Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Karl Richter
#1 Karl Richter
Heute vor 98 Jahren wurde er geboren. ( Er starb schon mit 54 Jahren an Herzversagen)
Seine Platten waren für mich zunächst prägend und "heilig".
Später empfand ich wie Harnoncourt
https://www.nytimes.com/2021/01/21/arts/...bach-music.html ,
der polemisierte:
„Das hat nichts mit Bach und nichts mit dem Evangelium zu tun“, schrieb der 2016 verstorbene Harnoncourt. „Kaum jemand hat den Mut zuzugeben, dass das nichts ist, was er hier hört, nichts Gutes und nichts Schönes und nichts Bewegendes, einfach nur.“ etwas völlig Sinnloses.“
Wie ging es euch mit seiner Art, vor allem Bach und Händel zu spielen.....und seiner Interpretationsweise der großen Werke?
😉
#2 RE: Karl Richter
Bis heute gehört er für mich zu den Interpreten, denen es gelungen ist, die musikalische Rhetorik in Bachs Choralvorspielen überzeugend herauszuarbeiten. Zweifellos war er (neben Walcha) der letzte Repräsentant der Leipziger Schule, d.h. aus heutiger Sicht Vertreter einer abgeschlossenen - um nicht zu sagen: untergegangenen - Schule.
In meiner Plattensammlung stehen die Aufnahmen für die Dt. Grammophon aus der Jaegersborg-Kirche in Kopenhagen. Zum Glück habe ich sie bereits vor Jahren digitalisiert, denn sie sind ziemlich abgenudelt. Ich habe Richters Spiel immer als (bisweilen zu) ruhig und abgeklärt wahrgenommen - immer im Vergleich zu den "jungen Wilden" der "neuen Sachlichkeit", die nach Geschwindigkeitsrekorden zu streben schienen. Die technische Brillanz und Rasanz einer Marie-Claire Alain hat mich fasziniert. Richter "weihevolles" Musizieren habe ich verehrt.
Natürlich spielt für mich auch die Tragik einer hin- und hergerissenen, ja zerrissenen Persönlichkeit eine Rolle in der Beurteilung seines Schaffens. Man kann sein künstlerisches Schaffen durchaus als "Flucht" in ein Paralleluniversum deuten, in dem er sich als unangefochtener König fühlen konnte.
Ich höre mir bis heute gern seine Kantaten-Einspielungen an. Es gab ja bereits Ende der 80er die CD-Edition eines kompletten Jahrganges. Da ich etliche Gesamtaufnahmen anderer (vor allem jüngerer) Interpreten im Fundus habe, höre ich mir seine Aufnahmen vor allem im synauralen Vergleich an. Und dabei kommen sie nicht schlecht weg. Ich lese generell die Partitur mit und entdecke in seinen Aufnahmen Details, die man bei schnelleren Tempi leicht "überhört".
Auf jeden Fall war Richter (neben Walcha) der Mann, dessen Spiel mich in den Kosmos "Bach" eingeführt hat. Für meine musikalische Biographie und die Entwicklung meines Bach-Verständnisse spielt er eine wichtige Rolle.
Zum Thema "Richter vs. Harnoncourt": Nach meiner Beobachtung und Einschätzung von beiden Seiten eine typische Neiddebatte. Sie waren Antipoden.
LG
Michael
Karl Richters Orgelspiel kongenial mit Peter Schreier als Solisten mit Liedern aus dem Schemelli-Gesangbuch haben mir als Jugendlichen Gänsehautmomente beschert und gewiss dazu beigetragen mich von "Orgel" begeistern zu lassen.
LG Bernd
#4 RE: Karl Richter
Die 60er Jahre, in denen die legendären Aufnahmen für den BR und die Dt. Grammophon entstanden, waren auch eine große Zeit bedeutender Solistinnen und Solisten im Oratorienfach. Neben Schreier wären da unbedingt auch Elly Ameling, Edith Mathis, Helen Donath (Sopran), Hertha Töpper (Alt), der ebenfalls früh verstorbene Fritz Wunderlich (Tenor) und der Bassist Franz Crass zu nennen.
