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Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
#1 Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Sodalla, heute habe ich mich mal in die kalte Kirche gewagt:
Eule 1909, 28 Register, Taschenlade, mit Schwellwerk. Messung mittels Handyapp und Gehör.
1. Pfeifen gleicher Tonhöhe, die nicht zu stark verstimmt sind und nahe beieinander stehen, gleichen sich an. Vgl. dazu Schwebetonregister. Also Prinzipal 8, Gambe 8 und Hohlflöte 8 gleichen sich an.
2. Pfeifen ungleicher Tonhöhe ziehen sich NICHT an, weder im selben Register noch Register untereinander.
Also der Octave 4 ist es egal, was das Prinzipal 8 macht. Ebenso der Quinte 3, der Superoktave 2 usw...
3. Sind die Pfeifen gleicher Tonhöhe räumlich getrennt, so gleichen sie sich NICHT an.
Dem Geigenprinzipal 8 im Schwellwerk ist es egal, was das Prinzipal 8 des Hauptwerks macht.
4. Zungenregistern ist es meiner Erfahrung nach egal, was der Rest macht. Sie gleichen sich NICHT an.
Weiter: Eine Spreizung konnte ich nicht feststellen.
Ich habe aufgrund dieser Erkenntnisse meine Orgel heute komplett umintoniert.
https://youtu.be/9chMDsvUBLs?si=g6fwGkJZfwqDNX9U
Wer gute Boxen hat, kann das Video mit Marche d Athalie 2 vergleichen.
Viele Grüße
Ippenstein
#2 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Das ist Einsatz, lieber Andreas!
Dass bei dunkleren Registern die Einzelpfeifenklänge nicht mehr so stark hervorstechen (ich nehme, du hast sowas intendiert), gefällt mir.
(Oder lags an meinem gerade verwendeten Kopfhörer, der eher warm und nicht so analytisch abgestimmt ist?)
#3 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Die dunklen Register werden im Regelfall überdeckt. Auch bei meiner PO sorgt die Hohlflöte nur noch für etwas mehr Dicke, wenn Prinzipal und Gamba gezogen sind.
Zur Intonation:
Ursprünglich hatte ich Ensemble 2. Nachdem ich meine PO analysiert hatte, habe ich folgendes gemacht:
1. Ensemble auf Stufe 4. Dadurch wird die Streuung sowohl der einzelnen Pfeifen als auch innerhalb der Mixturen größer. Die Mixturen klingen daher näher meiner PO.
Dazu noch alle Harm. Noise auf -2.
2. Im Hauptwerk alle 8-Füßer manuell in der Tonhöhe an das Prinzipal 8 angeglichen.
3. Danach Prinzipal 8 und Oktave 4 abgehört. Nur sehr starke Verstimmungen ein wenig gemildert.
4. Flöte 4 mit Oktave 4 in der Tonhöhe abgeglichen.
5. Alle weiteren hohen Register auf starke Verstimmungen abgehört.
6. Zungenregister "unsauber" mit Prinzipal 8 abgeglichen. Es kommt hierbei darauf an, wie lange die Zungenstimmung schon her ist, ob man dann sehr genau oder etwas laxer abstimmt....
7. Mit jedem anderen Werk die Prozedur wiederholt. Dabei ist die Basis das Prinzipal 8 des jeweiligen Werkes.
Was passiert nun bei der Physis-Orgel?
1. Die 8-Füßer sind in sich gemäß Ensemble 4 unsauber gestimmt (entspricht PO), aber sind zueinander stimmig (entspricht PO).
2. Die 4-Füßer weichen in der Stimmung von den 8-Füßlern ab (entspricht PO), sind aber zueinander stimmig (entspricht PO).
3. Die hohen Register sind ebenfalls jedes für sich auf seine Weise in sich verstimmt (entspricht PO).
4. Die Zungen werden in ihrer stimmlichen Sauberkeit dahingehend simuliert, wie lange die letzte Stimmung her ist. (entspricht PO).
5. Jedes Teilwerk ist anders verstimmt (entspricht PO), klingt also in sich relativ sauber, aber beim Koppeln der Teilwerke treten dann die Schwebungen auf, die durch die Verschiedenartigkeit entstehen (entspricht PO).
6. Die Mixturen sind mehr oder weniger unsauber (entspricht PO).
Das Einzeltuning ist ein Haufen Arbeit, aber die Orgel gewinnt noch mal eine ordentliche Portion Charakter und Authentizität.
