Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
»Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
#1 »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Gestern habe ich während einer Autofahrt im Deutschlandfunk die Sendung »Tag für Tag« gehört. Des interessanten Themas wegen habe ich sogar eine halbe Stunde die Fahrt unterbrochen.
»Bach, Bach, Bach – die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Ein Gespräch mit Rainer Bayreuther – Dozent an einer Hochschule für Kirchenmusik
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/drad...35_9a4bfbc7.mp3
Ich muss zugeben, dass ich die Ausführungen Bayreuthers nur zum Teil verstanden habe – konkret wurde er für mich während der Sendung so gut wie nie. Seine Lösungsvorschläge waren zu nebulös, als dass ich mir diese Art von Kirchenmusik vorstellen könnte.
#2 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Mich lässt das alles ziemlich ratlos zurück. Was will er uns sagen? Welche Konsequenzen sollte das haben, was er erzählt? Wie setzt man seine Postulate (sofern heraushörbar) konkret um?
Letztlich läuft es auf den alten Sozialpädagogen-Spruch nach ergebnislosen Stuhlkreis-Gesprächen hinaus: "Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben."
Interessant fand ich lediglich die Information, dass er der "virtuellen Orgel" eine Zukunft gibt.
Ansonsten denke ich dasselbe wie vor dem Anhören dieses Beitrags:
Die Musik, die ich im Gottesdienst mache, soll meine Zuhörer erreichen und bewegen. Sie sollen dazu gut und gern singen.
Das sind immer individualisierte und längerfristige Prozesse, die stark subjektiviert sind und für die es keine ausgefeilten Kochrezepte gibt, sondern nur Grundrezepte. Einige der wichtigsten Zutaten sind außermusikalischer Natur: Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit - und das bei allen Beteiligten.
LG
Michael
P.S.: Ich hab's noch nie geschafft, bei einer Bachkantate einzuschlafen ...
Zuerst: Danke für das Aufbrechen dieses Themas!
Ein bisschen musste ich beim Anhören der Sendung lachen.
Wenn ich an die durchschnittliche kirchenmusikalische Situation hierzulande denke, finde ich im Regelfall jemand am Orgelbock vor, der irgendwann ein bisschen Klavier gelernt hat und nun mit selbst dazu erlerntem Pedalspiel mehr schlecht als recht eine singende Gemeinde begleitet. Kurze, einfallslose Vorspiele, zumeist aus den ersten oder letzten vier Takten des Liedes gebildet - wenn man Glück hat! Ich habe schon A-Kirchenmusiker (!) erlebt, die keine Ahnung hatten, wie sie ein halbwegs brauchbares Liedvorspiel stricken sollen.
Ist die Messe dann ohne gröbere Unfälle über die Runden gebracht worden, will der rührige Organist bei einem kräftig aufregistriertem Postludium noch einmal so richtig zeigen, was die Orgel (nicht er!) kann. Die Mixturen dienen dann allzu oft als Ersatz für nicht vorhandene Virtuosität...
Das ist - ironielos! - die Situation, die ich allenthalben vorfinde. Und dann kommt ein Professor und kritisiert auf seinem Niveau die eingeschlafene Kirchenmusik. Finde ich irgendwie lustig.
Angesprochen auf die Ächtung des Singens während der Pandemie sagt der gute Bayreuther, etwa bei 18'00'':
Zitat
„Ok, wir können nicht singen. Aber warum müssen wir singen? Wir können doch Klänge auf andere Weise produzieren...“
Oh Mann... Ich getraue mich gar nicht niederzuschreiben, welche spontane Idee dieser hoffentlich ganz anders gemeinte Satz in mir zutage förderte...
#4 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Diese Sendung gibt es auch im Podcast ohne das drum herum:
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/drad...37_9d48fef8.mp3
#5 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Wenn ich das recht verstanden habe, geht es dem Mann um Zukunftsperspektiven für den Beruf des Kirchenmusikers. Er sieht da vor allem die Polarität von Interpretation und Komposition.
Ich hielte diesen Denkansatz für zielführender: Welche Qualifikationen (über das "Handwerk" hinaus) müssen Kirchenmusiker für den Gemeindedienst mitbringen? Oder aus Gemeindeperspektive gefragt: Welcher Kirchenmusiker passt zu uns? Sicher nicht der abgehobene Virtuose oder gar das "verkannte Genie".
