufbügeln, wäre die Arbeit großteils für die Katz gewesen.

Wenn Du, lieber Klaus, aber nicht so viel Wert auf ein "Hinziehen" der Töne legst (kommt ja auch darauf an, mit welchem Ensembleeffekt Du arbeitest), dann kannst Du Dir den zeitintensivsten Punkt 3 schenken und die Spreizung mal fix ausprobieren. Aber vergiß nicht, vorher die STY zu speichern und die Spreizung in einer neuen STY zu speichern.


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23.11.2023 10:52 (zuletzt bearbeitet: 23.11.2023 10:53)
#29 RE: RE:
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Administrator

Verwirrung komplett.
Frank sagt, die Spreizung ist intensive (Orgelbauer-)Arbeit mit Einzeltonstimmung in allen Registern; du sagst, es dauert 45-50 Minuten.

Leider erinnere ich mich an die Details deiner Arbeit in Stockerau nicht, ich war eher auf das klangliche Ergebnis/Erlebnis fokussiert, nicht auf die dafür nötigen Arbeitschritte. Ich werde in einer ruhigen Stunde einmal einen Blick in das Handbuch werfen (und dabei hoffentlich nicht sogleich das Handtuch werfen... was habe ich heute mit diesen ähnlich klingen Worten...).


Auf Orgelsuche.

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23.11.2023 11:07
#30 RE: RE:
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Frank und ich sind da schon einer Meinung. Ich habe nur den Arbeitsvorgang nochmal in Einzelschritte zerlegt.
Wichtig ist die Reihenfolge, um Zeit zu sparen. Und es kommt ja wirklich darauf an, ob Du nur die Spreizung einbauen oder wirklich eine komplette Einzeltonintonation vornehmen willst.


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