Anmerkung zu dem Angleichen der Töne der PO: In der Spielpraxis fällt es bei der DO nicht auf, daß die Töne bereits manuell hingezogen sind. Spielt man die 8-Füßer in Kombination, klingt es wie bei der PO. Spielt man einzelne oder mehrere Register mit höheren Registern, fällt einem das nicht auf, ob jetzt der eine 8-Fuß ein wenig höher oder tiefer als der andere wäre, wenn man ihn alleine mit einem hohen Register spielt. Ich glaube damit die Simulation der Verstimmung einer PO mit den Möglichkeiten des Editors bestmöglich abgebildet zu haben.
#4 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Das klingt ja richtig gut :-).
Jetzt könnte man noch mit globaler Stimmungsspreizung (Steinway - Skinner) hantieren.
In meinem Archiv fand ich von Peter W. dazu diese aufschlußreiche Datei:
- Frequenztabelle Peter W .pdf
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@Ippenstein
Klasse!!
Du bist diese Sache fachmännisch und mit großem Aufwand angegangen und hast die ganze Bandbreite des PO-Klangverhaltens versucht, auf Physis (minus ) umzusetzen!
Und das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen!
Nr. 3 ist auch für meine "alten Ohren" der PO noch ein ganzes Stück näher gekommen!
Was ich vergleichsweise nur dilettantisch zum Ausdruck bringen kann:
Das Problem des zu starken Heraushören der Einzelpfeifen bei vollerer Registrierung und den oftmals zu wenig eingesetzten, stärkeren "Ensemble"-Effekt.
Dies läßt eine DO oftmals zu "gerade" und damit künstlich klingen.
Toll, was Du da gezaubert hast!
#6 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Danke Dir vielmals.
Mit Ensemble 4 habe ich meine PO in ihrem Zustand nachgebildet. Das Herausstechen mancher Einzeltöne ist bei diesem Orgeltyp aber keine Seltenheit, da der Klang nicht mehr dunkel ist. Zudem musste ich ja dem Ensembleeffekt gegenwirken und gleichhohe Register einem Hauptregister angleichen.
Gerade habe ich einen GD auf einer neobarocken PO gespielt, die recht gut gestimmt war. Da wäre der Ensembleeffekt 4 im Vergleich zu kräftig.
Interessant waren folgende Aspekte (Tonkanzellenlade) :
1. Prinzipal 8 und Rohrflöte 8 waren im Diskantbereich bei einer Taste um 6 Cent auseinander, bei einer anderen meinte ich auch den Unterschied von 2 Cent zu hören, wobei da die Pfeife unruhig gewesen war. Findet am Ende keine Angleichung statt? Bzw ab welchem Punkt liegen die Töne zu weit auseinander, so daß sie sich nicht mehr angleichen?
2. Ebenso konnte ich Töne bei Prinzipal 8 und Oktave 4 hören, die nicht stimmig waren.
Zur Spreizung: Bei beiden Orgeln konnte ich keine Spreizung feststellen. Wenn ich mir die Tabelle anschaue und würde bei den hohen Registern bis zu 8 Cent spreizen, würde ein furchtbares Tremolo entstehen, aber kein Wohlklang.
Ich werde mir noch eine Schleifladenorgel
zu Gemüte führen, die nicht frisch gestimmt ist und dann berichten. Die obige Orgel war noch zu frisch gestimmt, so daß ich da zu wenig Messpunkte habe.
Viele Grüße
Andreas
#7 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Die beim Klavierstimmen entscheidend wichtige Spreizung (ohne die klingt ein Klavier/Flügel tot) kommt in dem behandelten Artikel nicht vor.
Im Beitrag geht es darum, dass die Strömungsverhältnisse der Pfeifen, die relativ nahe beieinander stehen, die physikalisch klar begründete Tendenz haben, während des Schwingungsvorgangs "rein zu ziehen".
Das ist ein dynamisches Geschehen, das sich in jeder Millisekunde entsprechend den gerade gespielten Tönen und Akkorden , den Intervallen und der Entfernung der beteiligten Pfeifen buchstäblich millionenfach ändert.
Da sich die Verhältnisse nie gleich wiederholen, liegt darin die ungeheure Lebendigkeit eines Naturinstrumentes.
#8 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Die Spreizung bezog sich auf den Beitrag von Clemens.