Keine Angst, ich rede jetzt nicht dem "Popkantor" oder dem "Musikdienstleister" das Wort, der im Kigo mit Wonne das "Lied der Schlümpfe" in ein Klavier klopft.
Ich denke, wer in einer Gemeinde mit gewissem Anspruch an sich selber musizieren will, muss sich als Helfer verstehen. Er muss analysieren, wo die Gemeinde steht und muss das pädagogische Können besitzen, sie vom Punkt, an dem sie steht, weiterzubringen. Nicht mit der Brechstange, sondern durch kluges Handeln.
Inwieweit sowas in einem Studiengang zu vermitteln ist, kann ich nicht beurteilen. In meiner Studienzeit wurde ein breit gefächertes Handwerk vermittelt - nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Die Umsetzung in die Praxis verlief dann nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum." Das entscheidende Feld war nicht der Orgeldienst, sondern die Chorarbeit.
Im Hochschulchor musste man kaum an Intonation oder am Notentext arbeiten. Auf der ersten Stelle, vor dem Kirchenchor Niederkleckersdorf, gingen dann plötzlich zwei Drittel der Probenzeit mit dem Erlernen der Einzelstimmen drauf. Entweder wurde man darob zum gewieften Didaktiker oder zog sich frustriert in seinen künstlerischen Elfenbeinturm zurück.
Chorleiten habe ich weniger an der Hochschule gelernt, aber vor allem durch Mitsingen in gut geleiteten (Laien-)Chören, vor dem eigenen Kirchenchor und vor Männergesangvereinen.
Ich hatte meine Wicherngemeinde nach wenigen Jahren so weit, dass sie sauber und straff im Metrum sang - ganz gleich, was ich auf der Orgel anstellte. Ich wusste, dass sie auch beim gewagtesten "last Verse" unerschütterlich Spur hält. Ein solches gegenseitiges Vertrauen ist immer ein längerer Prozess, der auch gegenseitige Wertschätzung und gegenseitigen Respekt einschließt.
Die Aussage von Herrn Bayreuther zum Gemeindegesang ist natürlich voll daneben. Singen ist die musikalische Wesensäußerung einer Gemeinde schlechthin. Alle anderen Musizierformen sind ersetzbar. Das Singen nicht.
LG
Michael
Zitat von Wichernkantor im Beitrag #5
Wenn ich das recht verstanden habe, geht es dem Mann um Zukunftsperspektiven für den Beruf des Kirchenmusikers. Er sieht da vor allem die Polarität von Interpretation und Komposition.
Hm.
Ich hätte da viel mehr den Ruf nach echter Innovation vernommen: Singen ohne Worte, Klänge ohne Singen...
Das mag ja alles gut gemeint sein. Vielleicht ist es sogar ein prophetischer Anstoß.
Aber kommt das nicht zur Unzeit?
Bayreuther kritisiert, dass es nach Corona so weitergeht wie vor Corona. Eine Kritik, die man auch aus anderen Bereichen hört.
Ich halte dagegen: War denn vor Corona alles schlecht? Oder ist es schlecht, wenn Menschen Liebgewordenes vermissen und - sobald es die Situation wieder erlaubt - mit Begeisterung neu aufsuchen?
War es denn ein Zufall, dass Menschen während der Pandemie vorzugsweise Lieder „von früher“ gehört haben? Krisen wecken auch ein Bedürfnis nach Sicherheit. Sicherheit aber gewinnt man doch gerne aus dem Altvertrauten - und nicht aus gewagten Experimenten. Oder?
#7 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Völlig d'accord. Das Singen im Gottesdienst kann nicht zur Disposition stehen. Es gibt m.E. nichts, dass es ersetzen könnte. Sollte es Herrn Bayreuther um "Ersatz" für Gesang gehen, ist seine These zwar diskussions- und fragwürdig im realen Wortsinn, aber m.E. schlicht falsch.
Singen ist ja vor allem auch ein Urbedürfnis. Ich hatte in den Gottesdiensten, in denen der Pfarrer "stellvertretend" für die Gemeinde die Choräle sang, mehrfach den Eindruck, wenn ich jetzt aufregistriere, singen alle mit - Corona zum Trotze und Trutze. Und dieser Eindruck wurde mir in "Hinterher"-Gesprächen immer wieder bestätigt.