Ein anderer großer Bachdirigent, Helmuth Rilling, antwortete mir in einem Interview zu seinem 75. Geburtstag auf die Frage, ob er noch neue Aufnahmen der Bach-Kantaten plane: "Heute habe ich nicht mehr die Solisten, die mir als Idealbesetzung vorschweben." Richter konnte wohl noch aus dem Vollen schöpfen.
LG
Michael
Vielen Dank zu Deinen Ausführungen zu Walcha und Richter, die auch mich in meiner Jugend stark geprägt hatten.
Auch Deine Ausführungen zu den aufgezählten SängerInnen kann ich voll und ganz unterstreichen.
Mit Rillings Wirken bin ich allerdings nich richtig warm geworden - da bog ich dann wohl eher "links" ab Richtung historische Aufführungspraxis, also Richto Harnocourt etc. . . .
#6 RE: Karl Richter
Na ja, abgesehen von der Verwendung moderner Instrumente ließ Rilling sehr straff im Metrum spielen. Als ich ihn im selben Interview fragte, was er "heute" (d.h. 2008) anders machen würde als in den 80ern, als die Gesamteinspielung der Kantaten entstanden war, antwortete er: "Ich würde das Tänzerische mehr betonen."
LG
Michael
Michael schrieb in #2 zu Richter:
"Zweifellos war er (neben Walcha) der letzte Repräsentant der Leipziger Schule, d.h. aus heutiger Sicht Vertreter einer abgeschlossenen - um nicht zu sagen: untergegangenen - Schule."
Da bin ich doch etwas erschrocken ob der "untergegangenen Schule".
Nicht nur deshalb, weil meine beiden Orgellehrer (vor und während des Studiums) Straubeschüler waren, sondern besonders wegen der ach so verkürzten Beurteilung dieser "Leipziger Schule". Mir ist bewußt, lieber Michael, dass ich Dir nicht sagen brauch, wie bedeutsam Straubes Wirken zu seiner Zeit war und wie dies bis heute nachwirkt. Es ist ja der Gang der Musikentwicklung (von Schüler zu Schüler), dass sich die Spreu vom Weizen trennt und der "Weizen" als Basis für Neues dient. - Hier sei daran erinnert, dass Walcha kein direkter Straubeschüler, sondern schon Schüler von Ramin war. - Wie weit in dieses Trennungs-Geschehen Mode, Geschmack und sonstiges Unkünstlerische eingreifen , lässt sich bestimmt zu keiner Zeit sicher sagen.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber doch noch ein kleines Wörtlein zu Harnoncourt beitragen:
Es muss zu Beginn der Achtziger gewesen sein, dass ich im Radio spätabends Barockmusik hörte, die mich ihrer Interpretation wegen ernorm begeisterte. Meine Frau, die schon schlief, machte ich sofort wach, damit sie mit mir diese Begeisterung teilen konnte. Wohl einige Monate später konnte ich von ihm dirigiert eine Bachkantate hören. Ich bin noch heute entsetzt, wie er den Schlußchoral gegen jegliche bewährte gesangliche Auffassung und sinnvolle Textbehandlung singen ließ. Manchmal trennen sich Spreu und Weizen halt doch nicht.
Orgelditi
#8 RE: Karl Richter
Zu der Interpretation von Orgelwerken durch Richter kann ich mangels Ausbildung und fehlendem Überblick nichts sagen.
Doch ich bin extremer Liebhaber u.a. von BACH-Kantaten und Chor/Orchesterwerken und besitze fast die vollständigen Reihen von Gardiner, Koopman, Suzuki (BC Japan), Herreweghe, Rilling, Richter....(und einige weitere mit Solosängerbesetzungen auch der Chöre.)
Es gibt für mich einige, allerdings nicht so zahlreiche Passagen, bei denen ich das weihevolle Musizieren von Richter allen anderen vorziehe.
Gardiner hat Momente des Jubels und der Verzögerung und Vertiefung bei Schmerz und Sünde, bei denen es mich seelisch fast zerreißt.
(An bestimmten Stellen breche ich unweigerlich und tatsächlich regelmäßig in Tränen aus.)
Vorsänger wie Magdalena Kozena (die Frau von Simon Rattle), Mark Padmore oder Richard Croft....haben eine Feinsteuerung des unfassbar bewussten Ausdrucks, den ich bei vielen traditionellen früheren hiesigen Sängern nicht finde.