Nachdem ich also festgestellt hatte, daß zumindest schon mal bei der Taschenladenorgel ein Angleichen der Pfeifen nur innerhalb der gleichen Tonhöhe stattfindet und sich weder die Pfeifen der Nachbartöne noch die Pfeifen der selben Taste aber eben in anderen Tonlagen beeinflussen lassen, ist da auch nichts mit millionenfacher Änderung. Und das Angleichen ebendieser Pfeifen ist immer der gleiche Vorgang mit dem gleichen Ergebnis, weil sich im Großen und Ganzen nichts ändert. Es bliebe ja nur die Windstößigkeit übrig, die der romantische Orgelbau aber schon sehr gut im Griff hatte. Trotzdem klingt die Orgel lebendig. Und weshalb? Weil eben die Verstimmungen in den verschiedenen Tonhöhen und den Mixturen vorhanden sind. Weil die Pfeifen nicht einen kerzengeraden Ton von sich geben, sondern aufgrund ihres Alters ungleichmäßig arbeiten und zum Ton auch Nebengeräusche produzieren (die man mit Harm. Noise in einem gewissen Sinne imitieren kann). Das heißt, die altersbedingten Unzulänglichkeiten geben dieser Orgel Charakter.
Dagegen klingt die neobarocke gut gestimmte Orgel geradezu steril - fehlende Streicher unterstützen noch diesen allzu sauberen Klang. Sie ist eigentlich perfekt, aber das raubt ihr den lieblichen Charakter.
#9 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Mit der globalen Stimmspreizung (wie auch beim Flügel) kriegen auch die Orgeln nochmals einen Schub an Volumen in der Klangbreite. Deswegen klingt ein Steinway nach Steinway und eine Skinner wie Skinner in besten Tagen :-).
Erst ausprobieren, dann mäkeln, vorausgesetzt der Stimmende hat verstanden, was er da an der Globalen Stimmung macht. Ggfs. eine eigene gespreizte Stimmtemperatur anlegen
#10 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Hab mir die PDF nochmal angesehen und verstehe jetzt, was er will. Ok, nicht mehr so schlimm mit der Verstimmung, aber ich brauche erst mal eine Verschnaufpause.
Zum Nachmachen in Kombination mit meinen obigen Intonationsschema.
Zuerst die Spreizung bei den Prinzipalen 8 und Oktaven 4 einfügen, bevor man die anderen Register angleicht. Danach alle restlichen Register mit derselben Spreizung ausstatten.
#11 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Ich würde hier eine komplette, global für die ganze Orgel eine neue Stimmtemperatur anlegen, als auf jedes Register manuell einzugreifen. Deswegen ist die Tabelle ja auch in Cent angegeben. Um den Effekt zu überprüfen ist das ein relativ überschaubarer Zeitaufwand. Dein neues Informationsschema käme dann später noch oben drauf!
#13 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
Lieber Clemens,
die Abläufe gehen bei mir so:
1. Die Stimmtemperatur kann jederzeit geändert werden. Da sie global eingreift, ändert sich eine Ebene höher bei meinen manuellen Einstellungen nichts, was dann einer Nachkorrektur bedürfte.
2. Durch Ensemble 4 verändert sich die Tonhöhe der Einzeltöne in Abhängigkeit der vorher eingestellten Stimmtemperatur.
3. Ich nehme ein Register, stelle z.B. Kirnberger ein und lasse mir durch Ensemble 4 die Stimmung automatisch durchschütteln. Dann stelle ich manuell die Spreizung ein.
4. Nun ziehe ich manuell die anderen Register, die in der gleichen Tonhöhe (Angleichung) klingen sollen, zu dem definierten Register hin. Ob ich dabei im Vorfeld die Spreizung noch einzeichne oder nicht, ist relativ egal, da ich sowieso jeden Ton hinziehen muß.
Wenn ich nun statt Kirnberger z.B. Werkmeister einstelle, verändert das global alle Werte. Durch die vorgenommenen Änderungen und Korrekturen muß aber nicht nachkorrigiert werden, da eben alle Register gleichermaßen betroffen sind.
Viele Grüße
Andreas
#14 RE:Intonation, Stimmtemperatur, Spreizung
@ Gemshorn / Ippenstein
Bei der normalen Stimmung können die Spreizungswerte gemäß Stimmtabelle eingepflegt werden. Die Spreizung ist für alte Stimmungen nicht gut geeignet, weil sie von der Normalstimmung eines Steinwayflügels/Skinnerorgel ausgeht und diese voraussetzt. Deswegen wäre das Anlegen eines Individualstimmungssystems das gespreizt ist die kluge Voraussetzung. Evtl. hast Du ja noch die Beiträge von Peter W. und Laurie zum Thema gespreizte Stimmung. Da war das ja richtig gut erklärt.
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