Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel

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09.10.2021 08:56 (zuletzt bearbeitet: 09.10.2021 11:18)
#31 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Moderator

Wir haben - vor der Ausschreibung der Pfarrstelle - eine Gemeindebefragung durchgeführt. Da der 20 Jahre lang amtierende Pfarrer eine hohe Predigtkultur pflegte, waren die Inhalte der Predigt ein zentraler Teil der Befragung.
Dabei zeigte sich deutlich, dass die Befragten keine "politischen" Predigten mit "sozialen" Botschaften wünschen, sondern seelsorgerliche Begleitung und Deutung der Botschaft des Evangeliums in einer Welt, die immer komplexer und undurchschaubarer wird.
Dieser Wunsch ist weit enfernt von Betulichkeit oder gar von "Opium für das Volk".
Im Gottesdienst sitzen heute nicht mehr die gutsituierten "Erfolgstypen", denen man ein schlechtes Gewissen für ihr Luxusleben machen "muss". Die schlafen am Sonntagvormittag aus und gehen dann in den "Nobelhobel" zum "Brunch". Auf ihren ehemaligen Stammplätzen unter der Kanzel sitzen längst die Mühseligen und Beladenen, denen Jesus zugesagt hat: "Ich will euch erquicken."
Leute mit gebrochenen Biographien im eigenen Leben oder im familiären Umfeld, Leute die von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt oder in der Gesellschaft "abgehängt" wurden, erwarten von der kirchlichen Verkündigung Trost und Orientierung - keine Publikumsbeschimpfung. Sie suchen im Gottesdienst einen Ruhepol von der Hektik und der Zerrissenheit des Alltags. Die Erkenntnis, dass z.B. wiederkehrende Rituale eine wichtige Rolle bei der Selbstvergewisserung spielen, ist ja nicht so ganz neu.
Eine gute Predigt ist m.E. immer ein Akt der Barmherzigkeit. Dazu gehört auch, dass ich die gottesdienstliche Gemeinde nicht mit musikalischen Schrägheiten annerve. Das hat nix mit "Eiapopeia" zu tun. Das wäre das andere Extrem. Auf jeden Fall empfinde ich es ständig als Herausforderung, im Gottesdienst den "richtigen Ton" zu treffen.

LG
Michael


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09.10.2021 09:01
#32 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
tr

Um nochmal auf das Ursprungsthema zurückzukommen:
Im YouTube-Kanal des Kulturraums Melanchthonkirche Bochum wurde gerade eine Vortragsreihe zur Neuen Musik veröffentlicht. Leider gibt es (noch) keine Playlist, sodass ich die Videos einzeln einfüge.





Viele Grüße
Trompetendulzian


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09.10.2021 09:34
avatar  SJL
#33 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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SJL

Wichernkantor spricht mir 100% aus der Seele, exakt meine Wahrnehmung / Meinung.


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09.10.2021 21:36 (zuletzt bearbeitet: 09.10.2021 21:38)
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#34 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
Gast
( gelöscht )

Zitat von Wichernkantor im Beitrag #31
Wir haben - vor der Ausschreibung der Pfarrstelle - eine Gemeindebefragung durchgeführt.
Interessant - wurde denn auch was zur Kirchenmusik gefragt?
Zitat von Wichernkantor im Beitrag #31
[...]unter der Kanzel sitzen längst die Mühseligen und Beladenen,[...]Leute mit gebrochenen Biographien[...]

Naja, letztlich ist ja jeder heutzutage irgendwo und irgendwie "beladen" - auch und gerade die "Erfolgstypen", die manchmal eine 50-Stunden-Woche haben und vllt. noch dazu Verantwortung für ein paar Leute in einem Unternehmen tragen.