((Einschub: Rilling hat sicherlich mit der Bachakademie in Stuttgart ein ganz bedeutendes pädagogisches Lebenswerk in Deutschland!
Seine Interpretationen der BACH-Kantaten geben mir allerdings nichts mehr. Weder vom Ausdruck, noch der Aufnahmetechnik, noch von den damaligen Vorsängern her. Habe sie in einen Schuber im Keller verbannt.
Sein Durchpeitschen z.B. der Johannes-Passion bei Europa Cantat ca. 2005 in Mainz fand ich sogar schrecklich! Keine Sekunde Besinnung, keine Sekunde Ruhe. Ein durchforcierter Affenzahn. Mir wurde fast schlecht und es gehört zu meinen denkwürdig abstoßendsten Konzerten ever. Sorry.))
Harnoncourt finde ich - wie oben auch von Flauten erwähnt - manchmal beeindruckend, manchmal übertrieben manieriert.
Man muss m.E. unterscheiden, wann Tänzerisches und extremes Abphrasieren angebracht sind - und wann es in neuer Dauer-Erstarrung (!) eher nervt!
Zitat von Soli Deo gloria im Beitrag #8
Vorsänger wie Magdalena Kozena (die Frau von Simon Rattle)
Und beim Rattle schreibst du dann in Klammern "Mann von Magdalena Kožená"?
#10 RE: Karl Richter
Wie lange sind die Zeiten glücklicherweise vorbei, dass die Ehefrau vom Arzt mit "Frau Doktor" angesprochen wurde?
Was sagt es über die Qualität einer Sängerin als Sängerin aus, mit wem sie verheiratet ist?
Eine Frau nicht als Anhängsel ihres Ehemannes zu sehen, hat nichts mit "political correctness" zu tun.
Es ist schlicht eine Frage des Respekts.
#12 RE: Karl Richter
Hallo,
Zitat von pattissier im Beitrag #12
Für mich hat das nichts mit Anhängsel und mangelndem Respekt zu tun, sondern zeigt schlicht eine interessante Querverbindung auf.
So sehe ich das auch. Wenn der Dirigent mit der Solistin in einer engen Beziehung steht, hat das sicher Auswirkungen auf die Interpretation bzw. Gestaltung eines Musikstücks durch beide Seiten.
Ohne jetzt zu wissen, wie das im zitierten Fall war: Ein echtes Problem wäre in meinem Bereich, wenn ein*e Chef*in über die Anstellung seines*r Partner*in mitentscheidet. Das hätte ein "Gschmäckle". Ich würde das peinlichst vermeiden. Unser Institutsgründer (Gründung 1919/1923) hat das schon vor 100 Jahren so gehalten: Seine Frau arbeitete teilweise eng mit ihm in einzelnen (externen) Projekten zusammen, hatte aber damals und auch später, nach Wechsel ins Ausland, nie einen honorierten Vertrag an seinem Institut. Kann natürlich sein, dass das im künstlerischen Bereich anders üblich ist.
Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.
Zitat von pattissier im Beitrag #12
Wenn man's unbedingt so verstehen will, bitte. Für mich hat das nichts mit Anhängsel und mangelndem Respekt zu tun, sondern zeigt schlicht eine interessante Querverbindung auf.
Schönen Sonntag noch.
Wie es tatsächlich gemeint war, kann uns wohl nur der Autor offenbaren.
Und es ist aus meiner Sicht nicht der Querverweis an sich, sondern dass es der einzige Querverweis ist. Wenn ähnliche Querverweise auch bei den anderen aufgeführten Namen gestanden hätten, dann, ja dann, sähe ich es auch so wie du.
Z.B. "Richard Croft (der Bruder von Dwayne Croft)" oder gar "Helmuth Rilling (der Vater von Sara Maria Rilling)" ...
@pvh Ja, dass das vor hundert Jahren noch üblich war, das ist so.
Für mich bedeutet dies jedoch keineswegs, dass es - damals und erst Recht nicht heute - richtig ist. Das mag jeder anders sehen.
Auf jeden Fall hat Magdalena Kozena schon vor der Beziehung mit Simon Rattle eine Karriere; und es ging in dem Beitrag um "Vorsänger"[sic!].
Auch von meiner Seite noch einen schönen Sonntag,
Wolfgang
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!