Jetzt, da wir wieder singen dürfen, über "Ersatz" nachzudenken, ist m. E. ziemlich abwegig.
LG
Michael
Nun, ich hoffe, dass er mit dem Erzeugen von Tönen nicht unbedingt das gemeinschaftliche Furzen gemeint hat.
Vielleicht Summen? Oder glossolalisches Tönen? Beides kennt man aus der Unterhaltungsmusik.
Neuerdings (?) wurde der schon etwas angegraute Sommerhit Dragostea din tei mit englischer Textunterlegung als Faded Love neu verwurstet; an einer melodisch wirklich schönen Stelle, wo die singende/ tanzende Schar bislang aus Leibeskräften Rumänisch (oder was man dafür hielt) dazugrölen musste, bedient sich die Neuauflage einfach des Vokals ah als „Text“unterlegung... Praktisch, so muss man sich keine Gedanken machen, ob man irgendwelchen Blödsinn singt, weil man des Rumänischen eben nicht mächtig ist.
Vielleicht schwebte Analoges Herrn Bayreuther vor, als er vom Singen ohne Worte sprach? In der von ihm erwähnten Lobpreismusik ist das gar nicht mal so neu...
#9 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
#11 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
(
gelöscht
)
#14 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Zitat von Wichernkantor im Beitrag #5
Singen ist die musikalische Wesensäußerung einer Gemeinde schlechthin. Alle anderen Musizierformen sind ersetzbar. Das Singen nicht.
Sorry, das kann ich so nicht unwidersprochen stehen lassen - da täten wir den Chören und Instrumentalkreisen ja massives Unrecht. Die musikalische Wesensäußerung einer Gemeinde im Gottesdienst an sich mag unersetzbar sein, da sie - neben dem persönlichen Gebet - eine intensivere Form der unmittelbare Teilnahme darstellt. Singen ist jedoch nur eine der möglichen Formen und Singen der Gemeinde zu Orgelmusik auch nur eine ganz spezielle Form davon.
Entscheidend ist doch, die Menschen überhaupt zu einer solchen Teilnahme an einer gemeinsamen Glaubensausübung zu bewegen. Ich bin überzeugt davon, dass dies künftig weniger durch einfaches "Besuchen" eines klassischen Gottesdienstes erreicht werden wird, sondern vielmehr durch persönliche Teilnahme am Gottesdienstgeschehen im Sinne einer Mitwirkung in einer Gestaltungsgruppe, oder - auf musikalischer Ebene - in einem Chor oder in einer Instrumentalgruppe (Ensemble, Band, Posaunenchor usw.). Nur durch persönliches Engagement werden sich auch künftig (insbes. jüngere) Menschen auf eine dauerhafte Beziehung im gemeinsamen Gottesdienstfeiern einlassen - nicht etwa durch propagiertes "Konsumentenverhalten".
Der Grund ist einfach, dass die bisherher etablierten Bindungen, die tradierte Glaubensausübung aus den Familien (dazu gehört leider auch das Singen insbesondere klassischer Kirchenlieder im Gottesdienst zu Orgelmusik, zumal viele Jüngere die Lieder schon gar nicht mehr kennen), immer mehr schwindet - daher braucht es künftig andere Arten der Bindung. Die Chance dabei: Ist dann das durch persönliches Engagement entstehende "Angebot" ansprechend, werden auch wieder vermehrt emotionale Bindungen und Interesse bei den jüngeren Familien zu einer Teilnahme geweckt werden.
#15 RE: »Die Kirchenmusik ist im Ohrensessel eingeschlafen.«
Zitat von Biffaro im Beitrag #14
Sorry, das kann ich so nicht unwidersprochen stehen lassen - da täten wir den Chören und Instrumentalkreisen ja massives Unrecht.
Hm, den Gedankengang würde ich nochmal auf seine Folgerichtigkeit überprüfen. Chöre singen. I.d.R. bestehen sie aus Gemeindemitgliedern. Wir haben in unserer Gemeinde keinen "Instrumentalkreis". Dem tut also bei uns niemand Unrecht - weder "massiv" noch sonstwie. Wir haben einen Posaunenchor. Und dem tut auch niemand Unrecht. Im Gegenteil. Die Leute freuen sich, wenn er mitwirkt. Denn er begleitet die Gemeinde überwiegend beim Singen.
LG
Michael
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!