Ich weiß ja nicht, wie's in der Stadt aussieht, aber bei uns auf dem Lande hier, kommen in die "normalen" Sonntagsgottesdienste (nicht Ostern, nicht Weihnachten) immer dieselben Leute: Kirchengemeinderäte, Konfirmanden mit Elternteil, älteres Semester (60+), seltenst mal Jüngere. Ob ich da mal was "schräges" Modernes (bspw. Planyavsky aus "Ludus Organisticus") oder etwas Romantikgesäusel ('n Versettchen von Lefébure oder so) spiele, ist den Leuten ziemlich schnurze. Wenn der Kontext passt, hören sich die Leute auch Modernes an - da klagt keiner über "Publikumsbeschimpfung" o.ä.. Nur eins ist für die Leute wichtig: Es darf nicht zu lang sein! So gesehen, könnte ich die Leute auch locker nerven, wenn ich einen nur 5-minütigen Bach im Gottesdienst spielen würde.

Ich meine, das Problem der "zeitgenössischen Tonkunst" ist gar nicht so dramatisch. Wenn sich die Leute im TV einen Film oder Krimi anschauen, stören sie sich auch nicht an manchmal extrem avangardistischer Hintergrundmusik - sie unterstützt, hier unbewußt wahrgenommen, die Stimmung im Kontext. Wenn man diesen Kontext als Zuhörer (bspw. per Erklärung) zur Verfügung hat, kann man solche Musik auch bewußt wahrgenommen toll finden. Vor etwas mehr als 10 Jahren hatte ich die Gelegenheit, junge isländische Musiker in einem Konzert eines der "Chains" von Lutoslavsky spielen hören zu können - ich vergesse mein Lebtag nicht diese imaginäre, kreisrunde Kristallkette, die im Verlauf des Werkes immer schneller rotiert und am Ende in tausend Stücke zerspringt. Als ausreichender "Kontext" genügte hier der Titel des Stückes...


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09.10.2021 23:42
#35 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Wieder etwas dazugelernt. Die Einteilung 'Zeitgenössische Musik, mit der ich etwas anfangen kann, zeitgenössische Musik, mit der ich nichts anfangen kann und Hurz' hätte ich so nicht formuliert, sie entspricht aber genau dem, was ich empfinde.

Auch ich finde eine Weiterentwicklung ausgesprochen wichtig, Aber nicht jede Verflachung ist gleich eine Weiterentwicklung. Man sollte da schon ein wenig genauer hinschauen.


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10.10.2021 06:30
#36 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Moderator

Zitat von Choralbass im Beitrag #35
nicht jede Verflachung ist gleich eine Weiterentwicklung. Man sollte da schon ein wenig genauer hinschauen.


Richtig.

LG
Michael


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10.10.2021 06:38
#37 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Moderator

Zitat von Biffaro im Beitrag #34
wurde denn auch was zur Kirchenmusik gefragt?


Nein. Es ging nicht um das Anforderungsprofil an einen neuen Kantor. Wir haben nämlich noch einen ...
Die Gemeinde sucht einen neuen Pfarrer.

LG
Michael


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10.10.2021 11:35 (zuletzt bearbeitet: 10.10.2021 11:35)
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#38 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
Gast
( gelöscht )

Ja, war mir schon klar, dass es um die Pfarrstelle ging. Es hätte ja sein können, dass man in die Ausschreibung auch ein wenig hineinformulieren möchte, wie man sich Kooperation und Förderung der kirchenmusikalischen Arbeit am Ort vorstellt, was durch Feedback aus der Gemeinde reflektiert wurde (bspw. Bedarfe/Schwerpunkte). Aber dennoch schöne Idee - ich kann mich nicht erinnern, dass es bei uns jemals Umfragen in der Kirchengemeinde gab; allenfalls face-to-face jährlich einmal in der sog. "Gemeindeversammlung" nach dem GD.


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10.10.2021 15:41 (zuletzt bearbeitet: 10.10.2021 15:43)
avatar  pvh
#39 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
pv
pvh

Hallo,

ein gutes Kriterium zur Beurteilung zeitgenössischer Kunst könnte auch sein, ob sie in der Zukunft noch aufgeführt wird (was man naturgemäß nicht weiß). Allerdings ist das keine eineindeutige Sache: So mancher Kitsch kann Jahrhunderte überdauern und so auch sehr gute Musik droht manchmal zu verschwinden, auch Bach war eine Zeitlang vergessen. Strawinskis "Sacre du printemps", Ligetis "Volumina" oder Sofia Goubaidoulinas "Hell und Dunkel" gehören hier sicher als Klassiker der Moderne dazu. Jedenfalls können sich Zeitgenossen manchmal sehr über die Bedeutung von Kunst irren. *

Wichtig erscheinen mir die Hinweise von CMP1985, 2nd_astronau, Mark Elert und Wichernkantor, dass Musik wie jede Kunst (Literatur, Theater, Malerei, Bildhauerei, Fotographie, Tanztheater, Film...) natürlich auch provozieren dürfen muss. Gerade beim Film (in Deutschland sind ja Krimis sehr beliebt, in denen es eigentlich immer um Mord geht), aber auch in der Literatur würde niemand fordern, das nur Lustiges und heile Welt dargestellt werden kann. Wenn ein Organist ein Konzert anlässlich eines Kriegsjubiläums gestaltet, muss die Musik ja auf das Ereignis abgestellt sein.

Klar, wenn ich Abends erschöpft und K.O. in den Sessel sinke, lese ich weder Döblins "Berlin-Alexanderplatz", noch schaue ich mir Kleist "Pentesiliea" an und dann höre ich in der Regel auch nicht Bachs Orgelwerke. Aber zu anderen Zeiten mache das schon und lese, höre und sehe mir sehr gerne auch zeitgenössische Kunst an. Im Gegenteil, mich ärgert es, wenn Theater oder in Konzerten nur immer dieselben Klassiker-Schinken gespielt werden oder die Hälfte des Publikums nach Hause geht, wenn nach der Pause Zeitgenössisches auf dem Programm steht.

Übrigens sind hier in der Stadt die Symphonien von Schostakowitsch beim Konzertpublikum sehr, sehr beliebt, was anderswo vielleicht gar nicht der Fall ist. Das sind schon Brocken, die man nicht so nebenher zum Entspannen hören kann.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.

* https://www.youtube.com/watch?v=Q55mQpAGNMc
;-)


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10.10.2021 17:40 (zuletzt bearbeitet: 10.10.2021 17:42)
#40 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Da geht es mir deutlich anders. Bach kann ich mir jederzeit anhören und dabei herrlich entspannen. Egal ob Orgelwerke, Messen, Kantaten oder wie auch immer, Bach ist für mich immer und zu jeder Tages- und Nachtzeit ein wahres Lebenselixier. Selbst 20 Stunden am Stück kommen vor, sofern die Zeit es zulässt.

Lediglich BWV 565 fällt da etwas ab und einige Versionen nerven mich gar. Wahrscheinlich bin ich damit übersättigt. Das ist oft das Problem, wenn man das Oeuvre diverser Komponisten auf ein einziges Werk herunterbricht. Mozarts Kleine Nachtmusik bringt mich auch zu Laufen. Anders ist es, wenn ich ein bestimmtes Werk wieder und wieder höre und zwar weil ich es will und nicht weil es das einige ist, das angeboten wird.

Provokation und Regelüberschreitungen sind in meinen Augen gut und wichtig, solange es kein Selbstzweck bleibt. Denn Provokation nur der Provokation wegen finde ich lächerlich. Die ist vielleicht gut für den (Massen-)Markt, mehr aber auch nicht.

Liebe Grüsse, Mike


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10.10.2021 18:09
avatar  pvh
#41 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
pv
pvh

Hallo,

Zitat von Choralbass im Beitrag #40
Provokation und Regelüberschreitungen sind in meinen Augen gut und wichtig, solange es kein Selbstzweck bleibt. Denn Provokation nur der Provokation wegen finde ich lächerlich.

Ernsthafte Künstler verfolgen in der Regel schon einen Zweck. Allerdings erschließt sich der nicht immer auf Anhieb und erfordert schon einmal Mühe und Anstrengung beim Interpreten und/oder Rezipienten. Ziel kann natürlich auch sein, dass der Rezipient auf bestimmte Gedanken gestoßen wird.

Zitat von Choralbass im Beitrag #40
Die ist vielleicht gut für den (Massen-)Markt, mehr aber auch nicht.

Nee, den Massenmarkt beherrschen Andrea Berg und Helene Fischer, aber nicht zeitgenössische Komponisten, egal ob sie für Orgel oder Orchester oder für Feuersirenen schreiben...

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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10.10.2021 19:39
#42 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Zitat von Choralbass im Beitrag #40
Da geht es mir deutlich anders. Bach kann ich mir jederzeit anhören und dabei herrlich entspannen. Egal ob Orgelwerke, Messen, Kantaten oder wie auch immer, Bach ist für mich immer und zu jeder Tages- und Nachtzeit ein wahres Lebenselixier. Selbst 20 Stunden am Stück kommen vor, sofern die Zeit es zulässt.



Dafür gibt es eine gute Erklärung -- Bach ist schließlich der König =)

Zitat

Lediglich BWV 565 fällt da etwas ab und einige Versionen nerven mich gar. Wahrscheinlich bin ich damit übersättigt.



Das Stück ist wohl wirklich schon etwas abgedroschen. Andererseits glaube ich, dass es einige gibt, die darüber überhaupt auf die Orgel kommen (Hat nicht Gert van Hoef auch sowas in der Art von sich gesagt?). Und wenn die dann danach noch andere Stücke lernen -- als Aufhänger zum Orgelspielen ist es doch bestimmt immer noch praktisch =)

(Und da gibt es auch noch dieses Air.. :D)


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10.10.2021 21:22
avatar  Joni
#43 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
Jo

BWV 565 wird mir wohl nie langweilig werden. Ich hab oft schon die Begeisterung für Stücke verloren ab dem Punkt an dem sich sie dann nach langem Üben selbst spielen konnte. Hier war das aber nicht der Fall. Ich kann das Stück nach wie vor in Dauerschleife hören. Das einzige was ich zugeben muss: die Toccata fand ich noch nie so toll, auch wenn es das ist, was auch der nicht Orgelmusik begeisterte kennt. Aber die Fuge ist für mich einfach eines der schönsten Stücke Musik, die ich je gehört habe.

Ansonsten finde ich immer, dass alles eine Chance verdient hat. Ich bin in meinem musikalischen Geschmack wenig eingeschränkt. Die Zeit zeigt dann immer, was ich öfter hören kann und was nicht. Aber zumindest EINMAL kann ich mir alles geben.


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10.10.2021 21:45 (zuletzt bearbeitet: 10.10.2021 23:28)
#44 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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Zitat von SJL im Beitrag #30
Schon wieder klingt es so, als wäre man oberflächlich und nicht willens, sich mit den Problemen und Konflikten dieser Welt auseinanderzusetzen. Das ist nicht der Fall und offensichtlich ein Missverständnis.

dann habe ich dich tatsächlich missverstanden. es klang für mich so, als ob du zeitgenössische tonsprache (ab wann auch immer wir jetzt etwas als zeitgenössisch bezeichnen wollen) grundsätzlich ablehnst. das fände ich in einer gemeindefunktion eine beschränkung (das heißt natürlich nicht, dass man alles neue gut finden müsste, insbesondere da ja das sieb der jahrhunderte noch nicht drübergegangen ist).

wie schon geschrieben wurde, ist die wahrnehmung "älterer" und "neuerer" musik eigentlich durchaus ähnlich ("eskalationsstufen") bzw war sie ähnlich. bekanntlich hat ein gewisser kantor mit heute recht tadellosem leumund eine abmahnung kassiert, weil er seine gemeinde mit musikalischen schrägheiten genervt hat ... was natürlich kein ansporn sein sollte, einen ähnlichen blauen brief zu erhalten


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10.10.2021 23:18
avatar  trm
#45 RE: Zeitgenössische Tonkunst auf der Orgel
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trm

[/quote]bekanntlich hat ein gewisser kantor mit heute recht tadellosem leumund eine abmahnung kassiert, weil er seine gemeinde mit musikalischen schrägheiten genervt hat ... was natürlich kein ansporn sein sollte, einen ähnlichen blauen brief zu erhalten [/quote]

Na ja, gibt es hier einen einzigen Foristen, der seiner Gemeinde im Gottesdienst eine solche Begleitung zumuten könnte, ohne dass diese darüber cofundiret werde?

https://www.youtube.com/watch?v=-5X89jiql_w


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